Gegenderte Zeitschriftenlektüre und anderweitig Kompliziertes

2016-05-28 23.43.00

Wir sitzen in einem Wartezimmer und warten. Alles andere hätte mich und vermutlich auch sonst jeden gewundert. Denn wozu im Wartezimmer sitzen, wenn nicht gewartet wird? Manch einer wird sich daran erinnern, dass die Frau, die in unserer Wohnung lebt, um Karneval herum im Krankenhaus war, um ihre Nasenprobleme (tatsächliche Beschwerden sind der Redaktion bekannt) untersuchen zu lassen. Sie, die Probleme, halten an und weil es neben Krankenhäusern und Hausärzten noch einige andere Heiler gibt, wurden wir bei einem solchen vorstellig. Der prompt etwas feststellte. Einen Vorwurf möchte ich niemandem machen, aber es gibt zu denken, dass unter anderem zwei Krankenhausaufenthalte und zig Untersuchungen seit November kein Ergebnis zutage fördern, während ein fast blinder Physiotherapeut beim ersten Termin nur durch Tasten potenzielle Schmerzquellen erfühlt. Die anschließend durch ein MRT bestätigt wurden. Immerhin: Es ist nichts Furchtbares, weshalb wir den Namen des Wartezimmers respektieren und geduldig warten. Man weiß allerdings nie so genau, wie lange man warten muss, deshalb müssen wir wohl zwischendurch einen neuen Parkschein ziehen.

Weil Warten langweilig sein kann und es der Frau, die in unserer Wohnung lebt, noch mehr als mir unangenehm ist, andauernd mit dem Handy zugange zu sein, plündern wir den Zeitschriftenständer. Lesen ist übrigens gegendert. Während ich mir den Focus greife, wählt die Frau, die in unserer Wohnung lebt, irgendein Heftchen, auf dem eine hübsche Frau voller Lebenslust und -freude abgebildet ist. Würde sie lasziv in die Kamera schauen, wäre es eine Männerzeitschrift, was vermutlich nichts daran geändert hätte, dass die Frau, die in unserer Wohnung lebt, diese Zeitschrift trotzdem in Beschlag genommen hätte. Aber der Gesichtsausdruck entlarvt dieses Heft als Frauenzeitschrift. Ebenfalls entlarvend sind die Artikel darin, weshalb die Frau, die in unserer Wohnung lebt, irgendwann genervt seufzt und mir eine furchtbare Textstelle nach der anderen zeigt. Zum Beispiel, dass „Grünkohl sein Trend-Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht“ habe und neuerdings „Foodies am liebsten Algen auf ihre Gabel“ spießen. Ein „Foodie“ ist wohl ein Feinschmecker, weshalb ich mich frage, warum man nicht einfach diesen Ausdruck verwendet.

Neben der dem allgemeinen Empfinden widersprechenden Behauptung, dass ein Baby der eigenen Karriere guttun würde, geht es noch um „31 Tricks, nackt besser auszusehen“, und die „Geheimakte“. Dinge, die die Frau vor ihrem Partner besser für sich behalten sollte. Etwa solle sie in einer Beziehung die Distanz wahren und beispielsweise nicht vor dem Partner rülpsen. Vollkommen absurd! Wenn man eines in einer Beziehung nicht aufrechterhalten sollte, dann ist es wohl die Distanz zum Partner. Der Gedanke dahinter scheint der Zwang zu sein, dem Ruf eines rosenduftfurzenden Einhorns zu entsprechen. Nun bin ich sehr aufgeklärt und modern und halte Frauen für Menschen. Menschen rülpsen, furzen, gehen aufs Klo und schnäuzen sich die Nase. Sogar Frauen. Sogar die Frau, die in unserer Wohnung lebt, schnäuzte sich diverse Mal schon die Nase. Ich akzeptiere das in meiner grenzenlosen Güte. Wer innerhalb einer Beziehung jene Grenzen setzt, die er auch im Kontakt mit einem x-beliebigen Unbekannten ziehen würde, sollte sich fragen, ob eine Beziehung auch eine solche ist. In der Zeitschrift ist es die sogenannte Kumpelzone, die unbedingt verhindert werden sollte. Also müsse die Frau unbedingt des Rülpsen verhindern.

„Sind wir in die Kumpelzone abgedriftet?“, fragt die Frau, die in unserer Wohnung lebt?

Vermutlich würden bei manch einem nun die Alarmglocken schrillen. Die Beziehung könnte in Gefahr sein. Weil ich aber weiß, dass die Frau, die in unserer Wohnung lebt, für derartigen Schund nicht empfänglich ist, gibt es nur eine Antwort.

„Einem Kumpel könnte ich niemals auf den Allerwertesten schlagen, ohne dass er zurückschlüge.“

Ja, sehr wohl. Ich schlage die Frau, die in unserer Wohnung lebt. Weil ich ein brutaler Mann bin und sie gern unterdrücke. Ich trage sogar Bart, der bekanntlich noch aggressiver macht. Während sie kopfschüttelnd den nächsten Artikel über wichtige Alltagslooks der Frau zitiert, greife ich zum Handy und lese ebenfalls kopfschüttelnd einen Blogartikel über die Entscheidung einer Gaststätte in Neuseeland, die es Männern künftig verbietet, Radlerhosen zu tragen. Die Autorin des Artikels lobt diese Entscheidung mit den Worten, dass solche Hosen total albern, affig und unästhetisch seien. Weil erst vor Kurzem unter einem meiner Beiträge im Dampfbloque eine Diskussion über Auswüche des Feminismus stattfand und mein Eindruck, dass Feminismus oftmals als Legitimation zur Männerdiskriminierung verstanden werde, für manch eine(n) nicht nachvollziehbar war, verlinke ich diesen Artikel hier.

Derartige Artikel und Meinungen finden sich zuhauf im Internet. Auch ich finde Radlerhosen wenig ansehnlich, aber das ist kein Argument. Männer werden ja gern (auch in anderen Artikeln der Autorin) dafür gescholten, dass sie oberflächlich seien. Und bei der Autorin scheint es sich um eine Frau zu handeln, der in diesem Diskurs Beachtung geschenkt wird. Zumindest scheint sie zu diesem Thema häufiger in den Medien aufzutauchen. Insofern kann man nicht einfach behaupten, Männerdiskriminierung – zumal hier ebenfalls äußerst oberflächliche – im Namen des Feminismus finde nicht statt.

Ich widme mich weiter dem FOCUS. Die politischen Inhalte der AfD werden in einem kurzen Beitrag zusammengefasst und bestätigen das, was ich im Zusammenhang mit emotionalen Themen öfter schon registriert habe: Man glaubt gern den einfachen Lösungen, wenn sie oberflächlich plausibel erscheinen. Politik ist komplex. Und wenn man Dinge nicht wirklich hinterfragt, klingen Vorhaben wie Steuersenkungen, mehr Geld für XY und Konzentration auf nationale Probleme prima. Das möchte man hören. Woher das Geld kommen soll, bleibt unklar. Wenn in einer Situation wie der aktuellen jemand um die Ecke kommt und mit simplen Lösungen aufwartet, können die Lösungen nicht zielführend sein. Und simpel sind sie oft genug auch nicht, denn dann wären sie schon längst in Erwägung gezogen worden. Isolation in Europa macht es für denjenigen, der sich isoliert, oberflächlich schön einfach. Aber das löst keine internationalen Probleme, die uns sehr wohl etwas angehen. Man kann sich natürlich abschotten und darauf pfeifen, was um einen herum geschieht. Nordkorea beherrscht das sehr gut. Ob das so erstrebenswert ist, wage ich zu bezweifeln.

„So, ich hab genug von diesem peinlichen Schrott. Was liest du gerade?“, will die Frau, die in unserer Wohnung lebt, wissen.

Ist der FOCUS eine Männerzeitschrift? Intuitiv würde ich auf „Jain“ tippen. Irgendwie scheint mir die Aufmachung männlich, der Inhalt hingegen an kein bestimmtes Geschlecht gerichtet. Weil man als Mann Frauen gönnerhaft vor komplizierten Sachverhalten schützen muss, gebe ich die einzig richtige Antwort:

„Das verstehst du noch nicht.“

Mit einem gezielten Schlag auf meinen Solarplexus schickt sie mich zu Boden. Und während ich nach Luft schnappe, steht sie auf, legt ihre Zeitschrift zurück in den Zeitschriftenständer und setzt sich wieder hin, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Aus weiter Ferne höre ich ihre Stimme.

„Ich denke, du solltest jetzt einen neuen Parkschein ziehen.“ 

An meiner Definition dessen, was die Kumpelzone ausmacht, sollte ich noch einmal feilen.


Vielleicht gibt es hierzu noch eine Fortsetzung. Möglicherweise wird diese vollkommen eigenständig sein, was natürlich dem Wesen einer Fortsetzung widerspricht. Toll!


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24 Kommentare

  1. Es ist etwas dran. Männer schlagen gerne „hinten drauf“. Nur drüber nachgedacht. Ich fühle mich ertappt. Einem Kumpel hingegen einen klapps zu geben, hat sehr viel komisches und muss wohl überlegt sein.

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  2. Wunderbar! Also die Reaktion der „Frau, die in unserer Wohnung lebt“ (also natürlich nicht MEINER Wohnung, sondern eben DEINER). Freche Antwort -> und zack, Antwort, die auch Mann versteht 🙂 Frauen können sich auf so vielen Ebenen subtil und effizient mitteilen. Einfach wunderbar!
    Jetzt muss ich mir die Zeitschrift kaufen, damit ich weiß, was mein Baby noch „boostet“ als nur meine Kleidergröße. Ah! Und da gibt es dann die Tipps, wie man nackt besser aussehen kann, gleich gratis dazu! Es leben die Frauenzeitschriften!

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      • Nur leider erklären sich dann gleich auch andere Körperstellen solidarisch und glauben, es käme auf (möglichst dauerhafte) Größe an. Was mich zu der Überlegung führt, ob weibliche Körperstellen männliche Gedanken haben können? Mal sehen: DIE Hüfte, DIE Taille – klingt alles nach Frau. Aber DER Po? Hm?! Wenn ich diese Gedanken weiterverfolge und zusammenfasse kann ich sie vielleicht einer Frauenzeitschrift als experimental-wissenschaftliche-Studie anbieten….Oder einer Männerzeitschrift, wenn ich es als Bildgeschichte gestalte.

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  3. Haha, guter Artikel und so wahr:
    „Einem Kumpel könnte ich niemals auf den Allerwertesten schlagen, ohne dass er zurückschlüge.“
    Gilt auch für mich und den Mann, der in unserer Wohnung lebt 😉
    Und übrigens, ist ein „Footie“ dann jemand der auf Füße steht?

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  4. Ha und ich warte mit meiner eigenen Männerkategorie auf – treffend Mann oh Mann – keine Ahnung warum derart viele weibliche Mitmenschen und Mitmenschinnen das starke geschlecht verschmähen – Also ich mag Männerradlerhosen – dieser Schaumstoff um den Pöter ist bei langen Touren – vor allem Downhill nicht zu unterschätzen …

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  5. Der Mann der in unserer Wohnung wohnt, trägt Radlerhosen sogar mit Polsterung, die stark an die Windel bei einem Kleinkind erinnert. Da der Mann der in unserer Wohnung das aber beim Radfahren tut, muss das wohl so sein. Wenn der Mann und seine Radlerhose jetzt auf einer Tour sind und Hunger verspürt, soll er dann zukünftig untenohne ins Restaurant? Wäre ja die logische Konsequenz des Radlerhosenverbots 😉

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      • Also, so sehr ich Frauen in Radlerhosen gerne sehe (…) wäre ich bei dieser Schlussfolgerung der „Frau, die in unserer Wohnung lebt,“ für eine Gleichberechtigung des Radlerhosenverbots. Das könnte spaßig werden. 😉
        So, und jetzt gehe ich mal den Frauenpanorama-Artikel lesen.

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    • Er sollte dazu vielleicht die aktuell ja sehr angesagten Kompressionskniestrümpfe in den aktuell angesagten, ähm, nunja, gedeckten Farben tragen. Das Gegenüber kneift dann reflexartig die Augen zu, und es fällt überhaupt nicht auf, ob mann Radlerhose trägt oder untenohne unterwegs ist.

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  6. dein Beitrag einfach köstlich und gleichzeitig eine Bestätigung dass meine Entscheidung auf die Lektüre diverser Frauenzeitschriften zu verzichten die richtige war . Da ich Modediktate grundsätzlich ablehne mag jeder Mann seine Radlerhose tragen solange er mir meine Leggins lässt. Die sind zwar bei einem Nilpferdhintern nicht unbedingt sexy aber mit dem passenden Oberteil herrlich bequem …. 🙂

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