Er ist ein grammar nazi, aber ein toleranter

2016-04-28 14.24.30

„Ich tippe, der kommt gegen 15 Uhr.“, sage ich zu der Frau, die in unserer Wohnung lebt.

„Ich hoffe einfach, dass der früh kommt wegen des Spazierengehens.“

Wir gehen seit Neuestem spazieren. Wobei das auch nicht so neu ist, denn schon vor einigen Wochen war es nicht ungewöhnlich, dass wir mal über die Felder streiften, was ich in einem Beitrag über altmodisches Gehabe bereits gebührend erwähnte.

„Hmja, ich denke der kommt noch später. Gegen 16 Uhr.“, verbessere ich meinen Tipp.

Ob er besser ist, wird sich zeigen, wenn er denn erschienen ist. Was auch auf den heiligen Geist passen würde, betrifft einen Handwerker. Einen Elektriker, um genau zu sein. Der möchte oder muss sich unsere Verteilerdose im Keller anschauen, neu einpegeln und dann im Wohnzimmer an der Telefondose das Signal kontrollieren. Damit er dies zu unserer Zufriedenheit auch tun kann, muss er eben zunächst erscheinen.

Es ist ein dummer Zufall, dass wir jetzt darüber informiert wurden, dass unsere Leitung eine Störung aufweise, nachdem ich vor Kurzem erst jemandem von den Vorteilen einer dicken Leitung das Internet betreffend berichtete. Die Störung äußerte sich in den vergangenen Wochen durch regelmäßiges Abschalten des Routers, weshalb wir beim Kundenservice anriefen. Und der bot uns diverse Zeitfenster an, innerhalb derer ein Techniker hier aufschlagen könnte. Letztendlich geht es bei der Terminabsprache nur um den Tag. Die Uhrzeit ist niemals eine konkrete, weshalb wir zwischen „wochentags von 12 bis 17 Uhr“ oder „am Wochenende zwischen 12 und 17 Uhr, könne aber auch 17.30 Uhr werden, das wisse man nie“ wählen durften.

Wir nahmen den Donnerstag und weil wir nun an unsere Wohnung gefesselt sind, nutze ich die uns gegebene Zeit zum Bloggen. Oder Bloquen. Wobei das vom Wortklang nicht mehr der eigentlichen Bedeutung entspricht. Interessantes Thema, diese Sprache. Vor allem, wenn man sie nicht nur spricht, sondern sich auf eine Metaebene begibt und über Sprache spricht.

Ich bin – und das habe ich glaube ich an anderer Stelle schonmal zum Besten gegeben – eher der konservative Typ, wenn es um Sprache geht. Konservativ hat hierzulande oftmals einen negativen Beigeschmack, den ich ein stückweit nachvollziehen kann. Andererseits spricht nicht viel gegen die Einstellung, Bewährtes zu bewahren. Vielleicht tendiert der aktuell um sich greifende Konservatismus zu sehr in eine pseudorevolutionäre Vision und wird deshalb mit Skepsis betrachtet. Ich vermag es nicht zu klären und darum geht es hier auch nicht. Ich halte jedenfalls viel von Regeln, die unsere Sprache ordnen. Sei es die Grammatik oder Rechtschreibregeln, wobei diese stark aufgeweicht wurden. Ich habe in der Grundschule stets gute Diktate geschrieben und auch das letzte in der 6. Klasse war tadellos. Ich befürchte, dass Diktate heute kaum mehr relevant sind, denn bei 50% aller unklaren Schreibweisen stellt sich heraus, dass zweierlei richtig ist. Beispiele gibt es genug: aufwendig – aufwändig, desweiteren – des Weiteren, Stengel – Stängel.

Im Bekanntenkreis wird der Hang zur korrekten Schreibweise als Folge meines Studiums bewertet, was bei genauerer Betrachtung des Studienfachs Germanistik ein Trugschluss ist. Denn man lernt dort alles Mögliche, aber eben weder Grammatik noch Rechtschreibung. Grammatik zwar in Teilen, aber da geht es eher darum, die Struktur hinter der Sprache zu verstehen, nicht darum, Regeln zu verinnerlichen. Alles hochtheoretisch. Erfahrungsgemäß beherrscht ein Teil der Studenten auch nur begrenzt die Regeln und schließt trotzdem sein Studium erfolgreich ab.

Das löst in mir einen Konfikt aus. Nämlich einen zwischen dem Sprachpedanten und dem Linguisten in mir. Linguistik war mein Zweitfach und das bringt mich in ein Dilemma. Von der linguistischen Warte her gibt es nämlich kein richtig oder falsch, was recht einfach zu erklären ist. Sprache ist nicht Schrift und selbst ordentlich abgelesener Text sieht transkribiert wieder ganz anders aus. Die Grenze zwischen guter und schlechter Sprache lässt sich also schwer verteidigen. Es gibt gute und schlechte Texte, aber selbst im schriftlichen Bereich wird die Richtigkeit kontinuierlich aufgeweicht. Das beweist unter anderem die Textproduktion in sozialen Medien. Als jemand, der richtiges Schreiben als erstrebenswerte Fähigkeit erachtet, musste ich mich damit abfinden, dass ich offenbar ein sogenannter grammar nazi bin.

Warum es verwerflich sein soll, korrekt schreiben zu können, muss mir noch jemand plausibel erklären, aber man lässt sich nunmal nicht gern verbessern. Das sei ohnehin nicht so wichtig. Naturwissenschaftler schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn man ihrem Fachgebiet die Relevanz im Alltag abspricht. Philosophen sind empört, wenn man deren Ausführungen als belangloses Geschwafel abtut. Und ich als jemand, der sich mündlich und schriftlich wohlgeformt ausdrücken kann, bin erschüttert, wenn jemand das als unerhebliche Fähigkeit abtut. Immerhin: Ich werde Texter und profitiere von meinen Fähigkeiten. Ebenso die Frau, die in unserer Wohnung lebt, die aufgrund ihrer Lektorentätigkeit immer Beschäftigung haben wird. Die großen Verlage wollen sich zwar keine Lektoren mehr leisten, aber offenbaren dadurch erst, dass es bitter nötig wäre. Was in Zeitungen abgedruckt, in Untertitel hingeklatscht, in Sendungen aus dem Off gesprochen wird, hätte oftmals einer Korrektur bedurft.

Problematisch an der Kritik daran ist nur Folgendes: Ansprüche sind subjektiv und Kommunikation funktioniert einzig aufgrund der Ähnlichkeit verschiedener Begriffe zueinander. Ein Muttersprachler versteht also einen Satz wie „Ich Tarzan, du Jane.“, obwohl er grammatikalisch verkümmert ist. Das ist übrigens ein Phänomen sogenannter Kontaktsituationen, die sich vor allem zu Kolonialzeiten zuhauf ergaben. Um sich mit den Einheimischen zu verständigen, musste man sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen. Zugunsten der Kommunikation opferte man die Flexion von Worten. Diesbezüglich ist das Deutsche übrigens vergleichsweise kompliziert, weil Flexion nicht nur einzelne Worte sondern auch die Syntax betrifft. Robinson Crusoe beschreibt im Grunde auch die Entstehung des sogenannten Pidgin, einer behelfsmäßigen wörtlichen Kommunikation. Daraus können sich halbwegs selbstständige Sprachen, die Kreolsprachen, entwickeln, die weitervererbt werden. In Namibia existiert heute noch das sogenannte Küchendeutsch. Die Kontaktsituation gibt es dort heute nicht mehr, aber die Sprache hat sich gehalten und man versteht sie.

Das alles macht den fehlerhaften Umgang mit Sprache nicht richtig, aber relativiert auch ein wenig die Kategorie falsch, die es in der Kommunikation eigentlich nicht gibt. Man kommuniziert oder eben nicht. Und selbst da stößt man an bestimmte Grenzen, weil selbst fehlende Sprache etwas ausdrückt.

Mein Vater sagte oft spaßeshalber Sätze wie „Bist ich’s oder bin du’s?“, also absichtlich falsche Konstruktionen. Der Witz an der Sache ist, dass man es versteht. Und ich bin trotz aller Ansprüche niemand, der jemandem im Internet beispielsweise seine Fehler vorhält. Zunächst einmal wäre ich damit ganztags beschäftigt und weiter ist es tatsächlich unerheblich. Manchmal mache ich es trotzdem, nämlich wenn es meine Argumentation stützt. Vor Kurzem geriet ich in eine Diskussion mit einem nennen wir ihn „um die Reinheit des Deutschen und der Deutschen bedachten Bürgers“. Wer auf der einen Seite fordert, dass Flüchtlinge tadelloses Deutsch beherrschen müssen, um hier leben zu dürfen, auf der anderen Seite aber Fehler an Fehler reiht, den weise ich gern darauf hin, dass „hören“ trotz seines nicht von der Hand zu weisenden Zusammenhangs mit den Ohren nicht „höhren“ geschrieben wird. Diese Schreibweise hat er dann noch eine Weile verteidigt. Da bin ich gerne Klugscheißer.

Ansonsten muss ich wohl damit leben, dass ein Teil in mir bei folgendem Satz seelische Qualen leidet, während ein anderer Teil einverstanden sein muss:

„Warst ich es oder bin du es geseid?“

Grammatikalisch lässt sich jedes Wort für einen Muttersprachler bestimmen. Man weiß zwar, dass da einiges falsch ist, aber die Funktion der Worte innerhalb des Satzes erschließt sich aus der Position, an der sie stehen. Und das ist Sprache nunmal: funktional.

Rechtschreibfehler und Ungrammatisches kann ich trotzdem nur schwer akzeptieren!


Sogar auf Facebook ist Sprache. Ganz viel! Andauernd! Und keiner merkt’s!


Denkaufgabe für zwischendurch:
Erkläre einem Nichtmuttersprachler den Unterschied zwischen umfahren und umfahren und erkläre ihm, warum mit zwei identischen Worten die zwei grundverschiedenen Sätze „Ich fahre dich um.“ und „Ich umfahre dich.“ gebildet werden können und warum nur eines zu empfehlen ist.


Update:

Der Techniker kam um 15:56 Uhr. Seine erste Amtshandlung war der Gang auf die Toilette und danach blieb er noch eine Stunde lang. Unsere Wortwechsel ließen sich auf einer viertel DIN A4-Seite zusammenfassen.

33 Kommentare

  1. Der Imperativ „Umfahren wir ihn!“ ist ja, wie ich finde, noch gefährlicher, wenn er falsch verstanden wird trotz richtigem Satzbau.
    Und weiter oben fehlt ein e.
    Es ist schon 4, wo bleibt der denn??

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  2. Ich hatte in Diktaten auch immer eine glatte Eins. Und war immer beleidigt, wenn der Lehrer doch irgend einen Fehler gefunden hatte, welchen ich dann immer ausdiskutieren wollte. Bei vergessenen Kommata ging das aber eher schlecht. 🙂

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    • Die einzige Änderung, die ich als solche wirklich wahrgenommen hatte, war die „ß/ss“-Anpassung und (exemplarisch) das Trippel-„f“ bei „Schifffahrt. Habe ich aber recht schnell übernommen, weil das für mich tatsächlich intuitiv die richtige Variante war.

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  3. umfahren, eine echte Denksportaufgabe für meinen Unterricht, ich gebe das mal an die anderen Deutschlehrer weiter 🙂
    Mein Sohn versaut sich auch in der 11. Klasse immer noch die Deutscharbeiten weil er kaum Kommas setzt :-((( – das macht bei ihm meist eine Note nach unten aus….

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  4. Den Titel „grammar nazi“ sollte man ja mit Stolz tragen, weil heutzutage viel zu wenig auf die Sprachpflege Wert gelegt wird. Nur leider ist da dieses ungustiöse ‚Nazi‘ drin. Aber „grammar Pedant“ hat sich noch nicht durchgesetzt. Mir wird auch gelegentlich vorgeworfen, dass ich dieser Gattung angehöre. Dabei gehörte es bei uns zu Hause einfach dazu, sich gegenseitig auf Fehler aufmerksam zu machen und sie zu verbessern (könnte daran liegen, dass mein Vater Sprechbildner war – heute heißt das offenbar Sprecherzieher – aber das ist nur eine vage Vermutung).
    Falsche Präpositionen und Fälle tun aber auch wirklich in Ohren und Seele weh:
    „Ich fahre auf [Name der Stadt] „, und mein besonderer Liebling: „Ich habe schon auf euch gedenkt!“
    Der Genetiv hat es auch so furchtbar schwer in der gesprochenen Sprache: „Der Vater von dem Y hat mir dem Y sein Rad gezeigt“
    Aber wegen dem Liebsein 😉 wäre es dann halt, dass man sich manchmal nur auf die Lippen beißt … (oder man nicht ständig die eigene Schwiegermutter kritisieren will)

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    • Das „nazi“ stört mich auch kolossal, weil dadurch suggeriert wird, dass sprachliche Korrektheit abzulehnen ist. Irgendwo habe ich mal den Satz aufgeschnappt „Höre auf die Streber. Nur von ihnen kannst du lernen.“ Das trifft es finde ich ganz gut.

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      • Das liegt auch ein bisschen daran, dass fleißige Menschen, die gerne und viel lernen (wollen) leider sofort als Streber tituliert werden.
        Dieser Begriff wird mir übrigens auch zugeschrieben, besonders gerne von meinem Mann, der mich in der Schule noch gar nicht kannte; wobei er auch ein guter Schüler war, aber zu frech für einen Streber 😉

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      • Mir hängt dieser Titel nicht an, was daran liegt, dass ich oft minimalen Aufwand betreibe. Die meisten meiner Vorträge in Seminaren habe ich am selben Morgen zurechtgebastelt. Ist ein riskantes Spiel, aber bisher hat es geklappt.

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  5. Umfahren und umfahren sind ja nun im Schriftbild gleich.Beim Sprechen ergibt sich dann der Unterschied. Von diesen Verben haben wir ja noch ein paar mehr. Übersetzen – fällt mir da sofort noch ein.

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    • Blöderweise analysiert man Sprache im Seminar dann doch eher schriftlich und muss sie auch in einer Arbeit schriftlich erklären. Der Kelch ist glücklicherweise an mir vorübergegangen. War eine mündliche Prüfung. 🙂

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  6. Korrekt schreiben zu können ist mit Sicherheit nicht verwerflich. Womit viele ein Problem zu haben scheinen, ist, dass man sie auf ihre Defizite bezüglich Grammatik und Rechtschreibung hinweist. Das habe ich zumindest so kennengelernt, ich hatte in Deutsch aufgrund der Diktate auch nie Probleme. Die sind erst aufgetaucht, als es keine Diktate mehr gab und ich plötzlich selbst etwas verfassen und mit der Zeit immer mehr meine eigene Meinung einbringen sollte. Diese scheint meistens am Thema vorbeizugehen.^^

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  7. Du schreibst mir aus tiefster Seele. Meine Fußnägel sind schon rund, so häufig, wie diese sich aufrollen bei dem, was einem täglich so an geschriebener „Sprache“ über den Weg läuft.

    Bin ein Rechtschreibungs-„Junkie“, was einem nicht nur gutes Feedback gibt – den Ausdruck „grammar nazi“ werde ich mir deshalb mal gut merken 😉

    Schlimm finde ich, wie selbstverständlich es ist und sich niemand daran zu stören scheint. Egal, ob die Bäckerei nebenan „Vanillegipfel“ verkauft, oder der Supermarkt „Einwäcktüten“. Schlimmer geht natürlich auch immer. Beispiele gibts en Masse.. Facebook, Twitter etc..

    Oh, ich mach auch Fehler, ich behaupte gar nichts gegenteiliges. Aber wenn schon erkennbar ist, dass es dem Verfasser/der Verfasserin vollkommen wurscht ist, wie er /sie schriftlich daherkommt, dann interessiert mich die inhaltliche Ebene schon nicht mehr. Kann da nichts für, ist einfach so.

    Ein Schreiben ist (für mich) so etwas wie eine persönliche Visitenkarte – und wenn die total verranzt ist, dann hält sich mein Interesse an der Person dahinter ziemlich in Grenzen. 🙂

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  8. Ich schließe mich meiner Vor-Schreiberin AS voll und ganz an: Wenn ein Text hinsichtlich Rechtschreibung und Grammatik lieblos verfasst wurde, erlahmt mein Interese an ihm auf der Stelle. @AS: Ich habe eben bei dir reingeschaut. Einen tollen Blog hast du da 🙂

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