Im Schatten der Olive – Feuer!

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Der Rhein. Reißender Strom, Zufluchtsort einbetonierter Großstädter, Ort der Evolution! Es ist Sommer und wir liegen am Rheinufer. Ich im Schatten unseres viel zu kleinen Sonnenschirms, die Frau, die in unserer Wohnung lebt, in der Hitze der viel zu heißen Sonne. Es ist angerichtet. Das Protokoll eines ereignisarmen Nachmittags.

Direkt am Wasser steht eine junge Frau und telefoniert. Dann legt sie auf und telefoniert erneut. Das geht etwa eine Stunde so. Dann verlässt sie den Rhein. Etwas weiter rechts hat sich zwischenzeitlich ein Mann niedergelassen. Ich schätze ihn auf Ende 20/Anfang 30, was ihn zu einem direkten Konkurrenten im Kampf um den Posten des Gewinners in dieser Altersklasse am Rhein macht. Es gibt zwar keinen Wettkampf, aber die Hierarchie muss klar sein. Ich entscheide das Duell stillschweigend für mich, weil er alleine am Rhein ist und ich nicht. Haha! Idiot!

Wobei das nicht ganz stimmt, denn er hat einen Hund dabei, dem er freien Oberkörpers ein ums andere Mal einen Würfel aus Holz in diesen träg dahinfließenden Strom wirft. Der Hund wirft sich in die trübe Suppe und kehrt zu seinem Herrchen zurück. Ich nenne den Hund Boomerang und wundere mich, dass er nicht zu brennen beginnt, als er den Rhein verlässt.

„Puuuh! Gefährlich!“, gebe ich der Frau, die in unserer Wohnung lebt, zu verstehen.

„Wieso?“

„Der Hund. Der springt in den Rhein und kommt raus, als wär nichts dabei.“

„Hier vorne ist das Wasser ja auch ziemlich ruhig.“

„Aber das Öl und die entzündlichen Stoffe im Rhein…“

„Du bist bescheuert. Ich gehe mich kurz abkühlen.“

Sie erhebt sich und schreitet zum Wasser. Ich bleibe mit den Worten, dass uns niemand den Platz wegnehmen soll, im Schatten des lebensrettenden Schirms liegen und observiere die Umgebung.

Mein Konkurrent wirft nach wie vor den Holzwürfel in den Rhein. Boomerang hechtet hinterher und bringt ihn zurück. Dann bemerkt mein Konkurrent die Frau, die in unserer Wohnung lebt, die sich im Bikini die Beine abkühlt. Sofern das überhaupt möglich ist, denn der Rhein hatte bis zu dieser Stelle etwa 740 Kilometer Zeit, durch Industrieabwässer und diverse in den Rhein urinierende Badegäste eine angenehme Temperatur zu erreichen. Ich tippe auf 32 Grad. Man weiß ja nie, was zwischen Quelle und Badeort so passiert.

Der Konkurrent bemerkt also die Frau, die in unserer Wohnung lebt, und wirft geistesabwesend den Holzwürfel in den Rhein. Boomerang rennt hinterher, bringt den Würfel aber nicht zurück. Der Konkurrent warf ihn zu weit. Boomerang steht bis zum Hals im Wasser und wirft abwechselnd Blicke zum Würfel und zu seinem Herrchen. Der Würfel erwidert seinen Blick. Herrchen nicht. Es steht am Ufer und schaut nach links. Dorthin, wo die Frau, die in unserer Wohnung lebt, nun steht und sich mit vermutlich 32 Grad warmem Wasser abzukühlen versucht. Sie kommt zurück und legt sich hin.

Der Konkurrent widmet sich wieder Boomerang, der noch immer im Wasser steht. Der Holzwürfel zieht langsam seine Kreise etwa zehn Meter vom Ufer entfernt. Trügerische Ruhe. Als der Konkurrent sich hinlegt, wird es auch Boomerang zu blöd und er setzt sich neben ihn. Weil ich keine Kontaktlinsen trage, sieht es für mich so aus, als setzte sich Boomerang auf den Konkurrenten. Als würden sie sich nun paaren. Ich schiebe diesen Gedanken auf die Sonne und bemerke, dass mein Flecken Schatten bedingt durch die Erdrotation immer kleiner wird. Die Sonne steht nun tiefer, was mich dazu zwingt, die Beine stärker anzuwinkeln. Noch sieht es natürlich aus. Die riesige Olive im Hintergrund lacht hämisch. Unter ihr ist es nach wie vor schattig. Ich gebe das mal zu Protokoll.

„Mein Schatten wird immer kleiner. Unter der Olive ist noch ganz viel.“

„Das ist kein Olivenbaum!“

„Stellst du etwa meine geologische Expertise infrage?!“

Sie antwortet nicht auf meine Frage und schickt sich an, dem Rhein einen weiteren Besuch abzustatten.

„Kommst du mit?“, fragt sie mich.

„Ich will nicht Feuer fangen.“

„Was?!“

„Das Öl…das Benzin…die heißen Steine. Viele Menschen gehen im Rhein baden, setzen sich ans Grillfeuer und gehen in Flammen auf.“

„Meinst du das ernst?!“

„Ja natürlich.“

„Aber mich lässt du in aller Ruhe ins Wasser gehen?“

Verdammt!

„Nein, natürlich nicht.“

„Dann komm mit.“

„Aber…meine Haut…der Schatten…“

Sie zieht eine Augenbraue hoch, dreht sich um und geht ans Ufer. Ich werfe der schattenspendenden Olive einen sehnsüchtigen Blick zu, stehe auf und wage mich in das grelle Sonnenlicht. Die Steine sind glühend heiß. Allerdings bin ich wach genug, um nicht panisch zum Wasser zu rennen. Ich muss den Tritt in eventuelle Glasscherben vermeiden.

„Schau mal! Ein Flaschenboden!“, ruft mir die Frau, die in unserer Wohnung lebt, zu.

„Ja, fein!“

Boomerang horcht auf, sieht den Holzwürfel in der Nähe des Ufers und kachelt ins Wasser. Eine friedliche Entenfamilie, die in der Nähe des Würfels im Wasser trieb, wertet dies als Angriff und sucht das Weite. Das Weite muss irgendwo am Niederrhein sein, denn sie fliegen über den Rhein hinweg und verschwinden am linksrheinischen Horizont. Der Hinweis auf den abgebrochenen Flaschenboden im Wasser steigert meine Vorfreude auf die Abkühlung nur bedingt. Ich wende die Chamäleonstrategie an und wippe langsam über den Kiesstrand in Richtung Wasser.

Es ist kälter als vermutet. Eine Art Fisch oder zumindest eine in flüssigen Stoffen heimische Kreatur versetzt die Frau, die in unserer Wohnung lebt, in Entzücken. Bei den Simpsons ist es ein mehräugiger Fisch, in Düsseldorf ist es die Perversion einer viel zu klein geratenen Robbe. So sieht es zumindest für mich aus.

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, möchte zurück zum Sonnenschirm. Das stellt mich vor die Wahl, im Wasser beim abartigen Miniatur-Robbenfisch zu bleiben oder meine durch das Rheinwasser leicht entflammbaren Füße dem glühend heißen Kiesstrand auszusetzen. Da wir gleich nach Hause gehen wollen, muss ich den Rhein verlassen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, geht vor. Ihr passiert nichts, also folge ich ihr. Kleine Flämmchen züngeln um meine Fußgelenke, aber die große Verpuffung bleibt aus.

Noch kurz legen wir uns auf unsere Decke. Als die Frau, die in unserer Wohnung lebt, bemerkt, dass ich darum bemüht bin, meine ca. 180 cm Körpergröße auf eine Fläche von etwa 60 x 60 cm Schatten zu komprimieren, erbarmt sie sich und wir packen unsere Sachen zusammen. Vorher bemerken wir diverse winzige Tierchen, die zwischen oder auf dem Kies leben. In grün und rot. Möglicherweise können Vertreter der einen Farbe beißen, was manche Menschen vor Probleme stellt. Mutierte Flöhe könnten das sein. Alles am und im Rhein muss mutiert sein. Grenzwerte hin oder her. Ab einer konstanten Dröhnung eines Chemikalien-Cocktails kann die Konzentration noch so gering sein. In den 60ern verirrte sich ein Beluga in den Rhein, fand den Weg aber allein zurück. Nicht auszudenken, wäre der ebenfalls mutiert.

Wir gehen zurück zum Auto. Zwischenzeitlich hat sich eine Familie mit Kindern unter dem schattigen Olivenbaum niedergelassen und grillt.

„Nicht ungefährlich“, informiere ich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, besorgt. „Das offene Feuer unter Bäumen ist ohnehin schon gefährlich. Und dann noch unter einer Olive…“

„Was hast du heute nur mit dem Feuer?“

„Das ist wirklich riskant! Das Öl im Baum lässt den Olivenbaum bei diesen Temperaturen wie Zunder brennen.“

„Ein letztes Mal: Das ist kein Olivenbaum! Die werden nicht so groß. Und es fängt auch nicht alles sofort zu brennen an.“

Ich bleibe stehen und schaue nachdenklich den riesigen Baum empor.

„Normalerweise ja. Aber durch die Nähe zum Rhein und das Benzin und das Öl…“

Sie wendet sich ab und geht schonmal zum Wagen. Ich werfe einen Blick zurück zum Ufer, sehe Boomerang nach wie vor ins Wasser springen, um den Würfel zu holen, den abartigen Miniatur-Robbenfisch ein kleines Sprüngchen vollziehen und den Konkurrenten, der nun eine andere junge Frau angafft. Dann noch ein letztes mal zum Baum. Es wirkt friedlich dort unter den ausladenden Ästen. Doch die Ruhe, sie ist trügerisch. Dort. Im Schatten der Olive.


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Den ersten Teil verpasst? Lies ihn dir jetzt durch in der Dampfbloque-Mediathek!

8 Kommentare

    • Der Schirm hatte nur eine Höhe von ca.155-160cm. Man stelle sich einen darunter stehenden, 180cm großen Mann vor. Wir brachen dann zügig auf.

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  1. Nachdem ich den 1 Teil gelesen hatte und auf den Link für den 2. Teil klickte war da nichts. Nur meine Traurigkeit, doch 10 Minuten später hatte ich mich beruhigt und nochmals geklickt und siehe da. Der 2. Teil war da.
    Danke für die amüsante Geschichte. Ich freue mich, dass ich sowas nicht live miterleben muss. 😉
    Die Frau, die in eurer Wohnung lebt muss der Hammer sein.
    LG
    Edith

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    • Ah! Habe erst jetzt den Fehler gefunden. Den zweiten Teil schrieb ich bereits gestern. Demnach verlinkte ich ihn mit dem Datum „/2016/08/29/“ im ersten Teil. Veröffentlicht wurde der zweite Teil aber erst heute und das veränderte die Url von ihm auf „https://dampfbloque.com/2016/08/30/im-schatten-der-olive-feuer/“. Hab es abgeändert. Danke für den Hinweis.

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