Junggeselle auf Zeit II – Pinguine im Haus der Kranken

Hier geht’s zum ersten Teil!

Kontext:

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, muss geöffnet werden, um ihre Schaltkreise warten zu lassen. Da gab es wohl ein paar Ungereimtheiten und deshalb haben wir einen wundervollen Prä-Operations-Tag im Krankenhaus verbracht. Gegen 17 Uhr haben sich die Stationsschwestern der Spätschicht vorgestellt; unter anderem eine Nonne, einem Pinguin nicht unähnlich. Zur gleichen Zeit hat mein Hirn offensichtlich den Dienst partiell eingestellt, denn ich weiß noch, dass die Dame des Krankenzimmers irgendwann duschen gegangen ist. 

Irgendwie scheint mir hier etwas vom Tag zu fehlen. Im nächsten Moment blicke ich auf den Flur, weil ich eigenartige Geräusche gehört habe. Nichts zu sehen. Ich gehe einige Schritte weiter und bemerke, dass hier jemand etwas brät. Der Blick ins Schwesternzimmer verspricht Aufklärung bei gleichzeitiger Verwirrung. Der Pinguin steht am Herd und brät sich ein Spiegelei. „Paradoxes Bild und extrem unethisch für einen Vogel“, denke ich mir. Ihr Kopf schnellt herum. Ich verstecke mich schnell hinter dem Tresen und bewege mich langsam rückwärts. Sie tritt näher! Panisch renne ich zurück ins Krankenzimmer, reiße die Zwieback-Packung auf und werfe eine handvoll dieser doppelt gebackenen Pappe in den Flur.

„DA! Nimm!“

kreische ich dem Pinguin entgegen. Ich knalle die Tür zu. Nichts zu hören. Nach einiger Zeit öffne ich die Tür einen kleinen Spalt. Der Zwieback ist verschwunden. Erst dann registriere ich den nur wenige Meter entfernt stehenden Pinguin und schließe die Tür erneut. Ich renne zum Bett, verstecke mich unter der Decke…

…dann wache ich auf und wirbele herum.

Die Frau, die vorübergehend nicht in unserer Wohnung wohnt, sitzt auf der im Beitragsbild zu bestaunende Luxus-Sitzgruppe und liest den Focus. Loriot möge mir verzeihen, dass ich spontan nicht mehr um die tatsächliche Beschaffenheit einer Bestuhlung weiß, um sie auch als „Sitzgruppe“ bezeichnen zu dürfen. Auf einem von zwei um einen Beistelltisch angeordneten Sitzgelegenheiten sitzt auf jeden Fall die Lektorin und starrt mich entgeistert an.

„Pack den Zwieback weg! Der Pinguin! DER PINGUIN!“

„Was?!“

„Ja, geh halt draußen gucken.“

„Ich wollte mir eh gerade neuen Tee holen.“

Ich beschließe, sie zu begleiten. Auf dem Hinweg zur sogenannten Lounge fällt mir nichts Ungewöhnliches auf. Als wir wieder zurückkehren, sitzt der Pinguin wieder im Schwesternzimmer. Er blickt uns an und lächelt. Ich glaube ihm nicht. Träume haben neben der Verarbeitung des Erlebten manchmal auch den unangenehmen Nebeneffekt, dass sich ihr surrealer Inhalt auf die ganz reale Welt auswirkt. Daran muss ich arbeiten.
Den Pinguin mit zusammengekniffenen Augen fixierend schiebe ich meine Begleitung schnell ins Zimmer.

Weil man ja immer irgendetwas vergisst und ich sowieso in manchen Moment ein ordentliches Stück Brett vor der Dunstkiepe habe, fällt uns – vielmehr ihr – auf, dass wir – vielmehr ich – ihre Schluppen im Auto habe liegen lassen. Die Karre steht gefühlt am anderen Ende vom Neuss in einem Wohngebiet (kostenfreies Parken) und damit ich nicht hinlatschen, zurücklatschen und am Ende meines Besuchs wieder hinlatschen muss, beschließen wir, dass ich zwar zum Auto gehen werde, damit aber auf den Krankenhaus-Parkplatz fahre. Die ersten 30 Minuten sind gnädigerweise kostenfrei, ich würde die Hauslatschen hochbringen und innerhalb einer halben Stunde wieder fahren. Mir drängt sich gerade die Frage auf, wofür man eine solche 30-Minuten-Regelung bei einem Krankenhaus braucht. Wahrscheinlich für solche, die ihre kranken Angehörigen einfach nur kurz in der Notaufnahme abladen wollen und dann wieder verschwinden. Eine Babyklappe für Verletzte und Kranke.

„Hier! Nehmt! Is‘ kaputt! Macht heile! Bis morgen!“ 

Das Problem: Ich wollte die Besuchszeit voll ausreizen und liefe Gefahr, beim Hochbringen keinen Einlass mehr zu erhalten. Nun bin ich sehr umgänglich und würde mich charmant auf die entsprechende Station argumentieren. Aber der Pinguin!

„Ich würde eben deine Schluppen holen gehen.“

„Fährst du dann direkt? Ist doch noch früh.“

„Neenee. Ich gehe lieber jetzt etwas weiter, bevor ich nach dem Ende der offiziellen Besuchszeit dem Pinguin in die Arme laufe. Und der verzaubert mich dann. Die können sowas!“

„Du weißt schon, dass die uns durch die Tür hören können?“

Das Schwesternzimmer ist direkt gegenüber.

Die Tür geht auf. Reflexhaft suche ich nach der Zwiebackpackung. Der Pinguin bringt lächelnd ein Tablett herein und stellt es auf den Tisch.

„Guten Appetit“, flötet sie.

Ich deute es als gut getarnten Sarkasmus.
Es gibt klare Suppe, Tee und grünen Wackelpudding. Mittags gab es roten. Ausgewogene Ernährung ist das A und O bei einem erfolgreichen Genesungsprozess.

Nachdem ich mich durchringen konnte – ich wurde durchgerungen – die Latschen doch erst gegen Ende der Besuchszeit zu holen, droht der nahende Abschied. Es naht der drohende Abschied. Dann kam der Abschied. Es flossen einige Tränen, die ich natürlich zu trocknen versuchte. Manche Menschen sind eben etwas näher am Wasser gebaut und dafür kann man niemandem einen Vorwurf machen. Es fällt einem dann einfach schwer, den anderen sich selbst zu überlassen. Die Tür geht auf und der Pinguin tritt ein; in der Hand eine Schale, in der sich eine Spritze gegen Thrombose befindet. Er blickt auf, bleibt stehen, legt den Kopf schief und schlägt einen empörten Ton an:

„Also jetzt reißen Sie sich doch mal ein bisschen zusammen!“

„Genau das habe ich ihm gerade auch gesagt.“

Ich denke, meine neuerlichen Vorbehalte Nonnen gegenüber sind zumindest teilweise berechtigt.

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7 Kommentare

  1. Hahaha.. ich lache Tränen… vielleicht hast du Billy Madison angeschaut, bist darüber eingeschlafen und dann wurde der Film Realität:-) Hast du die Schlapfen abliefern können?
    liegrü und gutes gelingen für die OP

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