Wie ich Heidi Klum wurde – Mobbende Weiber in Badewannen

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Ich lasse der Spannung wegen einige für die Kandidatinnen quälende Sekunden verstreichen. Am anderen Ende der Leitung atmet diejenige, die meinen Anruf entgegengenommen hat, in den Hörer. Vielleicht hat sie aber auch einfach das Telefon verschluckt, weil sie so hungrig ist. Man sieht die „Meedcheen“ in dieser Staffel recht selten etwas essen. Das war vor einigen Staffeln noch anders, als Heidi so, wie es das Skript verlangte, regelmäßig darauf hinwies, dass man doch jetzt mal etwas Nahrung zu sich nehmen könne. Ich meine mich zu erinnern, dass eine Kandidatin anschließend unter anderem wegen ihres Gewichts rausflog. Sie hatte zugenommen. Diese Sendung ist ein ewiges Wechselspiel zwischen Fassade und dem Einreißen derselben.

Ich wiederhole noch einmal meine letzten Worte.

„Außerdem haben wir ein neues Reiseziel. In eine der absoluten Fashionmetropolen der Welt. Wo sie alle hinwollen.“

„Das hast du schon gesagt.“, knatscht es aus dem Hörer.

Stand das so im Drehbuch? Durfte die das sagen? Ich sehe meine Autorität in Gefahr.

„Dass sie wohl schweige! Ich ziehe hier was durch! Wo war ich? Achja: Wo sie alle hinwollen.“

Am anderen Ende der Leitung setzt irgendjemand an, etwas zu sagen. Anschließend klingt es so, als würde jene Person überwältigt und zum Schweigen gebracht.

„Es geht nach…“

Spannungsvolle Pause.

„…RECKLINGHAUSEN SOUTH CITYYYYY!!!“

Begeisterungsstürme am anderen Ende der Leitung. Die Kunst besteht darin, die Stadt, in die es gehen wird a) spannungsvoll anzukündigen, b) vollkommen ekstatisch auszusprechen und c) irgendwelche passenden englischen Ausdrücke zu verwenden. Die Kandidatinnen werden denken, dass es sich tatsächlich um eine Weltstadt handele. Nachdem die ersten hysterischen Kreischanfälle abgeebbt sind, setze ich noch einen drauf.

„Und anreisen werden wir über den famous Dortmund Airport und werden mit dem taxicab in die South City chauffiert! Dort shooten wir an der legendären Recklinghausen Southstation in direkter Nachbarschaft des Highway A43 mit dem fashion- und liftstyle-Fotograf Mr. Scheuren! Whoooooohh!!!“ 

Weil ich im Hörer ohnehin durch das kollektive Heulen nur noch übersteuertes Zerren höre, lege ich auf. Ich muss mich kurz erholen, nehme mir eine der Modelmappen, die neben mir auf einem Tisch liegen und werfe sie ans andere Ende des Raums, um sie mir vom Kabelträger eilig zurückbringen zu lassen. Das entspannt mich und ich fühle mich bereit, von einigen Niemanden des Produktionsteams zu dem Wagen getragen zu werden, der uns zur Modelvilla fahren wird.

Wie bereits angekündigt, müssen noch ungezwungene Alltagsaufnahmen gedreht werden.

Ein Team filmt die Szene „Mobbende Weiber in Badewanne“. Weil manch einer in diesem Format nicht sonderlich oft oder viel nachdenkt, lässt man die Kandidatinnen mit Klamotten in der leeren Badewanne Platz nehmen. Tommy ist begeistert, während Micky zu bedenken gibt, dass die Zuschauer vielleicht die gestellte Aufnahme als solche entlarven könnten. Tommy ist das egal.

„Wow, Micky! Schau! Awesome Aufnahmen der girls in der bathtub! Ihr kommt alle ganz groß raus!“

Während sich Tommy mit glänzenden Augen seiner Vorstellung hingibt, überrasche ich Peggy-Joelina mit der Nachricht, dass sie ihren Freund in Deutschland anrufen soll.

„Ich will ihn nicht anrufen. Er mag meine Haare nicht. Heidi ist ein Arschloch!“

„Ja…die Haare. Das haben wir mit Heidi schon geklärt. Aber du musst deinen Freund jetzt anrufen. Diese Staffel hat bis jetzt keinen richtigen Negativcharakter. Wir sind gezwungen, outzusourcen. Und da kommt dein blöder Freund ins Spiel.“

„Wow. Outsourcen! Okay.“

Wir haben in der Planung einen großen Fehler gemacht. Den Top 10 der Kandidatinnen schenken wir Lockenwickler. Soweit in Ordnung, hätte man bedacht, dass Heidi an diesem Format eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Und zwar mittlerweile eine Rolle, die so nicht geplant war. Heidi hat sich verändert. Schon am Morgen des Umstylings hat man bemerkt, dass Heidi extrem aufgedreht war. Die Gründe wurden erst später herausgefunden, als das Unheil schon geschehen war. Denn während des Drehs fand sie es witzig, einer Kandidatin, nämlich Peggy-Joelina, eine Kurzhaarfrisur zu verpassen. Das war nicht abgesprochen. Heidi hat mit weit aufgerissenen Augen und irrem Lachen die abgeschnittenen Haare wie eine Trophäe durch das Studio getragen. Das Produktionsteam war stocksauer, der Aufnahmeleiter bekam einen Herzinfarkt und ließ veranlassen, dass Frau Klum vom Set und aus dem Format entfernt wurde. Denn nun stand man vor einem riesigen Problem.

Jedes Mädchen erhält so einen elektronischen Lockenwickler. Das war ein wichtiger Punkt in der gesamten Staffelplanung, weil diejenige, die für den kommenden Job – es sollte um gelockte Haare gehen – den Zuschlag erhalten würde, am Ende auch Siegerin der Staffel sein würde. Das steht von Beginn an fest. Der Kunde sucht nun also das Mädchen mit den schönsten Locken. Dieses Mädchen sollte Peggy-Joelina werden, was seit dem Umstyling unmöglich ist. Denn wo keine Haare, da keine Locken. Es wäre wichtig gewesen, dass Peggy-Joelina diesen Job bekommt, weil das ihr Ticket für die nächste Runde gewesen wäre. Nun müssen wir sie aufgrund ihrer fehlenden Locken, und weil sie deshalb den Job nicht bekommen wird,  rausschmeißen. Ein trauriger Abgang, denn zu allem Überfluss wird sie mit ihrem geschenkten Lockenwickler in den kommenden zehn Monaten nichts anfangen können. Und wir stehen vor der Schwierigkeit, eine neue Siegerin zu wählen. Das liegt außerhalb des Kompetenzbereichs eines jeden hier. Entscheidungen kann niemand treffen. Der Drehbuchautor ist gerade auf Mallorca und kann nichts umschreiben. Also müssen die kommenden Staffelfolgen mit Belanglosem gefüllt werden.

„Ich liebe dich.“, knarrzt gerade Peggy-Joelinas Freund aus dem Lautsprecher.

„Me too.“, antwortet Peggy-Joelina.

Mit Belanglosem können sie schonmal dienen. Das ist gut zu wissen.

Heute steht noch ein Dreh an. Es soll eine Szene vor dem Altar mit einem hässlichen Briten gedreht werden. Das ist zumindest der Plan. Nun haben wir keinen wirklich hässlichen Briten gefunden, weshalb wir die Kandidatinnen und vor allem die Zuschauer irgendwie davon überzeugen müssen, dass es sich tatsächlich um einen hässlichen Briten handelt.

„Heute shooten wir mit einem hässlichen Briten vor einem Altar. Wichtig ist, dass wir heute alles in einem Take drehen. Mit einem Malemodel. Es ist ein hässlicher Brite.“

Er ist nicht annähernd so unästhetisch, wie es dem Zuschauer suggeriert wird. Möglicherweise weiß der durchschnittliche Zuschauer nicht, was Suggestion ist und kann deshalb nicht unterscheiden, ob etwas Realität oder vorgefertigte Meinung ist. Vorurteile sind alles in dieser Sendung. Und wenn jemand vollkommen überzeugend vortragen kann, dass der eigentlich nicht wirklich hässliche Brite ein hässlicher Brite sei, dann akzeptiert man ihn als hässlichen Briten. Psychologie ist einfach. Jedes Mädchen hat einen Text, den es aufsagen soll. In einem Fall soll die Kandidatin den hässlichen aber in Wirklichkeit nicht so hässlichen Briten vor dem Altar verlassen. Sie macht es sehr, sehr schlecht, was ich ihr beim Entscheidungswalk mitteile.

„Irgendwie ist da eine große Diskrepanz zwischen dem, was du sagst, und dem, wie du es sagst. Verstehst du?“

„Wow! Danke!“

Sie versteht nicht. Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen, schicke die Kandidatin unberechtigterweise mit Foto wieder hinter die Kulissen und lassen das nächste Püppchen antanzen. Tommy ist hin und weg, weil es sich um eine der Kandidatinnen handelt, die vorhin in der leeren Badewanne gesessen haben. Micky schläft schon seit einiger Zeit und kann nicht eingreifen.

Tommy: Wow, Micky! Sie acted really cool, Micky!“

Micky: „…“

Tommy: Hahaha, Micky! Wenn das mit dem Modeln nichts wird, Micky, könnte die Jamie-Fontanella Schauspielerin werden!“

Micky: „…“

Jamie-Fontanella: „Oh wow! Das hat noch nie jemand zu mir gesagt. Danke für das Kompliment.“

Ich: „Ja, Tommy hat vollkommen Recht. Und wie gut, dass wir gerade darüber sprechen. Ich habe heute nämlich kein Foto für dich.“


Aufregende Erlebnisse aus der Mode-Metropole Recklinghausen und ihrem Lifestyle-Stadtteil „Süd“ und wie Peggy-Joelinas Freund für viel Geld nach Amerika geflogen werden musste, erfahrt ihr bald hier oder ganz woanders.

Außerdem empfehle ich die Lektüre der vorherigen Teile „Wie ich Heidi Klum wurde“ und „Wie ich Heidi Klum wurde – Kühe, warum sie so ein Gesicht machen“

8 Kommentare

  1. “…RECKLINGHAUSEN SOUTH CITYYYYY!!!”

    THAT really made my day! 😀
    Da bin ich geboren. Gut, vor der Erfindung von GNTM, ist logisch. Aber nicht – wie böse Zungen behaupten – vor Erfindung des Fernsehens. Recklinghausen-Süd. Ein Brüller!

    Der Drehbuchautor ist gerade auf Mallorca und kann nichts umschreiben.

    Du willst jetzt nicht behaupten, das sei alles gar nicht echt? Das ist..geskriptet?

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