Fleischfressende Pflanzen im Gesicht

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Lange nichts mehr übers Laufen geschrieben. Was soll man da auch noch schreiben? Man läuft und am Ende ist man fertig mit dem Laufen. Ich tue mich in jüngster Zeit, nicht zuletzt wegen meines neuerdings verkorksten Schlafrhythmus‘, etwas schwer mit dem Laufen. Ich bin zum Jogger mutiert, was ich so nicht auf mir sitzen lasse wollte. Als die Frau, die in unserer Wohnung lebt, und ich vorhin von einem Termin nach Hause kamen, sah es wenig vielversprechend mit der ohnehin nicht angekündigten Trockenheit aus. Die Lust, Laufen zu gehen, tendierte gen 0. Oder in Worten: Null! In der Wohnung angekommen tendierte sie immerhin gen 1. Also nutzte ich diese Vertausendfachung der Null und schnallte mir die Laufschuhe unter die unwilligen Füße. Ein Grund für die Unlust sind meine neuen Sporteinlagen, die mir zunächst an beiden Füßen, nun aber immerhin noch am rechten Fuß, Blasen verursachen. Nach einer halben Stunde merke ich sie. Das darf kein Grund sein. Anderswo haben sie gar keine Sporteinlagen.

Und wie es der Zufall gelegentlich so möchte, klarte es auf. Außerdem war es die Gelegenheit, meine neuen kabellosen Kopfhörer in der Praxis zu testen. Habe ich die Dinge drin (in den Ohren), höre ich praktisch keine Umgebungsgeräusche mehr. Allerdings herrscht in meinen Ohren dann ein dermaßener Überdruck, dass die Membrane der Kopfhörer am Schwingen gehindert werden. Wo nichts schwingt, da kein Klang. Kennt man von Schlägereien. Ich allerdings weniger. Lediglich von einer, in der mein Mitbewohner und ich allerdings eine recht passive Rolle einnahmen. Ich wich lediglich aus, während er mit dem Bruch seines Nasenbeins reagierte. Man sollte in der Düsseldorfer Altstadt keine betrunkenen Männer mittleren Alters auf ihre Haare hinweisen. Ganz gleich, wie gering die Anzahl derer auf dem Kopf ist.

Um dennoch etwas Musik hören zu können, müssen die Kopfhörer etwas aus der Versenkung des Innenohrs gezogen werden. Die Membrane können wieder frei schwingen, es ertönt Klang und ein wenig Umweltgeräusche sind ebenfalls wahrnehmbar. Dann kommt allerdings ein anderer und wie es aussieht nicht sehr ungewöhnlicher Effekt zum Tragen. Das Ohr ist nicht in der Lage, den oder die Kopfhörer an Ort und Stelle zu halten, was die Kopfhörer veranlasst, das Ohr zu verlassen. Außerhalb der Ohren machen diese relativ wenig Sinn, weshalb ich mir während des Laufens andauernd an den Ohren, vor allem dem von mir aus gesehen linken, rumfummeln muss. Durch den sich bildenden Schweiß und die läuferische Betätigung drücke ich den Kopfhörer wieder zuweit ins Ohr, weshalb diese Seite wieder verstummt. Also wieder rausziehen.

Das Dumme an diesen in-ear-Kopfhörern ist der Umstand, dass man akustisch zwar recht isoliert von seiner Umgebung ist, man die eigenen Körpertöne und vor allem jeden Schritt umso intensiver wahrnimmt. Da hilft es wenig, dass ich vor einigen Wochen von einem zum Fersenlauf tendierenden Mittelfußlaufstil auf den Vorfuß wechselte. Was im Übrigen – wovon ich anfangs nicht überzeugt war – tatsächlich deutlich schonender für die Gelenke anmutet. Mein linkes Knie hatte zuletzt leichten Schaden genommen, den ich angesichts eines kommenden Halbmarathons im Herbst gern vermeiden möchte. Außerdem spart diese Art des Laufens Energie, was sich insbesondere bei Steigungen bemerkbar macht. Vor wenigen Monaten noch konnte ich einen Lauf im Grunde nach einer längeren Steigung beenden, weil die Beine schwer waren. Heute sind Steigungen zwar nach wie vor anstrengend, was letztlich ihren Reiz ausmacht, denn man will diese ja bezwingen, aber oben angekommen ebben Atmung und Herzfrequenz recht schnell auf das normale Niveau ab. Den Beinen ist die Steigung unverzüglich vollkommen latte und laufen einfach weiter. Ändert nichts daran, dass ein monotones „umpf-umpf-umpf-umpf“ dem Hörgenuss bei Musik nicht unbedingt zuträglich ist.

Deshalb probierte ich es heute mit Klängen, die keinem Metrum folgen: Hörbüchern bzw. Podcasts, die ich mir – um die Vergänglichkeit meines mobilen Datenvolumens wissend – zuhause zunächst legal(!) herunterlud und dann aufs Handy verfrachtete. Es funktionierte. Auch beim Laufen, auch wenn ich immer dann, wenn ich mir den Kopfhörer wieder zu weit Richtung Gehirn ins Ohr presste, kaum mehr ein Wort verstehen konnte. Immerhin störte das im Körper hörbare Laufstampfen nicht.

Mein Körper hat sich relativ schnell an den Vorfußlauf gewöhnt und weil man als Mann immer den Drang hat, als Ratgeber und Trainer zu agieren, habe ich auch der Frau, die in unserer Wohnung lebt, diesen Laufstil aufgezwungen. Was nach wie vor zu großen Schmerzen bei ihr führt, sobald ein Lauf beendet ist. Denn anders als ich, der seit Jahren Fußball spielt bzw. im Bezug aufs Laufen körperlich recht gut eingestellt ist, fehlt ihr die Wadenmuskulatur. Nicht vollständig. Da sind Muskeln, aber man kann sie förmlich aufkreischen hören, wenn ein Lauf beendet, der für uns moderne Menschen gewohnte Gang über die Fersen wieder aufgenommen wird.

Nach etwa vier Kilometern schweifte ich vorhin mit meinen Gedanken ab und beobachtete meine Mitmenschen. Eine Joggerin auf der gegenüberliegenden Seite eines Flusses, den ich erst vor wenigen Wochen als eine von insgesamt vier Düsseln in Düsseldorf identifizierte, eine Mutter mit ihren Kindern und ein Mann mit seinem Hund, der in dem Moment, als ich die beiden passierte (also an ihnen vorbeilief), formvollendet auf den Gehweg schiss. Und während ich überlegte, ob der Hundebesitzer diesen Haufen, der unglücklicherweise denselben Farbton wie der hellbraune Schotterweg hatte, entsorgen würde, schoss mir ein Schmerz in die Fußsohle. Weil ich eigentlich zu jedem Zeitpunkt mit einer Verletzung rechne – denn dann ist es nicht mehr so überraschend – war mir sofort klar, dass mir gerade entweder der Mittelfuß gebrochen oder eine Sehne unterm Fuß gerissen war. Zu dieser Diagnose passte, dass der Schmerz sofort nachließ. Ein Nagel, der sich durch die Schuhsohle in die meines Fußes gebohrt hatte, wäre ebenfalls denkbar gewesen. Aber wie so oft war rein gar nichts. Vielleicht hatte sich irgendwas gelöst, weil mir das Fußballtraining von Montag ohnehin noch ein wenig in den Füßen steckte. Also erst vorsichtig und dann ohne Rücksicht auf Verluste weiter.

Das aktuelle Wetter mit seiner zu und vermutlich auch ungewöhnlich hohen Luftfeuchtigkeit ist ein Paradies für allerlei Flieggetier. Ich bin der festen Überzeugung, dass Fliegen, Hummeln, Wanzen, fliegende Ameisen, Hornissen und Amseln nicht vollkommen hohl sind und einem nahenden Objekt nicht bewusst ins Gesicht fliegen. Zumindest war ich davon bis vor ca. einer Stunde überzeugt. Jetzt, nach diesem Lauf, weiß ich, dass Insekten und Vögel den Tag damit verbringen, sich auf Bäumen sitzend die nächsten Läufer anzukündigen, um im richtigen Moment deren Wege zu kreuzen oder ihnen im besten Fall ins Gesicht oder gar in den Mund zu fliegen. Nun habe ich noch keinen Vogel in den Mund bekommen, aber eine Taube senkte sich vorhin aufreizend zielstrebig in Richtung meiner Rübe, die ich reflexhaft wegzog.

Wenig später lief ich durch hohes Gras und lernte allerlei Insektenarten kennen, von denen gleich drei meine Augen besetzten. Insekten in Augen habe ich nicht so gern. Dabei spielt es erstmal keine Rolle, ob die Tierchen beim Aufprall auf meinen Augapfel zerplatzen oder nicht. Erstmal stören sie. Weil man sich allerdings als Mensch höchst ungeschickt im Auge rumpopelt, was einmal dazu führte, dass ich mir ein Gewittertierchen unter die Kontaklinse rieb, gehen kleine Tiere im Auge schnell kaputt. Das brennt. Was man, wenn einem gerade gefühlt eine Sehne unterm Fuß gerissen ist und sich eine Blase am Innenrist andeutet, selten gebrauchen kann. Und so torkelt man gekrümmt seines Weges und versucht die sterblichen Überreste eines Sechsbeiners aus dem Auge zu entfernen.

Und plötzlich revolutionierte ich die Pflanzenkunde!

Botaniker haben keine Ahnung von Pflanzen. Fleischfressende Pflanzen, so führende Pfalnzenkundler, lockten ihre Beute mittels Lockmitteln an, um sie anschließend in ihre Fänge zu schließen. Alles Quatsch! Die Ähnlichkeit von fleischfressenden Pflanzen und menschlichen Augen kommt nicht von ungefähr. Insekten fühlen sich von Augen angezogen, weil sie wissen, dass sie ein Lebewesen, und sei es noch so groß, damit außer Gefecht setzen können. Eine Machtdemonstration der Kerbtiere! Dass sie dabei den Tod finden, ist kalkuliert und verschmerzbar, denn es gibt so viele von ihnen. Diese Nadelstiche gegen den Menschen haben sich einige Pflanzen zunutze gemacht, in dem sie mit ihren Blütenkelchen (oder wie das auch immer heißt) das menschliche Auge imitieren. Radikalisierte Insekten stürzen sich siegessicher in dieses so verletzlich wirkende Organ. So wird es sein! Andere Erklärungen sind nicht akzeptabel.

Ich widme mich nun weiter meinem Frühstück, das ungesünder nicht sein könnte. Immerhin habe ich mit meinem Bart unfreiwillig Insekten gesammelt, die sich nun in Sicherheit wähnen, den Bart verlassen und auf mein frisch geschmiertes Nusspli-Brötchen stürzen. Ich esse sie mit. Insekten sollen gesund sein. Zerkaut sind sie mir definitiv lieber als im ohnehin schon vom Schweiß gereizten Auge. Und wenn es so weiter geht, wird der Mensch in einer weiteren Entwicklungsstufe Zähne im Auge entwickeln, um dort einfallende Insekten zu verkleinern und an den Magen weiterzuleiten. Die Pflanzen haben es bereits vorgemacht. Wir können noch viel von der Natur lernen.


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8 Kommentare

  1. Köstlich !! Erinnerungen an eigene Jogging-Erlebnisse werden wach. Nur eins hab ich nie gemacht: Mich beim Joggen per Musik zugedröhnt, praktiziere ich lieber auf dem Trimrad, da ist die Gefahr einer unverhofften Kollision aufgrund totaler Taubheit ob der näheren Umgebung gen Null einzuschätzen. 🙂

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