Im Internet kennengelernt

2016-09-15-07-41-47

Es gab eine Zeit, da lernte man sich beim Tanz kennen. Da lud der Prinz zum großen Schaulaufen in seinem Palast und die Frauen kamen herbeigeströmt, weil eine jede Dame, die etwas auf sich hielt, reich sein wollte. Das ist uns über diverse historisch verbürgte Quellen überliefert und ich weiß nicht, warum man dem Geschichtsforscher Walt Disney diesbezüglich misstrauen sollte.

Nun war es tatsächlich so, dass man sich vor nicht allzu langer Zeit dort kennenlernte, wo man einander begegnete. Als Mensch, der man nunmal aus Haut, Knochen, etwas Muskelfleisch und mit Sicherheit der einen oder anderen vertuschten Problemzone besteht. Man hatte ein dreidimensionales Bild eines Lebewesens vor sich und konnte direkt entscheiden, ob das nun etwas wäre oder eben nicht. Das klingt sehr oberflächlich und vermutlich Auslöser explodierender Empörung des Einen oder Anderen. Ich kann allerdings sehr wohl auf den ersten Blick einschätzen, ob mir jemand zusagt oder nicht. Und weil jeder Mensch auf der Welt dem berühmten ersten Eindruck unterworfen ist und der nunmal – sofern man nicht blind ist – ein optischer ist, muss hier jeder eingestehen, dass wir Menschen im ersten Moment oberflächliche Fleischbeschauer sind.

Ein ehrbarer Beruf übrigens. Mein Uropa war in seiner ostpreußischen Heimat Fleischbeschauer. Er beschaute Fleisch. Primär das von Tieren, die zum Verzehr gedacht waren. Auch das könnte nun Empörung ernten, aber seien wir mal ehrlich: Wenn man sie nicht isst, sterben sie und niemand hätte etwas davon. Das hieße natürlich auch, dass man sie gar nicht erst halten müsste. Über diesem Dilemma werde ich noch ein wenig brüten müssen.

Man traf sich also früher und mit wem man sich öfter traf, der wurde stillschweigend in den Freundeskreis aufgenommen. Das wurde nie kommuniziert. Mit der Verbreitung des Internets und ersten Ansätzen des Web 2.0 änderte sich das ein wenig. Vielleicht schon etwas früher mit den ersten Mobiltelefonen, mit denen man sich per SMS kennenlernte. Hauptgeschäft war aber nach wie vor das persönliche Treffen.

Heute gibt es Partnerbörsen in Massen und auch über die sozialen Netzwerke kann man sich kennenlernen. Ein Auswuchs des Internets, den ich bis vor einigen Jahren nicht verstehen konnte. Das Kennen- und vor allem Liebenlernen hatte für mich immer einen Status, der mit der Unverbindlichkeit des vor-dem-Rechner-Sitzens nicht verreinbar war. Man hörte von dieser und jenem, die sich im Internet kennenlernten, kurze Zeit später heirateten, um noch kürzere Zeit später zu beweisen, dass man im Internet alles tat, nur sich eben nicht kennenlernte.

Der direkte Kontakt ist vermutlich nicht zu ersetzen, weil er eben ganz anders abläuft als die Begegnung im Internet. Heute versendet man zunächst Freundschaftsanfragen, die ich als Kind und auch in meiner Jugend in meinem Freundeskreis nie verschickte. Natürlich war man befreundet. Das zu wissen, bedurfte keines förmlichen Schriftstücks. Heute sieht das ein wenig anders aus. Was zunächst als Weg diente, den Kontakt herzustellen, stilisierte sich in den kommenden Jahren zu einer Instanz. Oha! Man erhielt eine Freundschaftsanfrage von XY. Kurze Freude, Anfrage angenommen, oftmals Karteileiche.

Erheblich interessanter wird es allerdings, wenn bestätigte Freundschaftsanfragen wieder abgelehnt werden, man sich entfreundet. Online. Manch einer nimmt es einem krumm. So auch bei mir, als ich vor einigen Wochen einer Person, die ich zwar persönlich kenne, mit der ich aber reichlich wenig private Konversation betreibe, die ich folglich kaum kenne, bei Facebook die Freundschaft kündigte. Wenn wir uns sehen, steht das zwischen uns. Die Person spricht nun nicht mehr mit mir.

Woher dieser verletzte Stolz rührt, kann rational nicht erklärt werden. Denn es ändert sich faktisch nichts. Nur die virtuelle Verbindung, die im realen Leben keine Entsprechung hat, wurde gelöst. Die genießt allerdings bei manchen deutlich mehr Ansehen als die Realität.

Im Laufe der Zeit musste ich allerdings meine Meinung vom Kennenlernen im Internet revidieren. Ganz davon abgesehen, dass das Internet heute über die technischen Mittel verfügt, dass auch Menschen, die an ihre Wohnung gebunden sind, am sozialen Leben teilnehmen können, gibt es genügend Beispiele dafür, dass einem Kennenlernen im virtuellen Raum ein gemeinsames Leben im haptisch erlebbaren Umfeld folgen kann. In meinem Freundeskreis ist der Verlauf nach wie vor eher klassisch. Man lernte sich entweder in der Schule oder auf der Arbeit oder während des Studiums kennen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, und ich lernten uns ebenfalls an der Uni kennen, auch wenn der Erstkontakt über das StudiVZ zustandekam. Man durchforstet die Gruppen der Erstsemester eines Studiengangs und sofern man als Mann in einem von Frauen dominierten Studium nicht an Reizüberflutung dahinscheidet, stößt man auf Personen, die sympathisch wirken. Zunächst optisch. Der erste Eindruck. Fleischbeschau im virtuellen aber immerhin akademischen (zumindest damals noch…gibt es StudiVZ eigentlich noch?) Mileu.

Das eigentliche Kennenlernen findet dann aber doch in der realen Interaktion statt. Das läuft bei Beziehungen nicht anders als bei lockeren Bekanntschaften ab. Über das Bloggen lernte ich diverse Menschen kennen, mit denen ich mich gut verstand. Auf einer überwiegend kommunikativen Ebene. Der Vorteil unverbindlicher Bekanntschaften, die über das Internet gepflegt werden, ist der Umstand, dass man eine gewisse Fassade aufrechterhalten kann. Ohne damit behaupten zu wollen, dass ich mich hier anders gebe als „in echt“. Das dürfte alles relativ authentisch sein. Aber über den reinen Schriftverkehr werden Dinge wie schlechte Laune in weiten Teilen getilgt. Man lernt also primär die positiven Seiten eines Menschen kennen, wohl wissend, dass da negative sein müssen.

Nur lernt man diese eben nicht kennen. Und da ich ohnehin ein eher grübelnder Charakter bin, mache ich mir Gedanken darüber, was ich für ein Bild abgäbe, würde man sich persönlich treffen. In einem älteren Beitrag schrieb ich bereits, dass sich Schüchternheit über das Schriftbild nicht transportieren lässt. Humor allerdings schon. Nur bin ich nicht pausenlos witzig, sofern ich es überhaupt bin. Also was passiert, wenn man sich mit jemandem trifft, der online über Monate ein bestimmtes Bild geliefert bekam? Entweder man trinkt zehn Tassen Kaffee und ist den gesamten Abend vollkommen aufgedreht, was entweder lustig oder extrem nervig sein kann. Oder aber man lässt es einfach auf sich zukommen.

Wir nannten es „Gipfeltreffen“, was dem ganzen ein wenig den förmlichen Charakter nahm. Es war höchste Zeit, denn auf eine sonderbare Art und Weise hatten wir bemerkt, dass wir uns verstanden, dass sich gewisse Parallelen auftaten. Und nachdem die Frau, die in unserer Wohnung lebt, und ich uns vor Nervosität noch ein letztes mal übergeben hatten, klingelte es an der Tür. Jemand kam hoch und ich hörte mich sprechen:

„Die sind ja viel kleiner als ich dachte.“

Und nun trifft man sich regelmäßig. Das Kennenlernen übers Internet läuft anders ab, aber es funktioniert. Es funktioniert gelegentlich erstaunlich gut. Und dass man sich heute schwerer tut, jemanden in seinen Freundeskreis zu integrieren, liegt vermutlich einfach daran, dass man ab einem bestimmten Alter mehr hinterfragt und oft genug dann auf Distanz bleibt.

Aber es geht eben auch anders.


Lernt meinen sozialen Außenposten auf Facebook kennen. Er ist sehr, sehr gut. Und im Internet.

11 Kommentare

  1. ich hatte sogenannte Freunde in Facebook die ich also überhaupt nicht kannte, ich hab alle entfreundet, es sind ja keine. so ein Blödsinn, ich frage mich nur, wie ich so doof sein konnte. ich hab sogar verwandtschaft entfreundet, bis heute ist keine nachfrage gekommen. Das zu Verwandtschaft.

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  2. Gut getroffen, das Kennenlernen übers Internet :-). Bei mir ist aber noch eine Frage offengeblieben – vielleicht habe ich auch nur zu ungenau gelesen:

    WER kam jetzt genau die Treppe hoch und mit WEM wurde ein „Gipfeltreffen“ veranstaltet?

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  3. Man kann sich schon über das Internet kennen lernen, aber ob sich eine Beziehung als Freundschaft oder mehr bewährt, kann man erst in der Realität herausfinden. Da bedarf es sicherlich auch mehrerer Gipfeltreffen.

    Ein weiterer Vorteil fortgeschrittenen Alters ist meiner Meinung nach, dass der Aspekt der Fleischbeschau in der Realität und anderswo weniger wichtig wird. Die Auswahlkriterien verschieben sich mit der Lebenssituation.

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  4. Mein Mann und ich haben uns ganz klassisch beim Tanzen kennengelernt.
    Die meisten Frauen, die ich kenne, tanzen auch gerne. Demnach ist es für die Männer sehr einfach, dort Frauen kennenzulernen. Frauen sind froh, wenn sie einen Mann finden, der tanzen möchte.

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  5. Ich habe meinen Freund bei einer Mitfahrgelegenheit auf dem Weg zur Arbeit kennengelernt. Als er dann jobbedingt 200km weiter weg lebte, hätte ich ihm ohne diese sozialen Netzwerke nicht nochmal getroffen. Obwohl..6 Jahre früher hätte ich ihm vielleicht eine SMS geschrieben. Dabei muss ich schmunzeln: Damals als ich eine „wollen wir uns treffen“-SMS geschrieben habe, war ich 16, und da wäre ich nicht mal so eben mit meinem Auto nach Berlin gefahren. hehe

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  6. Ich hab meinem Patenkind mal erzählt, dass wir früher vor dem Internet Kettenbriefe per Post verschickt haben und sie war voll irritiert: Hä? Wie soll das denn gehen? Das kann man ja gar nicht weiter leiten…

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  7. Ich habe den Galan indirekt über das Internet kennengelernt 🙂 Ich habe jemand anderes im Internet kennengelernt (was allerdings eine ziemlich komplizierte Geschichte ist und weder mit Facbeook noch mit Singlebörsen zu tun hat) und eines Tages, ein Jahr später, war der Galan plötzlich bei einer Feier dabei … Darauf uns auf Facebook zu befreunden sind wir übrigens erst nach einem guten Jahr Beziehung gekommen 😀

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