Der Morgen des Goldgräbers

2016-05-15 21.21.08

Es ist Montagmorgen und ich habe zu tun. An Pfingsten. Pfingstmontag sollte man nichts zu tun haben und um diese Uhrzeit noch arglos im Bett liegen. Das tat ich auch. Als um 6 Uhr der Wecker klingelte, stand ich in dem Bewusstsein auf, dass ich nun noch etwa zwei Stunden zu meiner freien Verfügung hätte. Was man in dieser Zeit alles bewerkstelligen könnte. Ich könnte mir einen Kaffee machen, mich ins Wohnzimmer setzen und dort die Erzeugnisse meines gestrigen Schreibwahns begutachten. Texte sind gelegentlich am Tag nach der Produktion deutlich schlechter als man es gedacht hatte. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und so ähnlich ist es mit Texten. Eigentlich ist es mit Texten ganz anders, aber das passt mir gerade so gut in die vom Pathos geschwängerte Situation. Denn ich habe einen Auftrag erhalten. Er wurde mir vermutlich des Nachts hinterlassen, auf dass ich ihn am frühen Morgen fände und annähme. Ihn abzulehnen, ist keine Option. Damit zöge ich den Unmut diverser Lebewesen auch mich. Die zwei Stunden, bis ich zur Arbeit muss, gilt es weise zu nutzen. Denn mein Zeitmanagement entscheidet über Ge- oder Misslingen des Auftrags. Der Kaffee ist längst gemacht. Er wird warten müssen. Er muss. Ich habe einen Auftrag. Ich bin ein Goldgräber.

Mit der Schaufel in der Hand hocke ich auf dem kalten Boden und wische mir mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. Die Hand möchte ich nicht benutzen. Der Dreck würde mein Gesicht verunstalten und ich habe die Befürchtung, dass Rückstände des so wertvollen Stoffs auf diese Weise ein für alle mal verloren gingen. Von Hand auf die Stirn übertragen, von dort durch das allzu menschliche Transpirieren abgewaschen und in den Bart gespült, um nach getaner Arbeit beim vollzogenen Duschvorgang seine letzte Reise durch die Kanalisation dieser Stadt der Goldgräber anzutreten. Möglicherweise verbliebe der Stoff auch im Bart und würde mich nach und nach vergiften. Wer kann das schon so genau sagen?

Die kleine Schippe dient mir gleichmaßen als Schaufel und Sieb. Der grobe Sand birgt Schätze, die es zu entdecken, möglicherweise zu erkunden gilt. Entsprechend angespannt ist dieses Szenario. Ein Goldgräber muss seine Umwelt ausblenden, sich voll und ganz auf seinen Auftrag fokussieren. Die Schätze sind oftmals nicht viel größer als die Körner des Sandes, der sie beherbergt. Ich muss sie finden. Muss! Mein Auftraggeber war in seiner Botschaft deutlich, selbst ohne die Verwendung von Worten. Er verwendet selten Worte, um klarzustellen, welcher Dienst durchzuführen ist. Ich gehorche.

Der Schweiß bildet Perlen auf meiner Stirn, doch in der aktuellen Phase der Suche kann ich unmöglich einer solchen vergleichsweise unerheblichen Sache Beachtung schenken. Zu groß ist die Gefahr, einen Schatz zu übersehen. Die Augen stark zusammengekniffen, die Augenbrauen ernst zusammengezogen, die berühmte Zornesfalte bildend. Nicht blinzelnd. Die Augen brennen. Es ist kaum noch Sand in der Schaufel. Die Wahrscheinlichkeit, dieses mal etwas zu finden, wird geringer. Der Schweiß kitzelt auf der Stirn. Vielleicht kann ich doch einmal kurz mit dem Arm über die Stirn…

Was war das? War da etwas? Die Augen waren nur kurz geschlossen und doch hat dieser kurze Augenblick gereicht, um eventuell ein wichtiges Detail zu übersehen. Ich darf nicht in Panik geraten. Den professionellen Goldgräber zeichnet eine stoische Ruhe aus, die angesichts der inneren Unruhe geradezu paradox anmutet. Und doch wühle ich mit meiner Schaufel erneut hektisch im groben Sand. In der Hoffnung, den offenbar übersehenen Schatz doch noch zu finden. Nur Sand dieses Mal. Kein Erfolg. Vielleicht war da doch nichts, was ich übersehen habe. In der Ferne höre ich die Geräusche der erwachenden Stadt. Hier bin ich isoliert. Keiner kann stören. Keiner soll stören. Das hier ist mein Revier! Das meines Auftraggebers. Da! Wieder! Fast hätte ich es übersehen. Doch obwohl mir das Objekt der Begierde von der Schaufel fiel, finde ich es beim zweiten Versuch auf Anhieb wieder. Glücksgefühle breiten sich in meiner Brust aus. Das beflügelt! Und so siebe ich den staubigen Sand, sortiere aus, untersuche, begutachte, um ja nichts zu übersehen. Noch eine Stunde bleibt mir.

Ich habe es geschafft! Die Schätze sind geborgen, der Sand rein und für mich nun uninteressant. Soll doch jemand anderes hier nun sein Glück versuchen. Er würde nichts mehr finden. Mein Kaffee ist mittlerweile kalt. Ich trinke ihn dennoch, um mir die verbrauchte Energie zurückzugeben. Er schmeckt zum Kotzen, aber da ich mir anschließend noch einen machen werde, den ich in den mir verbleibenen fünfzehn Minuten trinken werde, ignoriere ich den pelzigen Geschmack und stürze mir das koffeeinhaltige Getränk in den Hals. Ich stehe unter leichtem Stress, denn in fünfzehn Minuten müsste ich nicht nur den Kaffee getrunken sondern mich auch geduscht haben. Machbar, aber mit einer gewissen Hektik verbunden. Deswegen versuche ich die Zeit, in der mein Kaffee durchläuft, bewusst für Entspannung, für die so gern zitierte Entschleunigung zu nutzen. Ich entschleunige mich also und genieße diese eine Minute, in der das Wasser zu kochen beginnt. Die Kaffeepads sind bereits eingelegt und mit dem Betätigen des Knopfes für eine große Tasse Kaffee beginnen weitere 20 Sekunden der Pause.

Mit dem Kaffee schlurfe ich ins Wohnzimmer, werfe beiläufig einen Blick ins Badezimmer und gehe weiter. War da nicht gerade…? Ich bleibe stehen, gehe zwei Schritte zurück und sehe genauer hin. Der Auftraggeber hat eine neue Botschaft hinterlassen. Dieselbe wie vor etwa anderthalb Stunden. Er war nicht zufrieden und bringt sein Missfallen über meine unbefriedigende Arbeitsweise zum Ausdruck. Abermals ohne Worte. Den Auftraggeber habe ich kurz zuvor noch forthuschen sehen, die Nachricht muss also noch sehr frisch sein. Ich stelle meinen Kaffee auf den Schuhschrank im Flur, krempele die Ärmel hoch und hole mir eine Rolle Küchenpapier. Die werde ich benötigen.

Die Katze hat erneut aus dem Katzenklo hinausgepisst, wie sie es zu tun pflegt, wenn sich für ihren Geschmack zu viele Katzenhäufchen im groben Sand des Katzenklos befinden. Die gilt es nun mit einer Schaufel, die in der Lage ist, den Kot aus der Katzenstreu zu sieben, zu entsorgen. In etwa zehn Minuten. Danach schnell duschen, damit mir eventuelle Rückstände des Inhalts vom Klo nicht im Bart hängenbleiben. Also ergreife ich die Schaufel und begebe mich auf die Suche nach den noch unentdeckten Katzenschissen, die in den Tiefen des offensichtlich für die Katze noch viel zu verunreinigten Klos schlummern.

Ich bin ein Goldgräber. Das muss ich mir immer und immer wieder einreden.


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20 Kommentare

  1. „…möglicherweise verbliebe der Stoff auch im Bart“. An der Stelle dachte ich noch an König Drosselbart und wollte dir die Vorteile erläutern😬. Okay, das hat sich erledigt.

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  2. Und ich habe mich anfangs gefragt, worauf diese Geschichte nun hinaus läuft.
    😀 😀 😀 😀
    Ein Glück, dass ich immer „Freigänger“ hatte und nicht nach „fraglichem Gold“ suchen musste. Aber diese Aufgabe wird mir demnächst zuteil, wenn meine Nachbarin verreist und ich die huldvolle Aufgabe bekomme, mich um ihre Wohnungskatze zu kümmern. Das werde ich aber garantiert nicht morgens um 6 Uhr erledigen. Erst nachdem ich meinen heißen Kaffee getrunken habe!

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  3. mußte grad laut lachen, wie man aus einer Alltagshandlung ein spannendes Erlebnis „Goldgräber“ machen kann. 😀 Ja, das kenn ich auch… hatte früher einen Kater (mit 4 Beinen und Fell) und dann mal die Katzen meiner Freundin versorgt, als sie im Urlaub war. Die waren zwar Freigänger, aber dennoch hatten sie auch ihr Klo. Wehe, man hat mal nicht rechtzeitig sauber gemacht! Einmal war es so krass, dass nicht nur Katzenstreu im Bad rumlag sondern auch eine vom Kater erdrosselte Taube. Lecker, das wegzuräumen. Der gnädige Herr war beleidigt, weil seine Leute einfach weggefahren waren… bald hat er aber gemerkt, dass man auch von mir Streicheieinheiten und Essen bekommt 😉 ach ja. Katzen fehlen mir schon. Habe aber hier weder Zeit noch genug Geld für die Tiere.

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  4. Also meine beiden Kater sind wahrscheinlich blind und geruchstaub (mir viel kein anders Wort dafür ein). Könnte man annehmen, wenn ich immer von anderen Katzenbesitzern höre, wie elitär sich ihre Felldiven benehmen. Die Haufen meiner Kater sind übrigens nicht zu übersehen und passen manchmal auch nicht auf die Schippe. Was hinten rauskommt übersteigt meines Erachtens deren natürliches Fassungsvermögen. Ich hegte schon den Verdacht, dass sämtliche Katzen und Kater der Nachbarschaft zu uns scheißen kommen. Wie auch immer. Nach nur einem Tag sieht das Klo der beiden aus, wie das der Nachbarsmietzen nach einer ganzen Woche. Doch unsere gehen trotzdem rein (auch wenn ich mal ein paar Tage lang zu faul bin nach Gold zu suchen.) Ich weiß nicht, wieso ich so ausführlich darüber berichte – aber mir scheint das eine ernste Angelegenheit zu sein, nachdem ich deinen Artikel gelesen habe. 😉

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    • Es IST eine ernste Angelegenheit! 😀 Und ja, es kommt deutlich mehr hinten raus, als das Fassungsvermögen einer handelsüblichen Hauskatze zuließe. Ein Paradoxon, dem irgendjemand mal auf den Grund gehen sollte. Ich machs nicht. 😉

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      • Sicher findet sich irgendein Studierter, der dem auf den Grund gehen wird. Macht ja heute jeder. Also studieren. und diese menschen müssen beschäftigt werden. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich sehr wohl (meist) weiß, dass man fiel (in obigem Zusammenhang) nicht mit v schreibt.

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