Mach mal langsam etwas schneller

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Es war mir eigentlich von vornherein klar, dass der Umgang mit Medien den einen oder anderen Artikel hier füllen würde. Das liegt aber auch einfach daran, dass die heutige Zeit Paradoxien aufweist bzw. medial mit solchen aufgeladen wird. Genaugenommen kollidieren unser Selbstverständnis und unsere Ansprüche mit dem, was tatsächlich beobachtet werden kann. Es ist kein großes Geheimnis, dass die Welt schnelllebig geworden ist. Welche Bereiche das betrifft, ist schwer festzulegen. Einfacher wäre es aufzuzählen, in welchen Lebenslagen nach wie vor Gemütlichkeit herrscht. Das behaupte ich jetzt einfach mal. Kann auch falsch sein. Kann eine Meinung falsch sein? Ich weiß es nicht. Wie so oft. Ohne Smartphone ist es auf jeden Fall schonmal gemütlicher als mit. Das folgSüdpark_Pärchenende Foto (gestern eher zufällig mit dem Laternenpfahl als imaginäre Grenze zwischen den beiden aufgenommen) wirkt auf mich wenig „entschleunigend“, sondern teilnahmslos und isoliert.

Das ist doch scheiße.

Es scheint aus meiner Perspektive auf jeden Fall so zu sein, dass wir den Alltag nicht mehr ohne Hektik ertragen können. Wir benötigen offensichtlich Beschäftigung um der Beschäftigung willen. Vor Kurzem erst hat projektkatharsis einen Artikel über Rastlosigkeit und aktives Nichtstun veröffentlicht und bringt dort einige Punkte zur Sprache, die meines Erachtens für diese geistige Rastlosigkeit verantwortlich sind. Und ein knapper Satzteil bricht das Drängen dieser Zeit ziemlich genau auf eine Aussage herunter: „Wir sind mit nichts mehr allein“.

Es mag bescheuert sein, so etwas zu behaupten, weil das Foto oben eindrucksvoll beweist, dass wir selbst in Gesellschaft nach wie vor allein sind. Andererseits nehmen vermeintliche Kleinigkeiten einen Großteil unseres Alltags ein, die öffentlich kommuniziert werden und deshalb Feedback erzeugen. Aus unserer Isolation heraus produzieren wir „Content“, der rezipiert, kommentiert, verbreitet, sprich: gesehen wird. Wer sich als Privatperson präsentiert, rechnet mit Resonanz und muss und will und sollte nochmal kurz schauen, ob nicht irgendjemand auf irgendeinen Post geantwortet hat. Das steht im krassen Gegensatz zu dem, was uns tagtäglich an Bildchen und Sprüchen um die Ohren geblasen wird, und die vermeintliche Relaxtheit unseres Alltags widerspiegeln soll.

„Hmmm….einfach mal die Seele baumeln lassen mit einem leckeren Latte Macchiaaaatoooo!“

Klingt schön. Aber sitzt da in Wahrheit nicht jemand irgendwo in einem Café und richtet seinen Blick auf ein kleines Display in der Hoffnung und Erwartung, dass jemand diese Nachricht kommentiert, teilt oder mit einem nach oben gereckten Daumen versieht? Ist das Entspannung?
Das schließt mich selbst in manchen Situationen ein. Meine Redegeschwindigkeit steht oft im Widerspruch zu meinem Innenleben. Ich bin eigentlich ein sehr entspannter Mensch, was sich auch darin äußert, dass ich beizeiten einfach mal die Schnauze halte, wenn ich das Gefühl habe, nichts Vernünftiges beitragen zu können. Andererseits wandert meine linke Hand vollkommen unwillkürlich regelmäßig in meine Hosentasche, um diesen blöden Plastikklotz in Augenschein zu nehmen. Wieviel Uhr ist es? Hat da gerade jemand geschrieben? Habe ich Post? Wie viel Uhr ist es nochmal? Wann antwortet denn mal endlich jemand? Ach, ich wollte auf die Uhr schauen.
Wobei sich die vorletzte Frage dankenswerterweise seltener stellt. Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich als Kind kein Handy hatte und deshalb noch mit dem Wissen aufgewachsen bin, dass Antworten zwar nicht unmittelbar gegeben werden, aber eben irgendwann erfolgen. Beeinflussen kann man das nicht, also ziehe ich mir den Schuh

„Ey, XY hatte jetzt zehn Minuten Zeit, zu antworten! Warum schreibt der/die denn nicht?!“

gar nicht erst an. Mir kommt es aber so vor, als würde die Reaktion auf eine Nachricht oder was auch immer in Echtzeit verlangt werden. Vielleicht auch aus Angst, dass man vergessen wird, was traurigerweise ein berechtigter Gedanke ist.

Ein Blick auf die Medien zeigt, dass Informationen derart schnell verbreitet werden, dass man kaum in der Lage ist, sie vollständig zu erfassen. Und was nicht sofort bemerkt wird, ist nach wenigen Augenblicken im Display schon nach unten gerutscht; ähnlich wie ein Live-Ticker. Was ich verpasst habe, könnte ich nachlesen. Die Mühe machen sich aber meiner Meinung nach nur wenige. Die Masse lässt jüngste Ereignisse schnell im Dunst der Beiläufigkeit verschwinden und mit diesem Wissen kommunizieren wird heute. Wir unterbrechen uns, jeder eigene Beitrag ist der wichtigste. Wir leben so, wie es der Umgang mit allem um uns herum vorgibt: schnell, um nicht vergessen zu werden und um die vermeintliche Erwartung anderer an uns, zügig zu reagieren, zu erfüllen.

Und so setzt sich das Pärchen auf dem Foto oben just in dem Moment, als wir vom Rad steigen, auf die Bank und hält die Smartphones schon in den Händen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, und ich schauen uns den See an, den man von dort aus wunderbar IMG_0424_01sehen kann. Und während wir den Wildgänsen beim Zanken zusehen, der Wind das Wasser bewegt, die Frau, die in unserer Wohnung lebt, in aller Seelenruhe das Objektiv der Kamera wechselt und eine Ente im Flug einen formschönen Schiss fallenlässt, wischt er auf der Bank hektisch über sein Display. Sie betrachtet kurze Zeit später ihr Spiegelbild im Handy. Beide werden dafür ihre Gründe gehabt haben. Ich kenne diese Unruhe, weil ich gelegentlich denke, dass irgendjemand erwartet, dass ich mich zu etwas äußere. Dass ich reagiere. Man sieht ja auch mittlerweile fast überall, wo sich jemand gerade aufhält, also fehlen einem oftmals die Entschuldigungen, warum man sich denn so lang Zeit gelassen hat.

Man ist tatsächlich niemals allein. Überall befinden sich potenziell mahnende Finger, die uns zu Eile raten. Und wir eilen nicht nur, wir übertragen diese vermeintliche Erwartungshaltung auf andere und damit wird sie Realität. Und als wäre das nicht schon bescheuert genug, widersprechen sich Darstellung und Wirklichkeit. Denn viele Tweets, viele Postings, viele Kommentare mit dem Hashtag „#entschleunigung“ werden schnell vorbereitet und in einem kleinen Rechteck außerhalb der Wirklichkeit vorgegaukelt, um in Echtzeit Reaktionen zu erhalten.

Mich nervt das. Manchmal auch an mir selbst.


Beitragsbild schnell gefunden auf http://www.unperfekthaus.de

16 Kommentare

  1. Absolut wahr, was du da schreibst.
    2 Aspekte scheinen mir wichtig: Zum einen …. könnte es sein, dass der andauernde Versuch zu schreiben/posten/senden etc etc, der Versuch ist, Reaktionen zu provozieren, um der eigenen Einsamkeit zu entrinnen? Und zum anderen ….. verlernt die heutige (Jugend)Generation die Fähigkeit einfach nur dazusitzen und nichts zu tun (ich saß letztens hinter dem Haus, die Sonne schien, und ich betrachtete und GENOSS einfach nur das, was ich da sah)? Ich bilde mir ein, Letzteres noch zu können, weil ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der es nur ein Wählscheibentelefon hab und sonst nichts, was der Telekommunikation hätte dienen können.

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  2. Ich mag da nicht zustimmen. Aber weniger, weil ich deine Beobachtung per se nicht korrekt finde – das Bild passt einfach schlecht. So sehe ich auch immer wieder mal aus – eben genau dann, wenn ich laufen war. Da gibt es diese schönen Apps, mit denen man den eigenen Lauf verfolgen kann.
    Genau danach sieht das Bild für mich aus: 2 Sportler, die mal eben eine Einstellung an ihrem Smartphone nachjustieren. Wenn ich Sport mache bin ich auch ganz gern mal isoliert. Da passiert das von dir negativ beschriebene Phänomen dann also bewusst und wird positiv empfunden.

    Das ist der eine Punkt. Der andere, mir wenig einleuchtende ist, warum das Fotografieren jetzt so viel weniger isolierend und unangenehm ist wie die Handynutzung. Das Ergebnis ist doch ähnlich. Genauso wie deine Frau sich mit ihren Objektiven beschäftigt, beschäftigen sich die anderen mit ihrem Smartphone.

    Und noch ein Drittes anderes: Wenn du unwissend aufgenommene Menschen (ich gehe mal davon aus, dass du sie nicht gefragt hast) zum Bestandteil eines Artikels machst, verletzt du dabei nicht automatisch der Recht am eigenen Bild? (Ist ernstgemeint. Du berichtest ja sogar „nett“ über beide, aber wenn ich mich wiedererkennen würde, wäre ich wohl weniger erfreut. Müsstest du auf meinen Wunsch dann das Bild entfernen? So als Beispiel 😉 )

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    • Zuerst zum letzten Punkt:
      Aus diesem Grund haben beide weder Nase oder Brille noch Augen. Aber selbst wenn ich rechtlich auf der sicheren Seite bin, würde ich jeder Bitte, ein Bild zu löschen, sofort nachkommen. Ich bin relativ handzahm.
      Nun das übrige:
      Auch wenn beide danach aussehen, waren sie nicht laufen und das Handling der Smartphones wirkte nicht wie das Einstellen etc. von Apps. Sie hat sich im Bildschirm begutachtet und er hat irgendwas anderes gemacht. Geredet haben die beiden nicht.
      Zum zweiten Punkt:
      Wir haben beide das Hobby „Fotografieren“ und unterhalten uns währenddessen, probieren aus, lassen uns gemeinsam Zeit. Das halte ich durchaus für eine kommunikativere Art der Isolation.
      Grundsätzlich möchte ich niemandem ans Bein pinkeln. Denn niemand hat daran Schuld, dass die die Konsumgeschwindigkeit derart zugenommen hat. Darum auch der letzte Satz in meinem Artikel. Ich grenze mich da nicht aus. Mir geht es nur manchmal tierisch auf den Senkel.

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  3. Da muss ich Ihnen Recht geben, besonders was den ephemeren Teil betrifft, den habe ich vor einiger Zeit in kürzerer Form so angeprangert: https://soloezist.wordpress.com/2011/09/21/wovon-schreiben/
    (Der link soll nicht der Klickgewinnung dienen, sondern als reine Affirmation ihres Textes)
    Der Umgang mit diesem, eigentlich wunderbarem, Medium ist und bleibt schwierig. Gangbar wird er wahrscheinlich nur (wie so vieles) nur durch ausreichende Reflexion, wie Ihren Text….
    Hierfür Dank
    und
    soloezistische Grüße

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  4. So sieht leider die Realität aus! Ich staune immer wieder, dass im Notfall nicht mehr „Beulen“ am Kopf eingeliefert werden … solche halt, die beim ständigen Blick aufs Display den Laternenmast nicht sehen können…:-)

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  5. Hat mir erst eine plastische Vorstellung gegeben, wie es zu der Unmasse an bestenfalls belanglosen Äußerungen im Netz kommt, da ich selber noch zur aussterbenden Spezies der Desktop-PC-Nutzer gehöre.

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  6. ich arbeite mich zur zeit durch Blogs die mich interessieren und dieser hier spricht mir aus der Seele. Zwar bin ich selbst auch { auf sanften druck meiner Kinder } im besitz eines Smartphones , das aber zu deren Leidwesen des Öfteren zu hause auf dem Tisch liegt wenn ich das Haus verlasse. Ich muss nicht überall erreichbar sein . Meine Grundausstattung wenn ich unterwegs bin besteht aus Notizblock, Stift und Kamera neben dem Hausschlüssel und Geldbeutel ….. Lange Briefe schreiben liegt mir mehr als schnelle Mails oder „Selfies“, die meistens eh unvorteilhaft wirken. Gut, die jüngere Generation wächst mit diesen Medien auf , doch hab ich selbst unter diesem Jungvolk ( Gott lob ) beobachten können dass sich ein Grüppchen an der Haltestelle traf , die Smartphones verschwanden in der Tasche und welch ein Wunder , die sprachen miteinander , so richtig mit Mund öffnen und verständlichen Worten ….. hurra, meine Welt ist doch noch in Ordnung ….. 🙂

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  7. kurz gefasst: das, was du da beschreibst, ist der Grund für meine Sommerpause im Blog… hab hier zwar auch ein smartie rumliegen, aber es noch nicht in Betrieb genommen – was allerdings auch an den vielen Verbindungslöchern hier draußen liegt 😉 da fotografier ich auch lieber Schmetterlinge..

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  8. Mensch Manuel,
    warum hast du die beiden nicht einfach angesprochen? Vielleicht trauen sich die Mensch heutzutage einfach nicht mehr, miteinander zu sprechen, weil sie so sprachlos sind. Wer weiß, was passiert wäre…
    Wir haben es doch selbst in der Hand, das Gesmartphone zu durchbrechen. Meine Freunde haben sich anfangs aufgeregt, dass ich „nie“ erreichbar bin. Mein Bewegungprofil würde keinesfalls meine echte Bewegung wiederspiegeln, weil ich das Handy gerne zu Hause „vergesse“.
    Ich genieße es, unerreichbar zu sein. Noch immer telefoniere ich lieber per Festnetz. Dennoch bin ich froh, auf meinen Urlaubsreisen ein Handy mitzuhaben und bei Bedarf schnell und unkompliziert an Infos zu kommen.
    Aber ich lasse mir davon nicht mein Leben diktieren. Das hält nämlich Spannenderes für mich bereit.

    Es grüßt vom Standgerät
    DieReiseEule

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  9. Mir kommt es aber so vor, als würde die Reaktion auf eine Nachricht oder was auch immer in Echtzeit verlangt werden.

    Erst gestern wurde wieder bei ZEIT Online die Behauptung aufgestellt Online-Journalismus müsse ja das Weltgeschehen erklären, während es passiert.

    Aber ist das so? Oder meinen die das alle nur, weil eine mit Smartphones bewaffnete Primatenherde, der beim Pokèmon jagen der Sabber vom Kinn tropft, solche Dinge verlangt?

    Das ist Scheiße. Und vor allem die Frage.

    Und so setzt sich das Pärchen auf dem Foto oben just in dem Moment, als wir vom Rad steigen, auf die Bank und hält die Smartphones schon in den Händen.

    Genau. Früher hätten die sich auf die Parkbank gelegt und wüst befummelt. Heute glotzen alle autistisch aufs Display.

    Die Grauen Herren freuen sich.

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    • Die Berichterststattung in Echtzeit…ja, da bin ich sehr skeptisch. Zuviele Informationen, die teils den Charakter von Spekulationen haben. Ich warte lieber ab und habe dann gesicherte Fakten vorliegen. Alles dazwischen sorgt für Unruhe.

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      • Unruhe ergibt mehr Spekulation, die wird dann in Echtzeit weiterverbreitet…Facebook-Gepöbel und Twitter-Empöria regieren die Welt. Und alle hocken auf der Parkbank und lesen es im Smartphone mit.

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