Der neongelbe Ninja mag keine Listen

Blogger stehen auf Listen. Vielleicht steht das menschliche Gehirn generell auf Listen, was eventuell die Erklärung dafür ist, dass wir unsere Einkaufszettel nicht im Fließtext verfassen. Manch einer erstellt auch im Alltag gern Listen, um ebendiesen zu bewältigen. Dem Trend bin ich nicht verfallen. Sehr zum Unmut der Frau, die in unserer Wohnung lebt. Ich bin der Meinung, dass ich mir alles Notwendige merken kann. Sie sieht das anders. Die Realität sieht das ebenfalls anders.
Damit man sich etwas gut merken kann, sind findige Listenerfinder dazu übergegangen, Listen mit sieben Punkten zu erstellen. Man soll sich derartige Auflistungen wohl besser merken können. Mir ist das egal und sabotiere derartige Vorhaben, indem ich mühsam erstellte Auflistungen ausformuliere. Listen sind mir schlicht zu kurz, weil ein einziger Satz niemals eine komplette Weisheit übermitteln kann. Listen stellen Thesen auf, die uns zum Widersprechen einladen. Folglich bin ich kein Blogger, was mich in eine ernsthafte Identitätskrise bringen würde, wenn ich mich bislang als solcher bezeichnet hätte. Habe ich aber nicht. Da ich per Definition kein listenliebender Blogger bin, darf ich mich also austoben.

Für mich ein Grund, einen kürzlich veröffentlichten Artikel über sieben Ratschläge für neue Motivation fürs Laufen zu kommentieren.


1. Ändern Sie die Laufrichtung

Erster Punkt und schon muss ich mit meinem Vorhaben brechen, diese Liste in jedem Punkt dem Erdboden gleich zu machen. Tatsächlich wird mir relativ schnell langweilig, was mich dazu bewegt, mir auf einer Karte neue Laufstrecken zurechtzuklicken. Über micoach ist das glücklicherweise ohne großen Aufwand möglich. Problematisch wird es dann, wenn die eigene Umgebung nicht unbedingt allzu viele Möglichkeiten bietet, verschiedene Routen zu laufen. Ich bin nicht unbedingt der sogenannte cityrunner, der alle 50 Meter an einer Ampel stehenbleiben muss. Wenn dem so wäre, gäbe es natürlich unzählige Varianten, wie man laufen kann. Ich bin da eher jemand, den es ins Grüne zieht. Das birgt verschiedene Risiken.
Erstens wohnt da allerlei Getier, das nicht selten zornig auf Gesellschaft reagiert. Tiger sind da wohl am gefährlichsten. Vor zwei Monaten allerdings haben Wildgänse deutlich prägendere Eindrücke bei mir hinterlassen und mich beschleicht das furchtbare Gefühl, dass die entschieden haben, nicht gen Süden zu fliegen. Bloß um mich heimzusuchen.
Zweitens bietet die Entdeckung einer neuen Strecke in der Nähe unserer Wohnung zwar einen schönen Rundweg, aber keinerlei Variationsmöglichkeiten. Außer eben die andere Laufrichtung. Was letztendlich aber auch nur eventuell langweiliger Routine entgegenwirkt.

 

2. Neue Strecke

Wie schaffe ich es, eine Liste, zu der mir nur sechs Punkte einfallen, in eine Liste mit sieben Punkten zu verwandeln? Richtig! Man macht aus einem Punkt einfach zwei recht ähnliche.

 

3. Neue Musik

Ich habe generell Probleme mit Musik zu laufen. Ich habe mir vor einigen Jahren eine ordentliche Playlist mit allerhand treibendem Happy-Punk-Stückwerk auf meinen transportablen Plattenspieler gepackt. Ich kam überhaupt nicht in meinen Rhythmus und habe nach zehn Minuten frustriert die Ohrstecker gezogen. Wo wir gerade so gesellig von transportablen Plattenspielern plaudern: Es gibt einen großen Nachteil der CD-Technologie gegenüber der halbwegs analogen Technik. Mit Walkman sprang die Benjamin Blümchen-Kassette nicht, wenn man laufen war. Mein bester Diskman (zurückblickend ein alberner Name) hatte 20 Sekunden anti shock. Also gab es die Möglichkeiten, a) alle 20 Sekunden stehenzubleiben, damit sich die Kiste wieder einkriegt, b) sich darauf zu konzentrieren, das Gerät erschütterungsfrei wie auf Wolken zu tragen oder c) 20 Sekunden Musik zu haben und den Diskman anschließend auszuschalten. Über die Sinnhaftigkeit aller Punkte ließe sich streiten.
Auch bedenklich: Der Verkäufer eines Geschäfts für Unterhaltungselektronik erklärte meinem Vater das Wörtchen „portable“ auf dem Gerätekarton des Diskmans als Modellbezeichnung. Als Strafe für den Verkäufer hat mein Vater den Preis eines Ausstellungsstücks hemmungslos runtergeschachert.

4. In einer Gruppe laufen

Wer hier häufiger einkehrt, wird es schon wissen: Es ist mir fast unmöglich in Gesellschaft zu laufen, sofern es sich nicht um einen Wettkampflauf handelt. (Vorgestern musste ich möglichst dynamisch eine Läuferin überholen, damit mich ihre Schrittfrequenz nicht aus dem Konzept bringt. Der Stress hat mich zwar schneller werden lassen, hat aber zu unerwünschten Röchellauten meinerseits geführt.) Bei Wettkämpfen bin ich viel zu sehr beschäftigt, meinen Körper zu verarschen. Sollten die Beine schmerzen, rede ich mir ein, dass es eigentlich die Atmung ist, die Probleme bereitet. Das lenkt von den Beinen ab, hat aber den Nachteil, dass ich irgendwann Probleme mit der Atmung bekomme. Kein Problem, wenn man noch einen weiteren Schuldigen hat. Denn wenn ich mir nur ernsthaft genug vorstelle, dass ja eigentlich mein Puls einfach zu hoch ist, beruhigt sich die Atmung wieder. Dasselbe passiert mit dem Puls, wenn ich mich mit meinen schmerzenden Beinen ablenke. Das Ganze ist zwar zielführend, macht aber wenig Spaß.
Würde ich im Alltag mit Artgenossen laufen gehen, könnte ich mich nicht genug fokussieren, würde vermutlich nach wenigen Metern über meine Beine stolpern und in den reißenden Fluten der Düssel ertrinken. Ein weiterer tragischer Todesfall, nachdem schon der Schöne Klaus jäh aus dem Leben gerissen wurde. Wer der Schöne Klaus ist? Bald…im Dampfbloque.

5. Alternativ-Training

Diese Logik ist einwandfrei: Du möchtest laufen gehen, aber hast gerade keine Motivation dazu? Du willst das Laufen wieder interessant gestalten? Da haben wir was für dich!

Mach etwas völlig anderes als das, wofür du dich eigentlich aufrappeln wolltest.

Laufen wird also dadurch wieder interessant, dass man es nicht macht.

 

6. Erhöhen Sie Ihre Geschwindigkeit und verkürzen Sie die Strecke

Wenn ich keine Lust habe, laufen zu gehen, kann mich auch der Gedanke daran, dass ich noch schneller laufen könnte, wenig begeistern. Was den zweiten Teil dieses Punkts angeht, ist das eine etwas eigenartige Argumentation. Angenommen, ich möchte das Laufen interessanter gestalten, belohne ich mich letztendlich bloß für meine Faulheit, wenn ich die Strecke verkürze. Anschließend würde ich mich noch beschissener als vorher fühlen, weil ich mir meine eigene Faulheit erfolgreich vor Augen geführt habe. Danach hat man wohl noch weniger Lust, laufen zu gehen.

7. An einem Wettlauf teilnehmen

Das ist ein Punkt, den ich gelten lassen kann, weil ich vorhabe, in diesem Jahr mal an dem einen oder anderen Wettkampflauf teilzunehmen. Unter anderem darauf trainiere ich derzeit, was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass ich seit November trotz Weihnachten bis heute sechs Kilo runter habe. Schön genug, dass ich überhaupt wieder mit dem Laufen begonnen habe. Jetzt ist die 70 näher als die 80 und sollte sich mein Körpergewicht wieder in diesem Bereich einpendeln, wäre auch das erreicht, was mit „unter anderem“ etwas weiter oben gemeint war.


Ich habe in meiner Schulzeit ein Pflichtpraktikum in einer Anwaltskanzlei gemacht. Letztendlich habe ich zwei Wochen lang Akten durchgelesen und bin ein paar mal ins Gericht. Zu ein paar Fällen hat mich mein betreuender Jurist befragt. Einmal beispielsweise wollte er wissen, ob ich denn in der Akte irgendetwas gefunden hätte, womit man der Gegenpartei kräftig ans Bein pissen könnte. Er hat es möglicherweise etwas anders formuliert. Voller Selbstbewusstsein wies ich auf die erdrückende Beiweislage hin (es ging um Drogendelikte im großen Stil), weil man das ja auch so aus Filmen kennt. Was dann folgte, war für mich Grund genug anzunehmen, dass auch im vermeintlich spannenden Beruf des Anwalts der Alltag durch Bürokratie geprägt wird und er dementsprechend langweilig ist. Die Gegenpartei habe die Antwortfrist eines Briefwechsels nicht eingehalten, weshalb die im Schreiben enthaltenen Indizien vor Gericht keine Gültigkeit besäßen. Langweilig!

Durch dieses Erlebnis beeinflusst, ist mir während des Schreibens hier aufgefallen, dass nicht ein einziger Grund wirklich taugt, um mich vom Sofa in meine Laufschuhe zu katapultieren. Am wenigsten übrigens Punkt 5 und 6. Es motiviert mich, laufen zu gehen, wenn ich etwas anderes mache, anstatt laufen zu gehen? Und schneller zu laufen, begeistert mich im Vorfeld auch eher weniger. Erst nachher, wenn ich sehe, dass ich überhaupt schneller gewesen bin. Was das Verkürzen der Strecke angeht: Ich bin mir nicht sicher, ob es so im Sinne des Erfinders ist, fehlende Laufmotivation mit der Verringerung der Distanz zu bekämpfen. Denn danach fühle ich mich noch schlechter, weil ich mir faul vorkomme.

Unterm Strich: Die Liste setzt – wie mein Verdacht im Drogendeliktfalls – an der falschen Stelle an. Kein Punkt (außer der letzte) hilft mir vor (!) einem Lauf, mich zu motivieren. Außerdem muss eh jeder für sich entscheiden, was ihn anspornt. Mir helfen die Vergleiche mit anderen Läufern. Nicht zwangsläufig in Verbindung mit einem Wettkampf. Es motiviert mich schon, wenn ich weiß, dass jemand anderes schneller unterwegs ist und/oder anderweitig Fortschritte erzielt. Denn das will ich auch!

24 Kommentare

  1. Sehr zum Unmut der Frau, die in unserer Wohnung lebt. Ich bin der Meinung, dass ich mir alles Notwendige merken kann. Sie sieht das anders. Die Realität sieht das ebenfalls anders.
    😀
    das erinnert mich (mal wieder) an mich und meinen „Galan“, darum konnte ich gleich doppelt soviel lachen 🙂
    das gute am Laufen mit Hunden ist, es ist immer abwechslungsreich 🙂 vor allem wenn zwei 8-Meter-Laufleinen ins Spiel kommen und Hunde am Feld oder im Wald kreuz und quer laufen … Zum Gruppenlaufen, wenn es in der Nacht stattfindet und Du der einzige mit Stirnlampe bist – gibst Du nach kurzer Zeit das Tempo vor 😀 Hab ich bei der letzten Firma getestet 🙂
    Wettkampflauf kann ganz schön anfeuern – nahm für eben erwähnte Firma an einem Halbmarathon teil (nicht Staffel sondern wirklich die ganzen 21,1 km), lief im Durchschnitt um 1,5 km/h schneller als üblich …

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  2. Ich empfehle zum Laufen den Roten Armee Chor. Klingt jetzt erst mal komisch, aber bei so treibender, siegessicherer, stalinistisch- sozialistisch-kommunistisch-heroischer Musik kann man nur laufen. Entweder motiviert oder davon. Aber das ist ja egal, Hauptsache es wirkt.

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  3. ich höre seit rund einem jahr musik beim laufen. happy-punk kommt dem schon nahe. seitdem bin ich tatsächlich unbewusst schneller unterwegs … stadtläufe sind wirklich so eine sache. laufe oft – du wirst es kennen – berliner allee, jägerhof usw. eine ischung aus stadt und park. volksgarten kann ich kaum noch ertragen. wohnte früher am grafenberger wald. im grunde toll, aber irgendwann ist es nicht mehr spaßig, morgens um sechs permanent ertstmal den berg hochzulaufen. aber grundsätzlich ist monotonie der tod des laufens. kommentar absenden.

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    • Volksgarten der Monotonie wegen oder wegen des Hügels hinterm Deichsee? Die herumlungernden Säufer lockern die Routine dort manchmal etwas auf. Zu meiner WG-Zeit in Derendorf bin ich öfter (eigentlich nur) durch die Stadt gelaufen, weil die Strecke ampelmäßig nur dürftig bestückt war. Allerdings waren das auch nur so gerade eben 5 km, was je nach Vorhaben vollkommen in Ordnung ist. Für Tempoläufe waren es dann aber wieder zu viele Ampeln.

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      • wegen der monotonie. aber bei tempoläufen natürlich wirklich ideal. hinterm deichsee wirds nochmal interessant, botanischer garten, über uni, christophstr oder christopherstr. witzelstr., aber da kommen dann auch wieder die ersten ampeln.

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      • Ach, das ist direkt bei uns die Ecke. Das soll jetzt aber nicht abschrecken. Blöderweise hat man hinten am Brückerbach (den ich ursprünglich irrtümlicherweise für die Düssel gehalten habe) nicht so recht Variationsmöglichkeiten. Noch geht’s, aber das wird mir bestimmt irgendwann auch wieder zu langweilig. Das einzig wahre Problem des Ausdauersports.

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      • Ja, verrückt. Mir kam es vor kurzem etwas eigenartig vor, dass die Düssel an zwei Stellen in den Rhein münden sollte.

        PS: Just in diesem Moment lese ich, dass die Düssel verschiedene Namen trägt: Kittelbach, Brückerbach, Nördliche Düssel, Südliche Düssel. Man lernt nie aus.

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  4. Das schönste an Listen ist, dass abstreichen der erledigten Punkte – so wie das Schönste am Laufen die anschließende Dusche ist … beide Punkte sehr motivierend im Vorfeld um im Nachhinein in Euphorie zu verfallen …

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  5. Nachdem ich mein bisschen Freizeit mit dem Verfassen einer 7-Punkte-Liste, die mich zum Laufen motivieren soll, verbracht hätte, wäre dann dafür keine Zeit mehr. Welch‘ ein Glück für meinen inneren Schweinehund!

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  6. Klingt alles furchtbar logisch, würde aber bei mir auch nicht funktionieren. Ich müsste eine Belohnung am Ziel haben: Eine Pizza, ein paar Schuhe, eine Massage…weiss der Geier! Einfach eine Belohnung! Alles andere würde NIEMALS funktionieren! Abgesehen von der Tatsache, dass selbst dann die Wahrscheinlichkeit verschwindend klein wäre, dass ich jemals zu laufen beginne. Da zottle ich lieber zwei Stunden mit dem Hund durch den Park und die Wälder! 🙂

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