Wir sind jetzt Burgherren!

2016-06-02 12.20.55

Manchmal passen Ereignisse so herrlich zusammen, dass man sich zu fragen beginnt, ob da nicht doch ein großer Hühnergott die Zahnrädchen dieser Welt nach einem bestimmten Plan dreht. Ich weiß, das war leicht blasphemisch, aber ich darf das. Ich bin immer zum Religionsunterricht gegangen, während einige meiner Mitschüler den Ersatzunterricht wählten. Das hieß an unserer Schule, dass diejenigen, die nicht am Religionsunterricht teilnahmen, zwei Freistunden pro Woche mehr hatten. Weil ich aber hinging, habe ich mir das Recht erlitten, zu spotten. Das gilt übrigens auch für Chöre. Denn ich bin von Beginn meiner Grundschulzeit an im Schulchor gewesen. In der „Arbeitsgemeinschaft Chor“. Zum vierten Schuljahr witterte ich meine Chance, nutzte mein neugewonnenes Selbstvertrauen als bald 11-Jähriger und trat vor meine Klassenlehrerin, die ich davon überzeugte, dass ich nicht mehr an der AG Chor teilnehmen möchte. Sie sah es gleich ein. Folgerichtig war ich auch im Schuljahr 1995/96 Teil des schuleigenen Ochsenchors. Weil ich diese Erfahrung aber durchleben musste, darf ich über Chöre schimpfen.

Wer hätte damals ahnen können, dass mich mein Gesangstalent in ungeahnte Sphären des kreativen Schaffens tragen würde? Ich nicht. Ich war gerade Zeuge des Machtmissbrauchs meiner Klassenlehrerin geworden, die mich trotz meines Einwandes und mit den Worten „Ja? Nein, Manuel. Das glaube ich nicht.“ in die Liste der Chorteilnehmer eintrug. Also war ich mehr als angepisst, weshalb ich heute mein Gesicht schmerzvoll verzerre, sobald ich jaulende Chöre höre.

Wie kann es sein, dass ich einen Beitrag beginne, dann nur eine Sekunde auf Pferden reitende Affen mit Maschinengewehren (Dokumentarfilm oder Vorschau „Planet der Affen“) erblicke und anschließend über 200 Wörter vom Hühnergott über Religionsersatzunterricht zu Kinderchören gelange? Weil es einfach gepasst hat. So wie Folgendes:

Es regnet. Das ist für manch einen tatsächlich schon ein Grund, sich zu empören. Das sei ja wieder klar! Natürlich regne es auuusgerechnet jetzt! Jeder fühlt sich oft genug negativ von äußerst schicksalhaften Ereignissen heimgesucht. Manchmal ist es aber auch anders, weshalb ich den Hühnergott als für uns Menschen wohlgesonnen erachte. Denn ausgerechnet gestern hat es geregnet. Grund zur Freude, denn nun wohnen wir in einer Burg. Mit Wassergraben!

Vorgeschichte als Teil der Hauptgeschichte

Wir schruben allesamt das Jahr 2014. Die Maya hatten hemmungslos gelogen und die Welt war 2012 nicht ansatzweise untergegangen. Versetzen die Welt in helle Aufregung und am Ende passiert rein gar nichts, außer dass Roland Emmerich einen Film drehen konnte, bei dem die Frau, die in unserer Wohnung lebt, mit Sicherheit 3 kg Gewicht verlor. Selten sah ich sie so angespannt und mit dauerhaft aufgerissenen Augen vor dem Fernseher sitzen. Im August dieses schicksalhaften Jahres 2014, das es eigentlich gar nicht war, bemerkten wir herrlich blühende Schimmelblumen an einem Großteil unserer im Keller gelagerten Gegenstände. Feuchtigkeit, die sich ihren Weg durch die Kellerwände bahnte, sorgte für angenehm tropisches Klima im Keller. Der Schimmel, dessen Sporen immer überall und überhaupt nicht schlimm sind, bedankte sich und verdaute nach und nach Umzugskarton um Umzugskarton sowie unsere Wohnzimmertür. Das Ergebnis war ein Schaden in mindestens einstelliger Höhe (in der Währung „Goldbarren“).

Nach einem Jahr, das wir vor allem damit verbrachten, emsigen Trocknungsgeräten bei der Trocknung unserer Kellerwände zuzuschauen – was zum Scheitern verurteilt war, denn die Feuchtigkeit zog es nach wie vor von außen in die Kellerwände – bequemte sich unsere Hausverwaltung, das Problem an der Wurzel zu packen und ließ im Oktober 2015 die Kellerwände von außen freilegen. Zwischen jenem Oktober und dem Mai dieses Jahres passierte erst einmal nichts weiter. Die Witterung. Diese verfluchte Witterung, die die Baufirma zu keinem einzigen Zeitpunkt in die Lage versetzte, die Bauarbeiten fortzusetzen, war für eine ganze andere Baufirma kein Argument, das Errichten eines neuen Mehrfamilienhauses auf dem Nachbargrundstück zu unterbrechen. Die meisten Mieter sind bereits eingezogen.

Weiter in der Gegenwart

Vorgestern dann wurde endlich die Außenwand bei uns abgedichtet. Und was wäre gewesen, wenn es nicht geregnet hätte? Hätte es nicht geregnet, wäre der Graben links, rechts und unter (!) unserem Eingang nicht mit Wasser geflutet worden. Es wäre nicht eine der Stützen, die die Bodenplatte vor unserem Hauseingang vor dem Absacken abhalten sollte, umgefallen. Die Abbruchkante der Aushebung wäre nicht unterspült worden, einen guten halben Meter weitergewandert und hätte nicht Teile des Gehwegpflasters in den Graben gerissen. Und wir könnten alle vollkommen sorglos über die provisorische Brücke gehen, von der wir immer mehr den Eindruck haben, dass sie kein Provisorium bleiben wird.

Weil es aber geregnet hat, hat die Brücke auf beiden Seiten des neu angelegten Burggrabens eine dermaßen kurze Auflagefläche, dass unsere gestern heimkehrenden Burgmitbewohner es vorzogen, ihre Wohnungen durch den Garten auf der anderen Hausseite zu betreten. Weil das nicht möglich ist, weil Terrassentüren in der Regel nicht mit dem Wohnungsschlüssel zu öffnen sind, musste ein anderer Nachbar, der sich schon im Haus befand, den Wohnungsschlüssel zugeworfen bekommen, um die fremde Wohnung zu betreten, an deren Terrassentür der rechtmäßige Bewohner um Einlass bat.

Der eigentliche Witz an der Sache ist aber folgender:

Wir liegen seit fast zwei Jahren mit unserer Hausverwaltung im Clinch, weil

  1. der Keller, der bei unserem Einzug furztrocken war, nicht mehr nutzbar ist und das, was noch zu retten war, sich nun seit zwei Jahren in unserer Wohnung stapelt. Seitdem zahlen wir (rechtlich abgesichert) weniger Miete.
  2. Obwohl bei Häusern in der Nachbarschaft desselben Bauträgers in den Jahren zuvor schon exakt diese Mängel (undichte Kellerwände) gemeldet und ausgebessert wurden, stellte man uns lediglich Trockungsgeräte in den Keller. Dem Wasser, das von außen eindrang, war das egal. Die Trocknungsfirma freute sich ob dieses Fasses ohne Boden, welches sie – das kann man ihr nicht vorwerfen – mit Unterbrechungen insgesamt sechs Monate lang dankbar anzapfte.
  3. Als die Trocknungsfirma vor etwa einem Jahr ihre Geräte abbaute, weil mittlerweile auch die Hausverwaltung die Problematik erkannt hatte, dauerte es kurzweilige sechs Monate mit unzähligen Nachfragen unsererseits, bis die Kellerwände freigelegt wurden. Allerdings nicht auf der Seite, die unseren Keller betraf und durch den das Wasser ursprünglich gedrungen war.
  4. Weil die Hausverwaltung uns und den anderen Mietern gestattete, einen für jeden Mieter zugänglichen und bis dahin als am wenigsten nass geltenden Kellerraum für die Lagerung unserer Gegenstände zu nutzen, wurden wir ermahnt, dass wir die Miete nun nicht mehr mindern können. Was übrigens nicht einmal in unserem Interesse liegt. Wir hätten lieber einen trockenen Keller.
  5. Die freigelegte Kellerwand, hinter der sich ebendieser Kellerraum befindet, wurde vorgestern abgedichtet. Das ist tatsächlich eine tolle Sache.
  6. Die Pointe:
    Seit gestern Abend steht in diesem Kellerraum braune Suppe, die in Bodennähe durch die Kellerwand sickerte. Hätte es nicht geregnet, wäre der Graben wieder zugeschüttet worden und niemand hätte die kleinen Löcher in der Wand bemerkt.

Das wurde jetzt deutlich ernster, als geplant, was eventuell daran liegt, dass bis jetzt, 12 Uhr am Folgetag, zwar Handwerker eintrafen, die aber nur eine neue, diesmal längere Brücke konstruieren. Für die nächsten zwei starken Regengüsse ist die Stabilität der Brücke als gewährleistet. Von Sicherheit will hier niemand sprechen. Das frustet ungemein. Immerhin haben wir durch diese Verkettung unglücklicher Umstände alle Burgbewohner mal kennengelernt sowie deren Einstellung zur Hausverwaltung. Wir werden in Zukunft Geheimtreffen im Keller abhalten.

Wie man sieht, scheint es so etwas wie eine höhere Macht tatsächlich zu geben. Sie ist zumindest Handwerkern, Trockungsfirmen und im letzten Moment auch uns insofern wohlgesonnen, als sie die Handwerker mit neuen Brückenbau- und Aushubaufträgen versorgt, Trocknungsfirmen ein nachhaltiges Projekt verschafft und uns im letzten Moment durch den gestrigen Regenguss davor warnte, den vermeintlich trockenen Kellerraum als Ersatz für unser nicht nutzbares Kellerabteil zu betrachten.

Manchmal passt alles einfach so wunderbar zusammen.

Dem Hühnergott sei Dank!


Obwohl ich hier ein wenig Frust abgelassen habe, sollten wir alle dankbar für die Kellerwände sein, die uns gegeben wurden. Und vermutlich bekommt jeder die Kellerwände, die er verdient. Weitere kluge Sprüche findet ihr überall, nur nicht auf Facebook.

22 Kommentare

  1. Schimmel gilt in manchen Ländern als Delikatesse. Dank des anhaltenden Regens wird sich dein Burggraben zeitnah füllen und somit alle schwarzen Ritter abhalten.

    So wie ich das sehe, sitzt du in einer sicheren Burg mit unbegrenzten Luxusnahrungsmitteln.

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  2. Man sollte dankbar sein, Kellerwände zu haben. Ohne sie würde das auf den Kellerwänden ruhende Erdgeschoss in den Keller rutschen, so dass quasi die Erdgeschosswände zu Kellerwänden würden und das Erdgeschoss zum Keller.

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  3. Du schilderst das so gelassen. Da, wo ich mal gewohnt habe, würden sich schon die Rechtsanwälte die Klinke in die Hand geben – nur beim Trockenlegen ginge vermutlich auch nichts weiter. Na ja, der Wiener Charme, insbesondere jener von Akademiker-Rentnern (bevorzugt Jus und irgendwelche Ingenieussachen) lässt sich wohl nur in juristischen Klageschriften adäquat zum Ausdruck bringen.
    Da steht ihr vermutlich drüber, oder auch irgendwie drunter, weil im Keller, oder aber im Regen und vor coolen Burggräben oder so.

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    • Es hilft ja nichts, darüber zu toben. Eigentümer und Hausverwaltung werden von den übrigen Nachbarn nun auch etwas Dampf bekommen. Wir haben uns damit abgefunden, dass wir diesen Keller nicht mehr nutzen können, solange wir dort wohnen.

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  4. Humorige Betrachtungsweisen in beschissenen Zeiten – ich liebe Menschen, die eine solche Lebenseinstellung, wie auch ich sie habe, teilen!

    Ich wünsche auf absehbare Zeit trockenes Wohneigentum und bis dahin: lustige Treffen im feuchtfröhlichen Keller mit den neuen Mieter-Freunden!

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  5. Da jetzt alles über die Kellerwände gesagt wurde, möchte ich gerne anmerken, dass ich damals in der 4.Klasse nur durch alleiniges Vorsingen vor der gesamten Klasse (ich glaube ich bin heute noch leicht traumatisiert) vom Chor automatisch ausgeschlossen wurde. Leider weiß ich auch immer noch das Lied dessen Text wir vorher auswendig lernen mussten! „Kein schöner Land in dieser Zeit“ Während ich das schreibe stehen meine Haare zu Berge!!!

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  6. Toll, dass man sich aus Schaden als edler Herr betiteln kann, denn so schnell wird man normalerweise nicht zum Burgherren.
    Bitte halte uns auf den laufenden. Möchte wissen ob es beim Burgherren bleibt oder ob du bald zum Kapitän ernannt wirst.
    LG
    Edith

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  7. Dann passt aber bloß auf, dass ihr bei den Treffen eurer neu gegründeten Geheimgesellschaft nicht aus Versehen dazu verdammt werdet, den Freischwimmer zu machen…oder besagten Film aus dem Jahre 2014 nachzuspielen…. :/

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