Sonntagsgedanken

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Mit leichten, vom Nacken ausstrahlenden Kopfschmerzen sitze ich auf dem Sofa unserer Wohnhalle und durchforste mit meiner Tastatur eine interessante Videoplattform, auf der man nach so gut wie allem suchen kann, was es jemals als Video gab. Dass man danach suchen kann, bedeutet nicht, dass man es zwangsläufig findet. So musste ich schon vor einigen Wochen mit Erschrecken feststellen, dass eine Musikkapelle, die meine Kindheit maßgeblich geprägt hat, schlicht nicht auf Youtube vertreten ist. Die Prinzen lassen sich allerdings äußerst gut auf wenig seriösen weil russischen mp3-Servern finden. War das rassistisch? Vielleicht, aber ich bin ein wenig skeptisch, wenn ich als westlicher Mensch, der normalerweise alles Notwendige auf .com, .net oder .de-Domains findet, auf .ru-Seiten geleitet werde.

Es ist 15:42 Uhr und gerade schaue ich nach links, um etwas irritiert festzustellen, dass sich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, die Nase mit Labello einschmiert. Sie hat Männergrippe, was jeder wissen sollte, der den zugehörigen Artikel gelesen hat. Wer ihn nicht gelesen hat, weiß nun vor allem Eines: Sie hat Männergrippe! Ein ethymologisch schon äußerst paradoxer Zustand, schließt der Name Männergrippe doch die Frau als ansteckungsfähiges Material aus. War das frauenfeindlich, weil ich die Frau als Material bezeichnet habe? Man kann sich dieser Tage nicht mehr sicher sein, ob einem die eine oder andere ironische, sarkastische oder flegelhafte Bemerkung nicht eine Klage oder zumindest einen gepflegten Shitstorm einbringt. Und wenn man dem entgegnet, dass es doch nur so ohne groß drüber nachzudenken dahergesagt war, wird es als Beweis der gesellschaftsimmanenten männlichen Unterdrückung gewertet. Soll hier kein Thema sein, aber es nervt ganz enorm, dass man in solchen Diskussionen nur verlieren kann. So sorgte mein Beitrag vom vergangenen Sonntag über die Erwartungshaltung an den Mann für abstrakte Diskussionen, bei denen ich im Prinzip gar nicht mehr so recht sagen kann, worum es überhaupt ging. Fakt scheint aber zu sein: Wir haben alle keine Ahnung. Ein beliebtes Mittel in Debatten. Die Expertise des anderen zu hinterfragen bzw. gar in Abrede zu stellen.

Ich habe eine zeitlang gern versucht, in Diskussionen mitzumischen, die etwas zu emotional geführt wurden. Wenn mir der eine oder andere Kommentar ungerecht, unfair oder schlicht halbwahr vorkam, habe ich versucht, mit Fakten und Sachlichkeit zu schlichten. Das Problem am Schlichten ist, dass es in einer emotional aufgeladenen Situation als Provokation verstanden wird. Und so warte ich auf den Moment, dass die Frau, die in unserer Wohnung lebt, vollverschleiert herumlaufen muss. Das wurde mir zumindest mal prophezeiht (wem nicht?). Ich glaube nicht daran, weil Hysterie selten Recht behält.  Ebenso wurde mir ein ums andere Mal Empathielosigkeit attestiert, weil ich der Meinung bin, Tierhaltung könne nicht pauschal bewertet werden, indem man sagt, dass sie grundsätzlich schlecht ist. Wenn man sich dann noch von Fleisch ernährt, hat man argumentativ einen durchaus schlechten Stand. Idealismus, objektive Standpunkte und Realität kollidieren in solchen Momenten gern einmal miteinander.

Zurück zum eigentlichen Thema dieses Artikels, das nicht existiert. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, hat sich also gerade ihre vom Schnäuzen errötete Nase mit einem feuchtigkeitsspendenden Fettstift eingeschmiert und arbeitet. An einem Sonntag. Ich wollte eigentlich in die Kirche gehen, was massiv gelogen ist, aber es ist Sonntag und da macht man gerne ungewohnte Dinge. Spaziergänge, Kirchgänge, Brötchen vom Bäcker holen. Letzteres ist insofern besonders, als ich während der Woche selten Brötchen holen gehe. Der Umstand, dass man dafür einen Bäcker aufsucht, ist hingegen normal. Das hätten wir dann wohl geklärt.

Ich bin bei Youtube auf ein altes Demo einer Band gestoßen, die wohl jeder kennen dürfte, der zwischen etwa 1988 und 2016 mal in den Charts gestöbert hat. Den Plattenfirmen ging es zu Beginn der 90er finanziell richtig gut, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, und waren deshalb in der komfortablen Situation, herumzuexperimentieren. Das brachte beispielsweise Nirvana hervor und eben eine weitere Band, die zum Inbegriff des Punk-Pop wurde. Mittlerweile sind die Jungs alle über 40, aber noch am Start. Weil mir der neue Kram nicht genug Dreck und Seele hat, gebe ich mir gerade eben diese Demoaufnahmen von 1993 auf die Ohren.

Ich fand es zu Beginn meiner aktiven Zeit als lustiger Musikant immer affig, wenn jemand die alten Zeiten und vor allem die Vorzüge der analogen Audioproduktion pries. Natürlich fand ich solche Leute blöd, weil digitale Musikproduktion eben auch der kleinen Garagenband die Gelegenheit bot, halbwegs saubere Demos aufzunehmen. Folglich wurde die Underground-Szene vom Dilletantismus überschwemmt, wozu ich rückblickend zumindest die anfänglichen Werke meiner ersten Band auch zähle. Danach wurde es besser.
Weil ich prinzipiell mit dem, was sich heute so in den Charts tummelt, wenig anfangen kann, trauere ich ein wenig den analogen Zeiten nach, zumal „älterer Kram“ allein durch den Umstand, dass er analog aufgenommen und bearbeitet wurde, besser und „runder“ klingt (Stichwort: Bandkompression). Kaum ein Künstler spielt heute noch wirklich selbst seine Instrumente. Den Plattenfirmen geht es schlecht, weil sie den Sprung auf den Internetzug verpasst haben. Madonna hat eines ihrer Albem als Gratisbeigabe einer amerikanischen Tageszeitung veröffentlicht, The Rasmus haben 2006 oder 2007 ihre Tour selbst finanziert und geplant und sich damit höhere Anteile an den Einnahmen gesichert. Über Plattenverkäufe kam einfach nicht mehr genug rein, weshalb immer mehr in Eigenverantwortung durchgeführt wurde.

Man muss gucken, wo man bleibt. Man muss neue Wege gehen. Grund genug für mich, in der vergangenen Woche etwas auszuprobieren. Ohne es zu planen, entstanden seit vergangenem Sonntag verschiedene Themen, die sich ironisch mit der aktuellen Gender-Welle auseinandersetzen. Ich habe das Ganze mal „Beziehungswochen“ genannt und bin bei Facebook Gruppen beigetreten, die ich zur Verbreitung der Artikel nutzen wollte. Schlüpfrige Gruppen, schmuddelige Gruppen, denen man erst mit 18 Jahren betreten durfte, was die Frau, die in unserer Wohnung lebt, verstört hat. Mein Gedanke dahinter: Jeder Mensch ist ein potenzieller Leser und wer sich in Gruppen rege über die eigenen sexuellen Vorlieben austauscht, klickt eventuell auf einen Artikel, der sich „Schlaffe Nudel – Frau möchte anonym bleiben“ nennt. Insbesondere, wenn diese Gruppen tausende Mitglieder haben.

Es hat überhaupt nicht funktioniert. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, attestierte mir umgehend, dass ich viel zu kompliziert denke. Möglicherweise hat sie Recht, aber in meinen Augen hätte die Strategie funktionieren können, denn es wurden in diesen Gruppen unter anderem auch humorvolle Inhalte geteilt. Vielleicht war der Beitrag über hängende Nudeln zu abturnend und in den Gruppen tummelten sich zwar potenzielle Leser, die aber wohl in erster Linie potente Leser sind, die keine langen Artikel lesen wollen.

Als dann aus einer ganz anderen Gruppe der Hinweis kam, dass mein Artikel dort nicht passen würde, was hinsichtlich der übereinstimmenden Themen von Gruppe und Beitrag schlicht unmöglich sein kann, wurde mir bewusst, dass man Strategien gelegentlich einfach nicht planen kann. Außerdem habe ich gelernt, dass ich meinen Schreibstil ändern muss, weil „er […] nicht ansatzweise so amüsant [ist], wie er rüberkommen soll“.

Gerade eben zeigte ich der Frau, die in unserer Wohnung lebt, einen Song auf besagtem Demotape, der sich „Walking the dog“ nennt. Dummerweise hat die Frau Anglistik studiert und ist sich der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des Titels bewusst.

„Du treibst dich also in Erotikgruppen rum und zeigst mir jetzt voller Begeisterung dieses Lied?!“

Nächste Woche im Dampfbloque: „7 Gründe, sich schnellstmöglich von mir zu trennen – Teil II“.

8 Kommentare

  1. Natürlich finden sich die Prinzen auch auf YouTube. Die Videos fallen in Deutschland nur der GEMA-Zensur zum Opfer. 😉 Hast du mal versucht, mit einem Dienst wie Proxfree auf YT zuzugreifen und als Server Location z.B. USA auszuwählen?

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