Erkenntnis am Abgrund – oder: Wie Herr Scheuren eine Ente wurde

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Was bisher geschah:

Herr Scheuren ist unser Nachbar in Düsseldorf, mittleren Alters und arbeitet als Versicherungsangestellter in der Versicherung, in der er angestellt ist. Weil vor einigen Wochen der „Schöne Klaus“, ein stadtbekannter Schwan, der im Südpark lebte, tot aufgefunden wurde und man von kaltblütigem Mord ausgeht, ist Herr Scheuren mit der reibungslosen Abwicklung dieses Versicherungsfalls betraut worden. Als ich von der Arbeit nach Hause fahre, wird das Auto, das neben mir fährt, in einer Baustelle geblitzt. Beim Fahrer handelt es sich um Herrn Scheuren. Zuhause angekommen muss ich feststellen, dass die Meerschweinchen verschwunden sind. Im Detail nachzulesen im ersten Teil „„Sonntags unterwegs – oder: Wie Herr Scheuren eine Ente wurde“.

Wie passt das alles zusammen? Folgt der Autor tatsächlich einem Konzept, das er im Vorfeld ausgearbeitet hatte und nun niederschreibt? Wird das hier, wie er nach dem ersten Teil bei Facebook großspurig ankündigte, ein Roman? Steht die Handlung bereits und warten die einzelnen Handlungsstränge nur darauf, miteinander verwoben zu werden? Besteht eine Handlung überhaupt aus Stoff und lässt sich weben? Lasst es uns gemeinsam herausfinden. Ich fische diesbezüglich mindestens so im Trüben wie ihr. 

Nach der Feststellung, dass die Meerschweinchen verschwunden sind, begebe ich mich in die Küche und begrüße die Frau, die in unserer Wohnung lebt. Mit einem Sparschäler schält sie sich gerade eine Kokosnuss. ich beobachte sie eine Weile dabei, wie sie behutsam Scheibchen für Scheibchen der harten Holzschale mittels Sparschäler von der Nuss trennt, um an das weiße Gut zu gelangen. Auf dem Küchenboden liegen schon einige Holzsplitter verteilt. Eine gute Gelegenheit, gewisse Dinge anzusprechen.

„Du, wir müssen reden.“

„Hat das nicht Zeit? Ich schäle hier gerade eine Nuss.“

„Nein! Es muss jetzt sein! Da stehen Fragen im Raum.“

„Nagut.“, antwortet die Frau, die in unserer Wohnung lebt, legt Kokosnuss und Schäler beiseite und schaut mich voller Spannung an. „Also…?“

„Ich kann nicht, wenn einer guckt!“, entgegne ich eingeschnappt und verlasse die Küche.

Im Schlafzimmer fühle ich mich unbeobachtet, was ich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, wissen lasse.

„Wir können!“, rufe ich in den Flur.

„Guhut!“ antwortet sie aus der Küche. „Was gibt’s denn?“

Ich nehme all meinen Mut zusammen, hole tief Luft und formuliere mein Anliegen so konkret, wie nur irgendmöglich.

„Also…die Meerschweinchen…?“

„…weg!“

„Ah, ok. Das wäre geklärt. Was läuft heute abend im Fernsehen?“

Ich bin erleichtert und verlasse das Schlafzimmer

Der nächste Morgen beginnt mit einem lauten Dröhnen. Seit wir keinen Hausmeister mehr haben, der genaugenommen weniger Hausmeister sondern vielmehr für das gesamte Wohnviertel zuständig war, ertönt jeden Dienstag das nervtötende Röhren eines Aufsitzrasenmähers. Darauf sitzt seit der Entlassung von Herrn Hermann ein seelenloser Knecht einer mafiösen Hausmeisterfirma, die bundesweit agiert und streng nach Vorschrift arbeitet. Der 08/15-Hausmeister auf dem Aufsitzrasenmäher fährt jede Woche die exakt selbe Strecke. Wurde er so programmiert? Handelt es sich bei diesem Wesen, das emotionslos den Rasen vor unserem Haus stutzt, um einen Menschen? Er sieht so menschlich aus. Unzufriedener Blick, Zigarette im Mundwinkel, eine rote Schirmmütze auf dem spärlich behaarten Kopf, was ich natürlich nur vermuten kann. Er trägt schließlich eine Mütze. Die Ohren werden durch einen roten Baustellen-Gehörschutz geschützt.

Und dennoch bleiben leichte Zweifel an der Echtheit dieses Hausmeisters. Er nähert sich gerade dem Rasenstück direkt vor unserer Haustür, das einen Sandkasten beherbergt, der seit einem halben Jahr nicht mehr als solcher zu nutzen, geschweigene denn zu erkennen ist. Als unsere Kellerwände freigelegt wurden, um einen Wasserschaden zu beheben, mussten sämtliche Pflanzen in unserem Vorgarten umgepflanzt werden. Man hielt den Sandkasten für eine geeignete Lagerstätte. Wie es aussieht, ist es ihre endgültige, denn alle Pflanzen sind mittlerweile hinüber. Gekonnt umkurvt der Hausmeister den Sandkasten auf der festgelegten Route.

Bis vor Kurzem konnte der rasenmähende Hausmeisterknecht einen großen Bogen fahren, um zu wenden. Durch den starken Regen vor einigen Tagen wurden Teile des bis dahin massiven Erdbodens unterspült und der Graben zwischen Hauswand und Rasenfläche vergrößert. Dadurch mussten auch der provisorisch errichtete Holzzaun, der die Passanten davor bewahren soll, in den Abgrund zu stürzen, verlagert werden. Erste Touristen sammeln sich in kleinen Gruppen. Die Nordwand unseres Hauses ist seit Bekanntwerdung des Wasserschadens ein beliebtes Ausflugsziel geworden. Nie hat es länger gedauert, eine undichte Hauswand wieder abzudichten. Wenn der Rasen gemäht ist, werden sie wieder an die Absperrung drängen und sich von kompetenten Stadtführern die Details erklären lassen. Einige Touristen kamen bereits mehrere Male. Zu faszinierend ist die Geschichte der undichten Hauswand, die abgedichtet werden sollte, zu mysteriös der Umstand, das zunächst die Kellerwand freigelegt wurde, an der bis dato gar kein Schaden existierte. In die von uns gemeldete Kellerwand drängt somit seit fast zwei Jahren kontinuierlich Feuchtigkeit.

Ich beobachte den Wendevorgang mit meiner Kaffeetasse in der Hand. Routiniert reißt der Hausmeister das Lenkrad herum und beschleunigt. Schon im ersten Moment registriere ich, dass der Wendekreis zu groß, die Abbruchkante des Grabens zu nahe ist. Doch der Hausmeister fährt unbeirrt weiter auf seiner offensichtlich unheilvollen Bahn. Ja, bemerkt er denn nicht, dass sein Weg in den Abgrund führt?! Ich schaue meine Kaffeetasse an. Sie erwidert den Blick. Gemeinsam wenden wir uns wieder dem Geschehen vor dem Haus zu. Erste Touristen kreischen panisch. Der Hausmeister hört es nicht, macht er doch seinen Dienst wie seit Wochen schon: eine Bahn rechts am Sandkasten vorbei, dann links einschlagen um anschließend in einer großen Rechtskurve zu wenden. Die Rechtskurve…er wird sie nicht vollenden können.

Wie in Zeitlupe steuert der Hausmeister auf seinem Aufsitzrasenmäher die Holzabsperrung an. Erst Zentimeter vor der Kollision ändert sich seine Miene, wird er sich darüber im Klaren, dass hier etwas nicht nach Plan verläuft. Wochenlang war alles gleich, der Fahrtweg mit dem Rasenmäher genauestens geplant. Und nun? Planung ist nicht alles. Spontaneität ist ein wichtiger Bestandteil des Arbeitslebens. Als Hausmeister wurde ihm das nicht beigebracht.

„Hoppla…“, entfährt es ihm.

Er durchbricht die Holzabsperrung, die sofort explodiert! Der Hausmeister verschwindet mit seinem Aufsitzrasenmäher in einem riesigen Feuerball, während sich die Bruchstücke des Holzzauns vor unserem Haus verteilen. Doch da! Der Hausmeister hat die Explosion gut überstanden. Mit verrußtem Gesicht schaut er sich irritiert um, während die Höllenfahrt des Rasenmähers, der nun einen brennenden Schweif hinter sich her zieht, noch nicht beendet ist. Die Abbruchkante! Vermutlich um sich besser konzentrieren zu können, wirft der Hausmeister seine Zigarette zur Seite, die ebenfalls explodiert, als sie den Boden berührt. Das alles nehmen die Kaffeetasse und ich aus der ersten Etage nur wie im Traum wahr. Der Rasenmäher schießt über die Abbruchkante hinaus!

Zeit…Raum…die Klänge des Lebens…all das hört in diesem Moment vorübergehend auf, zu existieren. Ich halte meiner Kaffeetasse die Augen zu. Der Rasenmäher verschwindet unter dröhender Stille aus meinem Sichtfeld. Nach einigen Sekunden der trügerischen Ruhe, in denen nur das in der Ferne verschwindende Röhren des Rasenmähers zu vernehmen ist, steigt ein gigantischer Feuerball an unserem Küchenfenster empor.

Ich laufe durch die Wohnung, reiße die Balkontür auf und lehne mich über das Geländer, um die auf der Straße parkenden Autos sehen zu können. Auf unserem Wagen liegt wie immer Herr Scheuren und ist sichtlich irritiert. Er ist wohl durch die zweite Explosion aufgewacht und muss sich orientieren. Ich rufe ihm zu:

„Herr Scheuren! Komm! Arbeit!“

„Guten Morgen, Herr Höffner…“

„…Höttges…“

„…was ist denn passiert?“

„Der Graben, Herr Scheuren. Der Graben.“, antworte ich unter Seufzen.

„Wieder?!“

„Ja.“

 „Hermes Paketdienst?“

„Nein. Der Rasenmäher.“

„SCHON WIEDER?!“, brüllt Herr Scheuren sichtlich verängstigt. Doch nach kurzem Grübeln ergänzt er nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen: „Hmm…aber ich erkenne langsam ein Muster…ich erkenne langsam ein Muster…“

Es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Er, Herr Scheuren, unser Nachbar, der Angestellte einer Versicherung…er erkennt langsam…ein Muster. Und, ja! Tatsächlich! Der schöne Klaus … die verschwundenen Meerschweinchen … Hermes … die Hausmeister … der Graben…:

Auch ich erkenne es!


Visuelle Neuigkeiten, die ich hier nicht veröffentliche, könnt ihr auf Facebook bestaunen! Gestern beispielsweise aß ich ein Eis. Es war sehr, sehr gut.

12 Kommentare

  1. Also, ich habe jetzt seit gestern Morgen über diesen Artikel nachgedacht. Das ist in Blogger-und social network Zeiten vermutlich in etwa so lange, wie es die Dinosaurier auf diesem Planeten gab.
    Ich habe sogar recherchiert und den ersten Teil gelesen, aber ich erkenne kein Muster, ich kann nur eines erAHNEN, und komme mir noch immer vor, als würde ich im Dunklen tappen. Ah, da ist der Lichtschalter! O.K. Das mit der Dunkelheit wäre jetzt geklärt.
    Meine Schlußfolgerungen soweit:

    *) Ich nehme entweder nicht die richtigen Sachen zu mir, um Dinge zu sehen, die – äh – nicht da sind, nicht mehr da sind, nie da waren oder keine Ahnung, was unter Umständen bedeuten könnte, dass ich mich sogar noch gesünder ernähre, als ich meinen Kindern weis mache.
    *) Ich höre nur gelegentlich Stimmen – Oh! Das hat mit der Sache hier jetzt eigentlich gar nix zu tun
    *) Enten arbeiten nicht als Versicherungsvertreter, solange sie noch einen Funken Ente oder Ehre in sich haben
    *) Die Meerschweinchen waren gar keine solchen. Falls diese Erkenntnis bestätigt wird und zu verallgemeinern ist, muss ich sofort einige Leute vor ihren angeblichen Haustieren warnen!
    *) Das „missing link“ wird hoffentlich demnächst gepostet, weil ich mich bis dahin überhaupt nicht auf meinen Haushalt konzentrieren kann!

    🙂 Lieber Gruß, eine sehr verwirrte M. Mama

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