Beitrag bearbeiten – oder: 66% auf Markenunterwäsche

2016-06-16 15.02.17

Ja, es ist verrückt. Ich bin verrückt. Bin ich verrückt? Ich weiß es nicht. Da sitzt man 30 Jahre lang mit sich selbst zusammen und kommt nicht dahinter, ob man verrückt ist. Viele Menschen, die tatsächlich verrückt sind, gelangen Zeit ihres Lebens nicht zu der Erkenntnis, verrückt zu sein. „Erkenntnis“ habe ich gerade falsch geschrieben, weshalb ich das Wort mit „Erek…“ begann. Wenn selbst Menschen, die verrückt sind, sich nicht als verrückt betrachten, stellt sich mir die Frage, ob überhaupt jemand beurteilen kann, ob jemand verrückt ist. Ich bin es nicht. Ich kenne meine Gedankengänge. Da ergibt vieles Sinn. Manches ergibt später irgendwie keinen Sinn mehr, worauf ich dann gütigerweise von der Frau, die in unserer Wohnung lebt, hingewiesen werden. Dann versuche ich, diese vermeintlich eindeutigen Gedanken und Zusammenhänge zu erklären, um letztendlich zu scheitern.

Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass ich entweder verrückt bin oder die Frau, die in unserer Wohnung lebt, nicht in der Lage ist, meinen Code zu entschlüsseln. Der Fehler dürfte eventuell doch bei mir liegen, denn sie entschlüsselt mich relativ gut. Manchmal zu gut, sodass sie Implizites im Expliziten vermutet, wo nur Explizites ist. Scheint bei Frauen recht häufig vorzukommen.

(Hierfür werde ich gleich nach der Veröffentlichung dieses Beitrags einen drüber bekommen. Denn ich bin mir dessen bewusst, dass auch ich in dieser Hinsicht weibliche Züge zeige. Ist es Vorsicht? Anstand? Moment! Warum schreibe ich das in Klammern, eingerückt und kursiv?! Es sollte Bestandteil des Haupttextes sein!)

Hierfür werde ich gleich nach der Veröffentlichung dieses Beitrags einen drüber bekommen. Denn ich bin mir dessen bewusst, dass auch ich in dieser Hinsicht weibliche Züge zeige. Ist es Vorsicht? Anstand? Man neigt dazu, ein wenig übervorsichtig zu sein, was letztlich bevormundend ist. Das Gegenüber – in diesem Fall die Frau, die in unserer Wohnung lebt, kann das ab. Ich habe mich soeben zwischen zwei Perspektiven verwurschtelt. Denn es ging ja darum, dass ich etwas aus einer Äußerung verstehe, was nicht gesagt wird. Sie sagt etwas, ich verstehe mehr, als enthalten ist. Andersherum kann man auch mehr ausdrücken, als man aussagt.

Bestes Beispiel: „Du siehst gesund aus.“

Gefährlich! Gesund zu sein, ist pietätloserweise heute kein unbedingt gern gesehener Zustand. Das muss man erklären. Und weil ich gerade hier bin, kann ich das übernehmen. Man ist heute nicht mehr gesund. Man isst allerdings heute überaus gern gesund, was damit zu tun hat, dass man definitiv und auf jeden Fall krank ist. Ich essen neuerdings nur noch aus meinen Händen, weil ich eine Intoleranz gegen Teller entwickelt habe. Die Ärzte konnten das nicht bestätigen, aber ich fühle es. Das ist natürlich nur halb wahr und somit halb gelogen, aber soll den modernen Zwang der westlichen Zivilisation aufs Korn nehmen, in dem jeder irgendetwas haben muss. Nicht diagnostiziert, nicht einmal pathologisch nachweisbar. Vielleicht irgendwann psychosomatisch. Man hat nichts Ernstes, aber hat einen kleinen Makel, der zum wesentlichen Kriterium der eigenen Identität gereicht. Schonmal drüber geschrieben. Alter Hut.

Auf der kommunikativen Ebene kommt die menschliche Fähigkeit, ein und denselben Sachverhalt grundverschieden zu interpretieren, zum Tragen. „Du siehst gesund aus“ ist ein Kompliment. So deute ich es. Ich zumindest würde, sollte ich jemanden aufs Übelste beleidigen wollen, vermutlich davon absehen, ihm ein gesundes Aussehen zu attestieren.

„Ey! Du siehst gesund aus!“

„Halt’s Maul, Alter!“

Dummerweise konos…nein…kogno…wie heißt das denn, verdammt?! ach, assoziiert man mit einem gesunden Aussehen die rosigen Backen einer Bäuerin. Die links und rechts vom Mund. Dem waagerechten. Es wird schlüpfrig! Die moderne Frau will nicht aussehen, wie eine Bäuerin. Also ist „Du siehst gesund aus“ gleichermaßen Kompliment und Beleidigung.

Kommunikation ist verwirrend.

Insbesondere jene zwischen Mann und Frau, die erwiesenermaßen auf verschiedenen Frequenzen funkt. Das Klischee wird oft genug bemüht, aber beim kurzweiligen Versuch, sich einzukleiden, kann ein Mann der Frau nichts sagen, was als eindeutiges Signal verstanden wird. Gibt die Ausdrucksebene keine Zweifel her, muss die semantische Ebene bemüht werden. Ist dieser Versuch immer noch ohne Erfolg, geht es auf die Metaebene. Beispiel:

„Wie sieht das aus?“

„Sehr gut!“

„Ja?“

„Ja.“

„Bei dem davor klangst du überzeugter.“

Das beschränkt sich nicht bloß auf die Kommunikation mit der Frau, die einem am nächsten steht, sondern auf Großmütter. Du möchtest wirklich keinen Nachschlag mehr, aber jeder am Tisch weiß, dass du noch eine Portion Königsberger Klopse bekommen wirst und dir darüber hinaus ein Vorrat für schlechte Zeiten in einer Tupperdose mit nach Hause gegeben wird. An einem „Nein“ scheinen also bezüglich seines semantischen Gehalts erhebliche Zweifel zu bestehen. Seit einigen Jahren versuche ich diese Strategie bei meiner Oma anzuwenden. Sofern ihr Teller leer ist, biete ich ihr noch etwas von dem an, was sie für uns gekocht hat. Sie lehnt ab, aber ich bleibe hartnäckig und biete ihr an, einen kleinen Vorrat einzufrieren. Auch das wird in der Regel abgelehnt.

Der alltägliche Austausch ist ein Wirrwarr an Missverständnissen aufgrund unterschiedlicher Erwartungshaltungen. Allerdings würde ich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, doch niemals vollkommen verhunzt aus dem Haus gehen lassen. Das wird sie wissen. Dennoch bestehen Zweifel an der Aussage „Ja, du siehst in diesen Klamotten richtig toll aus!“. Weil: Es ist Donnerstag.

Es ist Donnerstag und ich bin müde, was vermutlich Auslöser dieses Beitrags ist. Andererseits produziert die Müdigkeit manchmal die besten Gedankengänge. Ich erinnere mich daran, dass ich vor einigen Monaten des Morgens erwachte und im Halbschlaf die ultimative Geschichte ersann. Ich nahm mir vor, diese zu verbloggen. Was ich letztendlich auch tat, wenn auch auf andere Weise als geplant. Denn es wurde ein Zweiteiler über die Suche nach dieser Geschichte, die mir gleich nach dem Aufstehen sofort aus dem Hirn glitt. Ich hatte sie vergessen und trauerte ihr nach.

Was mich zum eigentlichen Thema zurückbringt, das nie wirklich aus den Augen verloren wurde. Verwirrungen können unterschiedlicher Natur sein. Ihnen allen gemeinsam ist der Ursprung. Unser Gehirn ist selbst vollkommen verschlungen mit sich selbst. Ebenso wie unser Darm. Ob da Zusammenhänge bestehen? Aus dem Bauch heraus entscheiden…ja, der Darm scheint eine Art Gehirn zu sein. Diese Zusammenhänge herzustellen, hätte mich vor ein paar hundert Jahren wohl das Leben gekostet. Man hätte mich für verrückt gehalten. Bin ich verrückt? Der Beitragstitel deutet es an. Es waren die ersten beiden Sätze, die mir beim Blick auf den ursprünglich leeren Beitrags-Entwurf in den Sinn kamen. Der erste von ganz allein, der zweite wurde mir von der Frau, die in unserer Wohnung lebt, vorgelesen. Daraus entwickelte sich ein vielversprechender Einstieg ins Thema, was ich umgehend einer dritten Person mitteilte, die mich unbeabsichtigt beruhigte, indem sie schrieb, dass es oft eben nur ein paar Worte sind, die den Ausschlag geben.

Ich bin also nicht verrückt. Und falls doch, ist es diese Person auch.


Dieser Beitrag ist noch nicht auf dem DampfPod erschienen, was für den DampfPod spricht. Er nimmt halt nicht alles.


Es ist Donnerstag. Auch auf Facebook. Aber nur noch bis 0 Uhr.

11 Kommentare

  1. Hat dies auf Here you are! rebloggt und kommentierte:
    Da ich ja nicht soviel schreibe, aber meine Gedanken in diesem Beitrag von Seppo gut ausgedrückt fühle, reblogge ich den hier mal. Den Beitrag. Ich habe ihn bis zur Hälfte gelesen, danach hatte ich genug gelacht.

    „Du siehst gesund aus“ übersetzt sich meiner Erfahrung nach mit der Aussage, du bist im Gesicht voller geworden.
    Nur im Gesicht?

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  2. Du bist nicht verrückt, wenn dann eher irrer. Aber ich mag Irre. Sieht gut aus. Kannst damit so raus gehen.
    Und ich muss dich teilen. Unbedingt. Ich meine den Artikel. Damit alle wissen, dass es keine Verrückten gibt. Nur verrückte Möbel. Also Möbel die verrückt wurden. Also Möbel die nicht mehr da sind wo sie mal waren.
    Egal. Ich lese dich gerne.
    Ist doch verrückt. Oder?

    Gefällt 1 Person

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