Mein Leben als Frau I

2016-06-27 14.20.05

Der Kampf der Geschlechter, wenn man ihn überhaupt so nennen will, ist für die schreibende Zunft ein wahrer Glücksfall. Ich zähle mich nicht zur schreibenden Zunft. Ich bin eher das, was man im Musikgeschäft als „underground“ bezeichnet. Ganz im Gegensatz zu solchen Musikern, die bei einem Majorlabel unter Vertrag stehen und somit „voll Kommerz“ sind. Ich bin ein Mann des Volkes. Mittendrin. Mich treiben dieselben Sorgen um, denen sich ein jeder Mann hilflos ausgesetzt sieht. Hier muss ich vom Mann schreiben, weil ich einer bin. Das bestätigen mehrere Zeugenaussagen. Die schreibende Zunft sitzt in einem Elfenbeinturm und hat den Bezug zur Realität längst verloren. Die Menschen brauchen Wahrheiten, die die Lügenpresse nicht ausspricht. Nicht aussprechen darf. Wir Menschen brauchen jemanden, der bei dem kleinen Mann ist, seine Ängste teilt und versteht, der einer von uns ist! Am Puls der Gesellschaft.

Alles klar. Hier bin ich. Ich werfe mich ins Getümmel und liefere knallharte Fakten aus einer Welt, die von Neid, Missgunst, Eifersucht und Missverständnissen gezeichnet ist. Eine Kraterlandschaft des sozialen Zusammenlebens. Ich bin ein Günter Wallraff, nur noch unseriöser und noch schlechter recherchiert. Die Welt der Geschlechterdifferenzen ist mein Revier. Und ich infiltriere das Andere, das Fremde. Das Weibliche! Ich werde anders, werde fremd. Werde…weiblich! 

(Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, ist in vielerlei Hinsicht sehr unkompliziert. Das nun Folgende stellt also keinesfalls eine realistische Abbildung unseres Alltags dar. Es sind Klischees. Manchmal sind Klischees wahr. Bei uns zuhause glücklicherweise nicht. Und wenn doch, dürfte ich es hier niemals öffentlich zugeben.)


6:00 Uhr

Ich wache auf, weil mir die Frau, die in unserer Wohnung lebt, an den Hintern fasst. Auf ihrer Seite des Bettes steht die Katze und kräht ihr ins Gesicht. Schön, dass ich heute mal verschont werde. Ich muss trotzdem aufstehen, weil die Blase drückt. Beim Aufstehen bemerke ich, dass ich leichter bin als sonst. Im Halbschlaf lege ich diesen Gedanken wieder zu den Akten, schlurfe ins Bad und kratze mich am Hintern. Mein lieber Schwan! Wenn es nicht meiner wäre, würde ich ihn unverzüglich auffressen. Im Badezimmer ist es viel zu hell, weshalb ich nicht richtig aus den Augen schauen kann. Ich stelle mich vors Klo, lasse die Boxershorts fallen und den Dingen ihren Lauf. Dem Blick nach unten versperrt etwas die Sicht, was ich bei dieser stechenden Helligkeit nicht näher identifizieren kann. Ich hebe den Kopf wieder. Ich bin müde. Nach verrichteter Arbeit lege ich mich wieder ins Bett.

6:50 Uhr

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, schlägt zornig die Bettdecke beseite und stampft in die Küche, um dem Nervtöter seine Nahrung zukommen zu lassen. Danach geht auch sie ins Bad. Und kehrt vorerst nicht zurück.

8:00 Uhr

Ich wache endgültig auf und schaue auf mein Handy. Ich habe 27 Freundschaftsanfragen, 43 Nachrichten und 86 neue Benachrichtigungen auf Facebook erhalten. Ich klicke mich durch den Wust an Rechtschreibfehlern. Sämtliche Nachrichten lauten „Hey, na Süsse!“, „Kenen wir uns nicht?“ oder ähnlich. Die Benachrichtigungen sind Kommentare wie „Hamma Augen!“, „heisa körpa“ oder „;)“. Ich lehne sämtliche Freundschaftsanfragen ab und erhebe mich. Mittlerweile ist es

8:17 Uhr

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, kniet im Bad. Ich wünsche ihr einen guten Morgen. Sie antwortet mit einem gut gelaunten „Jo…“. Ich bleibe im Türrahmen stehen, kontrolliere eine Haaresträhne von mir und stelle eine Frage, die ich noch nie gestellt habe.

„Was denkst du gerade?“

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, unterbricht das Putzen und dreht sich zu mir um. Sie sieht leicht angesäuert aus.

„Ich denke gerade, dass es sinnvoller wäre, wenn du ab heute nicht mehr im Stehen pinkelst.“

Nicht mehr im Stehen pinkeln! Ich bin äußerst treffsicher. Ha! Das sollte ich ihr sagen.

„Ähm?! Nicht mehr im Stehen pinkeln?! Ich bin äußerst treffsicher.“

„Aber nicht mehr, seit du eine Frau bist!“

Ich bin geschockt, schaue an mir herunter, kann wieder nichts erkennen, erkenne aber nun, weshalb: Meine Brüste versperren mir die Sicht nach unten. Ich beuge mich vor, kann aber noch immer nichts erkennen, weil da nichts ist. Ich hätte vorhin vielleicht wirklich lieber nicht beim Pinkeln stehenbleiben sollen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, widmet sich weiter dem überfluteten Bad und ich renne ins Schlafzimmer, um mich unter der Bettdecke zu verkriechen.

8:46 Uhr

Ich komme aus dem Schlafzimmer und stolziere demonstrativ am Bad vorbei. Von drinnen ruft die Frau, die in unserer Wohnung lebt

„Es tut mir leid. Ich wollte nicht böse sein.“

Ich antworte in einer Art, die mir bis jetzt vollkommen fremd war:

„Ja! DU solltest das mal einen Tag durchmachen müssen…“

„Ich mache das seit 27 Jahren Tag für Tag durch!“

Verdammt! Mir gehen die Argumente aus. Was jetzt?

„Das ist doch etwas ganz anderes! Du verstehst mich einfach nicht!“, schluchze ich.

Das hat gesessen! Ich renne wieder ins Schlafzimmer.

8:47 Uhr

Ich verlasse das Schlafzimmer nach einer Minute erneut. Es ist alles wieder in Ordnung. Ich koche mir einen Kaffee.

8:59 Uhr

Ich muss mich fertig machen. Muss ich duschen? Ich sollte die Frau, die in unserer Wohnung lebt, fragen.

„Muss ich duschen? Wie sehen die Haare aus?“

Sie mustert mich.

„Joa…“

„Also besser duschen?“

„Was?!“

„‚Joa‘ heißt soviel wie ‚Geh besser duschen.'“

„Das habe ich doch gar nicht gesagt!“

„Aber gemeint! Man! Ich gehe jetzt duschen. Nie hilfst du mir!“

9:13 Uhr

Ich bin mit der Masse an Haaren völlig überfordert. Wie kann ein Mensch so viele Haare haben?! Die werden nie im Leben trocken, bevor wir los müssen. Ich verfalle in Hektik. Aber vielleicht ist sie auch noch nicht fertig.

„Bist du fertig?“

„Muss nur noch eine Hose und ein T-Shirt anziehen.“

„Also nein!“, rufe ich zurück.

 Gott sei Dank! Das verschafft mir noch etwas Luft.

9:15 Uhr

Sie steht fertig angezogen vor mir.

„Du, ich bin noch nicht fertig. Ich muss mir noch Sachen zum Anziehen raussuchen. Kannst du vielleicht was Passendes raussuchen?“

Sie wird panisch. Schweißperlen bilden sich auf ihrer Stirn und sie rennt ins Schlafzimmer.

9:21 Uhr

Haare gefönt und geschminkt. Wenn man es so nennen will, denn ich habe es noch nie vorher gemacht. Es ist eine eher zufällige Verteilung diverser Farben in meinem Gesicht. Jetzt noch anziehen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, hat mir einige Sachen rausgelegt. Wäre ich ein Mann, würde ich sie anziehen, weil sie alle einer der acht Farben zugeordnet werden können. Weil ich aber heute eine Frau bin, kenne ich 16.000.000 Farben, die ich aber als Mann, der ich im Geiste noch bin, nicht benennen kann.

„Das Rot passt doch nicht zu diesem Rot!“

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, ist geschockt.

„Was?! Warum nicht?“

„Weil das hier ein anderes Rot ist.“

„Aber es ist doch alles irgendwie ein Rot. Das muss doch passen.“

„Nein. Was hast du denn noch rausgesucht?“

„Sonst nichts. Ich dachte, dass passt zusammen. Ich finde das übrigens in der Kombination sehr schön.“

Frauen! Haben keine Ahnung von Farbkompositionen!

„Du siehst doch, dass das völlig unterschiedliche Farbtöne sind.“

„Aber es ist doch dieselbe Farbfamilie sozusagen.“

„Also siehst du die Unterschiede zwischen den einzelnen Farbtönen?“

„Ja schon…“ 

„Warum legst du mir das dann raus? Siehst du nicht, dass das nicht passt?“

„Öhm…nein.“

„Das passt nicht!“

Ich ziehe mir ein paar der vollkommen unterschiedlich roten Sachen an. Sie passen nicht.

9:28 Uhr

Nach der Anprobe unterschiedlicher Schuhe, eines schwarzen Mantels, der Umgestaltung meiner Frisur und der zwischenzeitlichen Entscheidung, zuhause zu bleiben, fällt die Wahl auf die Anziehsachen, die mir die Frau, die in unserer Wohnung lebt, rausgelegt hatte. Ich ziehe mir einen Schal dazu an. Er hat auch eine Farbe. Aber ich kenne sie nicht. Es ist nicht rot.

„Jetzt passt es.“, verkünde ich der Frau, die in unserer Wohnung lebt.

„Nur durch den Schal? Der Schal verändert doch nicht die Farben der übrigen Klamotten.“

„Nein.“, antworte ich suche hochkonzentriert nach einem nachvollziehbaren Argument. „Aber jetzt passt es. Bist du fertig?“

„Muss mir noch schnell die Haare machen. Konnte ja gerade nicht ins Bad.“

„Toll! Wegen dir kommen wir jetzt zu spät! Deine Haare gehen auch so.“

Mit diesen Worten treibe ich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, aus der Wohnung.


Wie mag es weitergehen? Warum schaut die Frau, die in unserer Wohnung lebt, immer anderen Männern hinterher? Vielleicht passe ich optisch nicht zu ihr, weil sie so hübsch ist und ich so hässlich. Mehr Selbstzweifel gibt es nur an einem Ort: Facebook!

21 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben – allerdings glaube ich das du mit den Uhrzeiten durcheinander gekommen bist. Es sei denn, dass muss so, wegen dem Inhalt als Frau … Das wäre ok, hat mich allerdings verwirrt.

    Sonnige Grüße

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  2. Ah, endlich! 16 Jahre nach Mel Gibsons Vorstoß endlich wieder ein Frauenversteher 🙂
    „[…]Mir gehen die Argumente aus. Was jetzt? “Das ist doch etwas ganz anderes! Du verstehst mich einfach nicht!”, schluchze ich. Das hat gesessen! […]“
    Die Logik der Frauen ist halt einfach glasklar und treffsicher 🙂
    Wenn du noch ein Bild von dem Schal posten könntest, dann lässt sich der Farbton sicher exakt bis auf 1/16Mio bestimmen.

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  3. HERRLICH! Endlich mal jemand der aufzeigt wie schwer es Frauen doch haben!
    Du solltest dich auf jeden Fall daran gewöhnen früher aufzustehen… so als Frau… da dauert eben alles etwas länger 🙂

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  4. Mir fehlen die Worte, weil ich so viel lachen musste. Herrlich auf die Spitze getrieben – die Sache mit dem Putzen und auch alles andere.

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  5. „Hey, na Süsse!“, „Kenen wir uns nicht?“ „Hamma Augen!“, „heisa körpa“ oder „;)“
    Das ist noch echt harmlos, glaub mir. Schräg ist, wenn du als Frau ein Foto auf Instagram postest, wo deine Füße in Sandalen zu sehen sind und du Anfragen von Fußfetis bekommst…

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