Sie hat Männergrippe!

Maennergrippe_Beitrag

Ich stehe in der Küche und braue Suppe. Für mich hat das Kochen generell immer diesen gewissen Hauch von Budenzauber. Man nimmt Dinge, die man so nirgends finden würde (noch NIE sind mir in irgendeinem Gewässer Paprikagewürz, Salz, Pfeffer und Petersilie aufgefallen) und schmeißt sie in einen großen Topf, der daraufhin anfängt zu schäumen und in seltenen Fällen explodiert. Davon zeugte in meinem Elternhaus lange Zeit ein diffuser dunkler Fleck von einem Meter Durchmesser an der Küchendecke über der Spüle. Die genauen Ereignisse sind mir nicht mehr ganz geläufig, aber an der Situation waren wohl mehrere Faktoren beteiligt. Die Hauptakteure waren eine Pfanne, heißes Öl, ein thermisches Phänomen namens Feuer und der Versuch, ebendieses unter laufendem Wasser zu löschen. Das sollte man vermeiden.

Das Kochen als solches macht mir Spaß. Das Dumme ist bloß, dass Unmengen an Müll anfallen, die beseitigt werden müssen, worauf ich während des Kochvorgangs wenig Lust habe. Das führt zwangsläufig zu Engstellen auf der Arbeitsplatte, die mich enorm stressen. Keine Zeit, aufzuräumen. Professionelle Köche, wie ich es bin, arbeiten schnell und lassen sich von leeren Verpackungen und Gemüseabfällen nicht aufhalten. Und dann geschieht das Unvermeidbare: Möhren sind gesund. Möhren sind traumhaft zu schälen. Dummerweise sind Möhren rund, weshalb es einigen Möhrenstücken möglich ist, vom Schneidebrett zu rollen. Weil die Physik manchmal ein enormes Geltungsbedürfnis entwickelt, rollt das Möhrenstück nicht nur vom Schneidebrett, sondern demonstriert – eingebildet, wie es nunmal ist – seine perfekte Radhaftigkeit, was zur Folge hat, dass es von der Arbeitsplatte auf den Küchenboden fällt, um zielstrebig seine Reise an einen Ort anzutreten, den man nur unter großer Anstrengung erreichen kann. Es macht wenig Spaß, während man kocht den Kühlschrank beiseite zu schieben, um an ein Stück Gemüse zu gelangen, das den unbändigen Drang hatte, den Energieerhaltungssatz und die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen vorzuführen. Und essen kann man es auch nicht mehr, wenn man nicht unbedingt darauf steht, wenig später Gewölle hochzuwürgen.

Von dieser einen Sache mal abgesehen, die im Übrigen auch Zucchinis beherrschen, macht mir das Kochen Spaß. Man erschafft Neues, indem man Dinge verpaart, die miteinander nichts zu tun haben. Das handelsübliche Hühnchen neigt wohl eher selten dazu, sich mit pulverisiertem Gewürz in eine erhitzte Pfanne zu legen, um ein möglichst schmackhaftes Mahl zu werden. Wer kann es ihm verdenken?

Also stehe ich in der Küche und koche Suppe. Denn die Frau, die in unserer Wohnung lebt, ist krank. Sie wurde von der heimtückischsten Seuche des modernen Menschen heimgesucht.
Heute Morgen bin ich aufgewacht. Das mache ich relativ oft, insofern ist das noch relativ gewöhnlich. Ich begrüße das Wesen, das neben mir liegt und erhalte eine Antwort. Geistesgegenwärtig wähle ich die einzig sinnvolle Option, springe aus dem Bett, werfe einen Pantoffel in die Richtung dessen, was gestern noch wie eine Frau klang, stürme schrill kreischend aus dem Schlafzimmer und bewaffne mich mit einem Besen. Stille. Würde jemand von außen durch den Türspoin schauen, er würde einen 30-jährigen Mann in Boxershorts in Verteidigungshaltung seine Schlafzimmertür belagern sehen. In der Hand einen roten Besen von Vileda.

„Gunmooooorng!“, krächzt es nasal von drinnen. „Kannst du mir’n Tee braten?“

Es scheint doch nicht Gollum zu sein. Bei uns wird grundsätzlich alles gebraten. Schwer vorstellbar, dass sonst noch jemand bei Tee vom Braten sprechen würde. Ich lasse meine borstige Waffe sinken und betrete das Schlafzimmer. Noch etwas misstrauisch hebe ich mit dem Besenstiel die Bettdecke auf ihrer Seite an. Es ist tatsächlich die Frau, die in unserer Wohnung lebt.

„Was soll denn der Besen?!“

„Welcher Besen?“, frage ich und werfe den Besen hinter meinem Rücken in den Flur. „Hier ist kein Besen. Ich glaube du bist im Fieberwahn.“

Der Meister der Illusion wähnt sich auf der sicheren Seite.

„Ich habe kein Fieber. Hab ich gerade schon gemessen. Sterben muss ich trotzdem. Ich habe die Männergrippe!“

Ich bilde mir ein, auch mit unerwarteten Situation gut umgehen zu können, weil es vieles gibt, auf das man sich einstellen kann, womit man sogar rechnen kann. Verspätete Züge sind so eine Sache. Todesfälle, bei denen höchstens der Zeitpunkt ungewiss ist. Würde ich eines Morgens tot aufwachen, wäre ich wohl überrascht und ein wenig geknickt, aber es war abzusehen, dass es mal so weit kommen würde. Vielleicht wäre es mir auch egal, weil ich ja tot wäre. Bis jetzt ist ja noch keiner zurückgekehrt, der über seine Erlebnisse als Dahingeschiedener berichten könnte. Auf jeden Fall halte ich mich für Schicksalsschläge gut gerüstet.

Nur mit Krankheiten anderer kann ich nicht umgehen. Nicht, weil ich es nicht ertragen kann, wenn jemand leidet, sondern weil ich das Ganze nicht nachempfinden kann. Meine Erkrankungen der letzten Jahre lassen sich an einer Hand abzählen, sofern diese Hand aus drei Fingern besteht, und beinhalteten eine schwere Erkältung im Alter von 20 Jahren, die fast über zwei Tage anhielt, eine Art Mandelentzündung im Jahre 2010, die sich durch dreitägige Schluckbeschwerden äußerte, und ein schweres Kratzen im Hals im Folgejahr während der Heizperiode. Ach! Und vorgestern hatte ich beim Laufen einen Herzinfarkt, der sich anschließend als ein sich querstellender Rülps entpuppte. Hat trotzdem wehgetan.

Es bleibt also die Erkenntnis, dass ich ein bombastisches Immunsystem habe, worum mich neugeborene Pferde und Delfine beneiden (denn die haben noch keines), und deshalb schlecht mitfühlen kann, wie es einer kranken Person geht. Wie ein empathieloser Psychopath, die immer empathielos sind, weil einen Psychopathen das Fehlen von Empathie erst zu einem solchen macht. Ich muss mich also vorsichtig verhalten. Ich muss das richtige Verhalten erraten. Gerade jetzt, wo sie an Männergrippe leidet.

Ich weiß nicht, wie man sich jemandem gegenüber verhält, der Todesqualen leidet, aber in der Lage ist, darüber zu relativ klar reflektieren. Kurios übrigens, dass sie trotz ihrer Leiden ganz pflichtbewusst ihrer Arbeit nachgehen will.

„Bleib doch besser liegen.“

„Nee, ich muss arbeiten.“

„Soll ich für dich arbeiten (bitte sag nein)?“

„Darfst du nicht. Kannst du nicht.“

„Dann lass mich wenigstens drangehen, wenn dein Chef anruft. Der erschreckt sich sonst.“

Glücklicherweise ist sie so geschwächt, dass sie mir nur so gerade eben einen vernichtenden Blick zuwerfen kann. Merke: Männergrippe lässt die Toleranz für Ironie sinken. Wobei ich tatsächlich versuche, ihr so viel wie möglich abzunehmen. Denn sie erwähnt gelegentlich, dass sie wohl in Kürze dahinscheidet, und das versuche ich durch das Vermeiden von zu großer Belastung zu verhindern. Männergrippe ist übrigens keine tatsächliche Grippe und bewiesenermaßen auch nicht bloß auf Männer beschränkt, was die Frage aufwirft, welches Genie sich diesen Namen hat einfallen lassen.

Ein recht typisches Phänomen der Männergrippe scheint übrigens auch bei Frauen zu sein, dass sie ihre Leiden unverhältnismäßig stärker wahrnehmen, als sie tatsächlich sind, und dies ebenso unverhältnismäßig oft und laut mitteilen. Es ist ein Klischee, dass der Mann im Krankheitsfall gerne zu Übertreibungen neigt. Die Werbung festigt dieses Bild des Mannes als Memme. Nicht zu unterschätzen sind die neuronalen Auswirkungen der Männergrippe auf die Frau. Denn die Frau ist nicht länger in der Lage, ihre natürlichen Widerstandskräfte aufrecht zu erhalten und leidet. Das sagt sie, weshalb ich überhaupt über dieses Wissen verfüge. Ich behelfe mir mit altbekannten Phrasen aus meiner Kindheit, die damals eigentlich zuverlässig funktioniert haben. Eltern glaubt man nämlich bis zu einem bestimmten Alter alles. Das endet irgendwann, weshalb sich folgender Dialog ergibt:

„Ich habe Kopfschmerzen. Das tut so weh.“

„Nein, das tut nicht weh. Du hast dich nur erschrocken. Gleich ist es besser.“

„Es – tut – weh!“

Damit konnte ich nicht rechnen. Bei Kleinkindern funktioniert das Argument mit dem Erschrecken. Strategieänderung: Besserung in Aussicht stellen.

„In 100 Jahren ist alles wieder gut.“

„Das hilft mir jetzt gerade nicht weiter.“

„Aber du wirst wieder gesund. Tolle Sache, oder?“

Sie ignoriert mich.

„Ich denke, ich erfriere gleich. Gleich nachdem ich gestorben bin. Und zu allem Überfluss hat sich gerade die Schutzfolie von der Anzeige des Fieberthermometers gelöst. Wie soll ich mir jetzt sicher sein, dass die Anzeige noch stimmt?! Wir brauchen ein neues Thermometer!“

Das mit der Schutzfolie scheint das größte Übel zu sein. Ich habe vor einigen Jahren mal die Schutzfolie von ihrer Handykamera entfernt, weil ich der Meinung war, dass man das nach einem Dreivierteljahr ruhig mal machen könnte. Es war tagelang Gesprächsthema. Allerdings wechselt ein Gegenstand auch in meinen Augen seinen Status unverzüglich von neu in alt, wenn seine Schutzfolie entfernt wird.

Die Suppe köchelt vor sich hin und verbreitet einen wohltuenden Geruch von zu viel Pfeffer in der Wohnung. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, wird vermutlich husten müssen, wenn sie die etwas zu scharfe Suppe probiert. Ich werde ihre dann folgende Beschwerde über die Schärfe der Suppe ins Land der Unerheblichkeiten verweisen, weil sie auch ohne Suppe husten würde. Meine Arbeit in der Küche ist vorerst getan. Nun wartet die nächste Aufgabe auf mich. Ich gehe zum Schrank im Flur und krame einen großen Schraubenzieher oder -dreher hervor. Aus dem Bad erreichte mich nämlich gerade eben ein Notruf, in dem die Frau, die in unserer Wohnung lebt, ihre Befürchtung äußert, am Klodeckel festgefroren zu sein.

Das ist immerhin ein Problem, mit dem ich arbeiten kann. Der Männergrippe kann ich als ewiggesunder Mensch kaum adäquat begegnen. Schon gar nicht, wenn es sich beim an Männergrippe erkrankten Menschen um eine Frau handelt.


Betroffenen und Angehörigen von Betroffenen kann ich den Besuch folgender Links ans Herz legen. Männergrippe ist ein globales Problem, dem man gar nicht entschlossen genug entgegentreten kann. Die Weltgesundheitsorganisation WHO prognostiziert bereits für 2020 einen durchschnittlichen Männergrippebefall von 82% aller Männer und Frauen weltweit. Dass es sich bei dieser Erkrankung entgegen der landläufigen Vermutung nicht bloß um eine den Mann heimsuchende Schwächung des Körpers handelt, macht sie besonders tückisch. Ebenso, dass man keine Antikörper etwickelt.

Handelt noch heute!
Was auch immer es da zu handeln gibt.

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23 Kommentare

  1. Gute Besserung der Frau die in eurer Wohnung lebt! Und streng dich gefälligst ein bisschen an, sie leidet! Ein Tipp von meiner Seite: Plichte ihr bei, tröste sie und lies ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Und das gilt nicht nur im Krankheitsfall!! LG 😉

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  2. Geistesgegenwärtig wähle ich die einzig sinnvolle Option, springe aus dem Bett, werfe einen Pantoffel in die Richtung dessen, was gestern noch wie eine Frau klang, stürme schrill kreischend aus dem Schlafzimmer und bewaffne mich mit einem Besen. — Au bin schon wieder geplumpst – vor lachen 😀
    Gute Besserung!

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  3. Karotten und Zucchini? Propier mal Erbsen, ich warte schon seit längerem darauf, dass irgendwann hinter dem Küchenschrank eine zarte grüne Ranke rauskommt und die gesamte Küche überwuchert. Das hätte den Vorteil, dass ich die Erbsen dann immer frisch dahätte.

    Mit Männergrippe ist natürlich nicht zu spassen. Außer Hühnersuppe hilft da doch auch C2H5OH, am besten in Form von Klosterfrau, da ist dann auch für den Fall des überraschenden Ablebens -äh -hustens die Absolution gleich mit dabei. Und Du solltest unbedingt rauskriegen, ob die Frau, die in Eurer Wohnung lebt, die behandelbare H37N109-Form der Männergrippe oder das hoch ansteckende, vorgestern frisch mutierte H39N107-Virus erwischt hat.

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    • Klosterfrau ist im übrigen auch Initiator der Männergrippe-Seiten. 🙂 Ist deren Satireprojekt.
      Die chemische Zusammensetzung von Ethanol habe ich übrigens noch dunkel im Hinterkopf gehabt. Die restlichen Kürzel musste ich googeln. Ohne Erfolg. 😀

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  4. Als Frau, die auch selten mal an der Männergrippe leidet, mache ich es dem Mann, der in meiner Wohnung lebt – und dadurch mir – leicht(er), indem ich ihn wegschicke bzw. gegen meine Männergrippe-Selbsthilfegruppe austausche.
    Nur so lange sie anhält, versteht sich.
    Ihm geht’s gut, mir geht’s fix wieder gut, der Beziehung geht’s gut, alles gut. 😉

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  5. Ach Herrje, Frauen können an Männergrippe erkranken? Das ist – für mich- eine furchtbare Neuigkeit. Ich muss mich sofort informieren. Danke für die Links zur Überlebenshilfe.

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  6. […] Und ehe man sich versieht, sind die Kinder vom Spielplatz verschwunden, weil es schon dunkel geworden ist. Daran merkt man, dass man altert. Die Tage vergehen schneller. Dafür bleiben körperliche Leiden länger. Noch im vergangenen Frühjahr konnte ich tönen, dass ich nur einmal pro Jahr krank werde. Ich witzelte noch über die Frau, die in unserer Wohnung lebt, die sich damals eine schwere Männergrippe einfing. […]

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