Der neongelbe Ninja hat einen Kampf verloren

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Doch der Krieg wird gewonnen werden! Welcher Krieg? Das, meine lieber Leserschaft, ist das Risiko von Worthülsen, von gedroschenen Phrasen, die um des Phrasendreschens Willen gedroschen werden. Ich müsste ein konkretes Ziel formulieren, dass ich als erreicht markieren könnte, wenn der Krieg gewonnen ist. Nur habe ich keines. Folglich gibt es auch keinen Krieg. Ich möchte etwas abnehmen. Gut, das ist schon passiert, insofern zählt das nicht. Ich möchte beweglich bleiben. Tolles Ziel. Adidas micoach, mein technologischer Ballast beim Laufen, verkündet mir beim Einloggen voller Stolz, dass ich aktuell „in Bewegung“ sei. Das ist eine gnadenlose Untertreibung, denn ich laufe regelmäßig weit mehr, als dass es durch den Ausdruck „in Bewegung“ abgespeist/abgespiesen werden könnte. Andere laufen mehr, keine Frage. Aber ich laufe mehr als wieder ganz andere. Nicht die, die mehr laufen, denn die laufen ja mehr, sondern andere, die weniger laufen als ich. In den vergangenen Wochen musste ich gesundheitlich bedingt ein wenig kürzer treten (haha, wie passend!), weil ich wenig Interesse an einer Herzmuskelentzündung habe, die man sich beim Laufen trotz Erkältung unter Umstanden einfangen kann. Gut, das betrifft nur drei Tage. Davor war ich aber aus Gründen ein wenig eingespannt, weshalb das Laufen wirklich etwas kürzer kam. Aber „in Bewegung“? Das ist die erste Stufe über „entspannt“ und eine Stufe unter „aktiv“. Ist jemand, der nur einmal die Woche läuft „entspannt“, weil er zu wenig läuft, um „in Bewegung“ zu sein? Und wieviel „in Bewegung“ muss man sein, um „aktiv“ zu sein? Und warum juckt mich überhaupt, was mir eine App vorgibt, über mich zu wissen?

Jedenfalls haben wir uns aufgrund meiner jüngsten Eingespanntheit und meines Wahns, unbedingt die 70 auf der Waage zu erblicken, ein Fahrrad ausgeliehen, einen Fahrradergometer, einen Fahrradtrainer, um auch zuhause die Spuren unausgewogener Ernährung zu vernichten. Nach kurzer Diskussion haben wir uns für ein nicht zur Fortbewegung geeignetes Verkehrsmittel entschieden. Die Frau, die in unsere Wohnung lebt, sah nicht ein, dass sie mich auf einem echten Fahrrad durch die Wohnung fahrend ertragen müsse. Die Katze wäre vermutlich an einem Herzinfarkt gestorben und hätte mich anschließend noch penetranter des Nachts genervt. Und ja, das geht. Katzen haben sieben Leben. Oder neun. Außerdem können Katzen vermutlich eh keinen Herzinfarkt bekommen. Sie verteilen welche, indem sie nachts im Flur warten und einem lustvoll ihre Krallen und Zähne in den Waden versenken.

Vielleicht ist es dem Fahrradergometer geschuldet, dass ich neulich erstmals seit langem und in der Form auch überhaupt das erste Mal eine schmerzliche Niederlage einstecken musste. Vorvorgestern Abend habe ich mich für eine Stunde auf die Maschine gesetzt, weil vom Fußballtraining am Vortag die Beine noch schwer waren und ich vorgestern mal wieder die Halbmarathondistanz hinter mich bringen wollte. Vielleicht sogar etwas mehr, denn die im Vorfeld ausgemessene Strecke sollte 24 km lang sein.
Das Problem, wenn man sich etwas vornimmt, ist, dass man sich selbst die ganze Zeit im Nacken sitzt, dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Nun sind Körper in der Regel fehlerhaft. Der Großteil aller Dinge um uns herum macht uns kaputt. Viren, Raubtiere, Laktose, Gerölllawinen: Das alles schadet uns. Schlecht konstruiert sind wir, weshalb sich unsere Körper exakt in dem Moment dazu entscheiden, keine Lust mehr zu haben, wenn es besonders unangenehm wird. Eine kurze Steigung, die eigentlich nicht der Rede wert ist, hat dem Vorhaben „Ich laufe dann mal 24 Kilometer an den linken Rheinufern entlang“ ein Ende bereitet. Plötzlich waren die Beine schwer und der linke Fuß beim Auftreten zickig.

Von da an wären es noch sieben Kilometer nach Hause gewesen, die ich weder abkürzen, noch angenehmer hätte gestalten können. Denn Gegenwind hat kein Erbarmen, wenn man eine Strecke, die man normalerweise innerhalb von ca. 35 Minuten laufend zurücklegt, gehend und bei doch recht frischen Temperaturen hinter sich bringt. Einen Lauf vorzeitig abzubrechen passt mir gar nicht in den Kram, weshalb ich über 50 Minuten Zeit hatte, mich über die Fehlerhaftigkeit des eigenen Körpers teilweise lauthals aufzuregen. Auf dem Rheindeich auf unserer, der rechten Rheinseite, halten sich bei den aktuellen Witterungsbedingungen nicht allzu viele Menschen auf, die sich daran stören könnten. Dementsprechend ausgeschimpft hatte ich, als ich zuhause ankam. Vielleicht war ich auch ausgeschimpft. Interessant, dass zwei Worte ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können. Ausgeschimpft im ersten Fall wäre gleichzusetzen mit fertiggeschimpft. Zweiteres wäre wohl eher wie ein ausschütten zu verstehen. Ich schüttete also meinen Frust über den verkorksten Lauf auf die Rheinwiesen der Volmerswerther Rheinschleife.

Heute sitze ich auf dem Sofa und fühle mich alt. Kälte ist kein Problem, wenn man „in Bewegung“ bleibt. Durch den knapp einstündigen Spaziergang in nassen Klamotten durch den Düsseldorfer Spätherbst im März habe ich Rückenschmerzen. Ich habe derartige Beschwerden nie für möglich gehalten, aber ich habe mir offensichtlich irgendwas verkühlt. Sehr wahrscheinlich den Rücken. Ich darf mich vorerst nicht mehr auf den Bauch legen, was ich gerne mache, wenn ich müde bin. Ich werfe mich bäuchlings auf das Sofa und bleibe regungslos liegen. Problematisch wird es, wenn ich mich wieder bewegen will, weil es sich anfühlt, als würde ich durchbrechen. Also kann ich nicht normal aufstehen, wie es ein normalgesunder Mensch tun würde. Ich bin normalgesund, aber beim Sport stapfe ich zielsicher in irgendwelche selbstverschuldeten Mikroverletzungen, weil ich mir mehr zumute, als empfehlenswert wäre.

Vor einigen Jahren bin ich mehr oder weniger untrainiert beim Fisherman’s Friend Strongman Run mitgelaufen, den die Veranstalter aus unerfindlichen Gründen um 7 Kilometer erweitert hatten. Wusste keiner, weil dem Ganzen eine Fehlmessung zugrunde lag. Wenn man mal ausblendet, dass ich noch nicht mal 18 Kilometer am Stück gelaufen war, sind 25 Kilometer einfach mal sieben mehr. Habe ich gerade ausgerechnet. Steht weiter oben, das hat mir bei der Rechnung enorm geholfen. Auf jeden Fall hat mir dieser unbedachte Umgang mit der Strapazierfähigkeit meines Körpers das linke Innenband im Knie etwas angeritzt. War mir in dem Moment und in den Wochen danach relativ egal, weil ich den unbekannten Schmerz nicht kannte und somit nicht wusste, dass ich mir ein Band angerissen hatte. Das wurde mir erst Monate später bewusst, als ich mit ähnlichen Schmerzen diesmal im rechten Knie zum Orthopäden ging und der mir die Diagnose „Innenbandanriss“ ausstellte.

Um mich nun unter möglichst geringen Schmerzen aus der Bauchlage wieder aufzurichten, muss ich zur Seite rollen. Ebenfalls nicht ganz einfach, weil mein Bewegungsradius auf dem Sofa recht eingeschränkt ist. Folgerichtig vollführe ich eine halbe Körperdrehung und falle zu meiner großen Überraschung in den Zwischenraum zwischen Sofa und Wohnzimmertisch.

Und hier liege ich nun. Ein 30-jähriger Mann in einer misslichen Lage, die er einzig und allein auf seinen unfähigen Körper zurückführt, der die letzten Kilometer eines ansich guten Laufs verweigerte. Der Rücken schmerzt, der Fuß tut weh, was weitere Läufe in den kommenden Tagen unmöglich macht, das linke Knie hat auch irgendwas und durch den Sturz vom Sofa habe ich mir bestimmt schwere Verletzungen zugezogen. Zumindest seelischer Natur. Hoffentlich habe ich durch den Lärm die Frau, die in unserer Wohnung lebt, aufgeweckt, die mich gnädigerweise rettet. Sie liegt ein Buch lesend auf ihrer Sofaseite und schläft. Über einem Buch schlafend liest sie auf ihrer Sofaseite. Sie schläft und hält ein Buch in den Händen. Hoffentlich tritt sie nicht auf mich, wenn sie aufwacht und sich wundert, wo ich bin.

28 Kommentare

      • Damit triffst Du schön den Punkt den ich meinte: Ungeduld und sich-was-beweisen-wollen sind wohl tatsächlich die Hauptursachen für kaputte Bänder&Gelenke. Schon mal Waldläufe probiert? Angeblich ist unebener Untergrund gut für den Bandapparat und die Entwicklung des individuell besten Laufstils. Ist natürlich nix für Kilometerzähler und andere Quantifizierer…

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      • Meine Läufe sind generell ein Mix der verschiedenen Untergründe. Von Asphalt über Kopfsteinpflaster bis Lehmboden in Schleichwegen ist alles dabei. Wollte aber sowieso in absehbarer Zeit ins unerforschte Gelände, um dort laufen zu gehen.

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      • Ja, dieses Leisten-Hüften-Irgendwas-Muskel-Ding … Aber selber Schuld – ich hab keine Ruhe gegeben 😦 allerdings nicht im Sinne von Sport sondern heben … Ich hätte nix schweres heben sollen – ergo nix über einen Kilo – ergo einfach nicht durchführbar – da fällt ja schon eine Mineralwasserflasche raus + Wie von Dir im Artikel erwähnt der neue Racheninfekt, die Stimme kommt erst jetzt langsam retour … Aber nächste Woche Dienstag darf ich vermutlich endlich wieder 🙂

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      • Hatte es verstanden. 😉 Ärgerlich, wenn es derart „kleine“ Wehwehchen sind, die einen rausbringen. Klein deshalb in Anführungszeichen, weil es zumindest in meinem Fall irgendwas unerhebliches ist, was den Bewegungsapparat beeinträchtigt. Dann schon lieber was Eindeutiges wie einen Knochbruch oder so. Da weiß man, woran man ist. 🙂

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      • Du sagst es, ebenso bescheuert, wenn man beim Lauf mit zwei Hunden, ermüdet und deshalb mit Koordinationsschwierigkeiten stürzt und „nix“ hat und sich dann mit einer doofen Bewegung alles Zusammenhaut … darüber sollte ich mal schreiben – das wär schön peinlich …:)

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  1. Woah, 24 Kilometer! Ich fühl mich nach zehn schon so, als wär ich nen Marathon gelaufen ^^ Und hinterher kann ich dann erstmal drei Tage keine Treppen sehen… sehr schön und unterhaltsam geschrieben! Ich fühle mit dir, auch wenn ich mir ein bisschen lächerlich vor komm mit meinen 10 Kilometerchen

    Liebe Grüße
    Svenja

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    • Vielen Dank. Der Witz an der ganze Geschichte ist, dass es für mich nachher keinen Unterschied macht, ob 10 oder 20 Kilometer. Die zehn machen mich ebenso fertig wie die zwanzig, fühlen sich im Kopf aber besser an. 🙂

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      • Ja, und sobald man dann EIN mal weiter gelaufen ist als sonst fühlt man sich zukünftig jedes mal schlecht, wenn man die Kilometerzahl nicht auf Anhieb wieder erreicht ^^

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    • Zum Trost und gegen das lächerlich-Gefühl:
      Ich schaffe 1,5 Kilometer. Momentan sogar nicht mal die. Zumindest nicht laufend, höchstens gehend.
      Dafür bin ich auf dem Ergometer unschlagbar – im ersten Gang.
      Also alles eine Frage der Perspektive 😉

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      • Danke für die Aufmunterung 🙂 Bei mir hat es auch so angefangen und Jahre später konnte ich dann endlich vom Langstreckenlaufen reden ohne rot zu werden, weil die Strecke soo lang eigentlich gar nicht war ^^ Also immer dran bleiben und liebe Grüße, Svenja

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  2. Und da passt es doch wieder: „Sport ist Mord“, des Unsportlichen liebstes Alibi.
    Hervorragende Einleitung, wie ich finde: von gedroschenen Phrasen, die um des Phrasendreschens Willen gedroschen werden.
    VG Rita

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    • Vielleicht kurzfristiger Mord, aber langfristig durchaus als sinnvolle Investition zu betrachten. Für mich fühlt es sich beizeiten aber auch wie purer Selbstgeißelung an. Da muss ich dann durch; außer eben bei obigem Fall, weil es nicht mehr ging.

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  3. läufe abbrechen: schlimm. debakel. niederlage. gerade dann, wenn man sich einen besonders langen vorgenommen hat. dieser unerträgliche spaziergang dann nach hause, bei dem man auch noch schön auskühlt. meinen nächsten lauf widme ich dir.

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