Meister der Illusion

Ehrentage und gesellschaftlich anerkannte christliche Bräuche bringen mich an meine Grenzen. Das bedeutet, dass ich in mindestens vier Phasen im Jahr unter dem Druck stehe, ja nichts Falsches von mir zu geben. Eigentlich steht man andauernd unter diesem Druck, weil viele Menschen dem Hobby der peniblen Korrektheit frönen. An manchen Stellen ist das mit Sicherheit angebracht. An vielen anderen allerdings nicht. Das ist aber ein anderes Thema.

Gestern gelangte ich mal wieder an einen Punkt, an dem ich nicht mehr weiter wusste und Gefahr gelaufen wäre, zuviel zu verraten, wenn ich nicht eine unglaublich gewiefte Strategie angewandt hätte: In Schweigen verfallen. Während die Frau, die in unserer Wohnung lebt, bei ihrem Großvater verweilte, sich von ihm im Rummikub mehrere Male abziehen ließ und am Ende haushoch verlor, fuhr ich nach Düsseldorf, um eine oder vielleicht zwei, eventuell sogar drei Besorgungen zu machen. Das hatte im Vorfeld schon für Gesprächsstoff gesorgt, zumal ich von der Frau, die in unserer Wohnung lebt, in solchen Momenten der Geheimniskrämerei öfter mal der Vielweiberei verdächtigt werde.

Dazu gibt es wirklich keinen Grund und trotzdem stand ich unter erheblichem Druck, als eben jene Dame zu Beginn unserer Beziehung in meinem WG-Zimmer eine Haarspange fand. In solchen Momenten dürfte sich Schweigen übrigens kontraproduktiv auswirken. Ich wusste, dass es eine von ihr ist. Sie war sich da nicht so sicher. Wir haben uns auf ein Unentschieden geeinigt und darauf verständigt, dass ich fortan unter strenger Beobachtung stehen würde. Dafür werde ich nicht müde, sie gelegentlich darauf hinzuweisen, dass auch sie mal Dinge vergessen kann. Das lässt sich dummerweise an einer Hand abzählen und tatsächlich bin ich derjenige, der öfter mal etwas vergisst.

Gerade eben erst bin ich vom Laufen nach Hause gekommen und wollte eine Maschine mit Wäsche anschmeißen. Dafür ist es notwendig, den Inhalt der bereits gefüllten Maschine noch einmal zu sortieren. Denn ich hatte meine Fußballklamotten einfach dazugelegt, was durch diverse gummierte Applikationen einen speziellen Geruch auf sämtliche sich in der Trommel befindlichen Kleidungsstücke überträgt. Da es die Frau, die in unserer Wohnung lebt, im Alltag bevorzugt, nicht nach Kondom zu riechen, musste der Kram also wieder raus. Dabei sind wir auf zwei Anti-Rutsch-Socken gestoßen. Weder sie noch ich besitzen ein solches Paar Socken, was vor dem Hintergrund, dass ich gestern gute zwei Stunden an einem nicht näher definierten Ort war, eine brisante Geschichte ist.
Zum Glück rief dann ihr Chef an, was ich zum Anlass nahm, meine etwas schmerzenden Fußgelenke unter die Lupe zu nehmen. Und während ich da halbnackt im Bad stand und in einer Pfütze aus Angst- und Sportschweiß kleine, federnde Sprungbewegungen andeutete (was auf gefliestem Boden grundsätzlich zu vermeiden ist!), fiel es mir wieder ein. Ich rannte ins Wohnzimmer und fuchtelte wild mit den Armen. Sie schaute mich mit dem Telefon am Ohr an, verstand nicht, was ich ihr da pantomimisch veranschaulichen wollte, und winkte ab. Die Socken stammen von dem Junggesellenabschied eines sehr guten Schulfreundes, auf welchem wir in einem Trampolinpark waren. Also auf dem Junggesellenabschied. Das war dermaßen anstrengend, dass wir alle gegen 23 Uhr völlig entkräftet waren. Aber es ist durchaus zu empfehlen. Meine Gesten konnten das alles leider nicht vermitteln.

Es folgt: Der Bogen zum ursprünglichen Thema

Auf jeden Fall wäre es so, dass ich im Falle einer Situation, in der ich tatsächlich etwas verbergen müsste, eine Erklärung dermaßen schlecht und gekünstelt vortragen würde, dass man es mir eh nicht abnimmt.

Ich kann einfach unfassbar schlecht lügen. Vielleicht ist das gute Erziehung. Vielleicht auch einfach fehlendes Schauspieltalent. Wobei ich eine Zeit lang ernsthaft über diesen Beruf nachgedacht habe. Der hätte allerdings für meinen Geschmack zu wenig Prunk gehabt, weshalb ich mich für ein Germanistikstudium entschieden habe.
Mir graut schon vor der Zeit, wenn wir mal Kinder haben sollten. Nicht wegen der Kinder selbst, sondern den damit verbundenen Halbwahrheiten. Noch ist es nicht so weit, aber immerhin gibt es schon den Arbeitstitel: Dörthe und Wombat. Dörthe und Wombat müssten sehr schnell mit dem Ernst des Lebens konfrontiert werden, weil ihr Vater einfach nicht in der Lage ist, den Schein zu wahren:

„Papa? Warum liegt das Häschen da am Straßenrand und was läuft da aus ihm raus?“

„Das hat ein Marmeladenbrot gegessen und ist jetzt müde. Das Rote da ist nur Marmelade.“

„Ist es gar nicht.“

„Nein, du hast Recht. Schau mal, das da ist die Leber…“

Das Schlimme daran ist, dass ich es liebe, Überraschungen zu planen, ich aber viel zu aufgeregt bin und manchmal zu viel der Katze aus dem Sack lasse.

„Mama, gibt es den Weihnachtsmann?“

„Ja natürlich.“

Ich würde in diesem Moment total teilnahmslos und unbeeindruckt dreinschauen, was ich für eine meine Stärken halte. Schließlich wollte ich ja mal Schauspieler werden.

„Warum guckt Papa so komisch?“

„Was?! Ich gucke doch ganz normal. Ich habe nur gerade was Lustiges gelesen.“

„Was denn?“, ließe mich die Frau, die in unserer fürstlichen Villa am Stadtrand lebte, brutal auflaufen. Warum tut sie das?!

„Also…hier dieser Artikel. Der ist unfassbar lustig, aber eigentlich gibt es den Weihnachtsmann nicht.“

„Was?!“

„Dafür aber das Christkind.“, würde die Frau, die in unserer fürstlichen Villa am Stadtrand lebte, versuchen, die Situation zu retten.

„Es gibt zwei davon?“

„Ja, es gibt zwei davon?!“, würde ich die Frau, die in unserer fürstlichen Villa am Stadtrand lebte, neugierig und mit großen Augen fragen, um meine gespielte Überraschung zu verdeutlichen.

„Vielleicht.“, würde sie geheimnisvoll flüstern.

„Papa, du guckst viel zu übertrieben.“

„Nein, es gibt sie beide nicht. Weißt du eigentlich , wie teuer eine Playstation ist?!“

Vielleicht wäre es sinnvoll, den Kindern beizubringen, dass Männer und insbesondere Väter grundsätzlich nicht ernstzunehmen sind. In allen anderen Situationen muss ich wohl damit leben, dass ich immer die Wahrheit sagen muss. Andererseits ist das nicht unbedingt etwas, was man negativ bewerten sollte. Zumal es einiges an Stress erspart, den man sich durch das Aufbauen eines intakten Konstrukts aus Unwahrheiten auferlegt. Wiederum andererseits bewegen sich auch manche Artikel im Dampfbloque irgendwo im Nebel zwischen Wahrheit und Fiktion. Ich verrate aber nicht welche…mal sehen, wie lange ich das durchhalte…

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