Ich bin dann mal Werbung

WK-Tasse-Werbung

Knapp sechs Monate ist es her, dass auf dem Dampfbloque urplötzlich Ruhe einkehrte und der Autor sich ganz offensichtlich wichtigeren Dingen zuwandte. Knapp sechs Monate, innerhalb derer ich den Status eines eingeschriebenen Masterstudenten gegen den eines Berufseinsteigers tauschte. Es ist der ewige Tausch des Lebens: gerade noch Ältester im Kindergarten und schon blutjunger Erstklässler, gerade noch erwachsener Viertklässler und schon nur noch unbedeutender Zwerg in der fünften Klasse eines Gymnasiums, gerade noch Abiturient und schon nur noch „Ersti“, gerade noch akademisch formvollendeter Hochschulabsolvent, der auf den Namen „Master“ hören wird. Und nun?

Auf dem Papier bin ich ein Junior, was mir mit nun respektablen 31 Jahren natürlich schmeichelt, mir aber zugleich vor allem eines vor Augen führt: Ich befinde mich am unteren Ende der Nahrungskette namens „Hierarchie“. Doch es hätte mich schlimmer treffen können. Denn wäre alles so verlaufen, wie es zunächst den Anschein machte, und würde es nicht Unternehmen geben, die Zusagen erteilen, diese dann aber im Stillen widerrufen, dann wäre ich heute nicht einmal Junior. Ich würde noch anderthalb weitere Jahre ein sogenanntes Traineeship durchlaufen. Insofern: Vielen Dank an eine Stadt auf der linken Rheinseite. Stattdessen war ich gezwungen, neue Bewerbungen zu verschicken und ältere, die bislang ohne Rückmeldung blieben, mit riskanten Nachfragen zu penetrieren. Zu verlieren hatte ich ohnehin nichts.

Ganz im Gegenteil.

Und so bin ich seit November 2016 ein Junior. Ein kleiner Fisch unter nicht ganz so kleinen, mittleren, größeren und ganz großen Fischen. Und es macht mir nichts aus. Wenn ich irgendwann mal in Rente gehe, werden mich die etablierten Rentner beim Bäcker vermutlich belächeln: „Ach, guckt mal da! Der kleine niedliche Junior-Rentner.“

Der Lauf der Dinge.

Als ich im August 2015 diesen Blog ins Leben rief und als einen der ersten Text-Ergüsse eine meines Erachtens angenehm ungewöhnliche Variante eines „About me“ mit dem Namen „Wer spricht?“ zu Papier brachte, formulierte ich die klare Absicht, mich nach dem Studium in einer Werbeagentur ausbeuten lassen zu wollen. Es ist kein großes Geheimnis, dass woanders mehr gezahlt wird, aber vielleicht bin ich doch ein Opfer dieser Zeit, in der alle nach Selbstverwirklichung streben. Einer der ersten Kommentare unter „Wer spricht?“ versucht auch gleich, mir das Unterfangen „Werbeagentur“ madig zu reden. Das scheint in der Branche zum guten Ton zu gehören. Wir schimpfen auf die Werbebranche, aber irgendwie mögen wir sie doch. Auf wen sollte man sonst auch schimpfen? Das war mir vorher schon klar, weil ich mich – womit der Kommentator vielleicht nicht gerechnet hätte – schon im Vorfeld über die Freuden von Überstunden, Wochenendarbeit, Jugendwahn und Termindruck informiert hatte. Ich wusste also, was mich erwartet. Oder ich ahnte es. Der Lernprozess setzte dann aber an ganz anderer Stelle ein.

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, bewarf mich einige Zeit lang mit Taschentuchpackungen, weil ich immer wieder mit irgendwelchen idiotischen Ideen um die Ecke kam. Die implizite Bitte der tätlichen Angriffe: „Such Dir einen Job, um diesen Scheiß endlich sinnvoll zu kanalisieren.“ Dementsprechend euphorisch ging ich in das erste Meeting, in dem es um das Konzipieren einer Plakatkampagnenidee gehen sollte. Ich erwartete einen planlosen aber kreativen Sturm aus aberwitzigen Ideen und sah darin eine meiner Stärken. Man würde mich mit Lobhuldigungen in den Feierabend schicken.

Die Realität sah und sieht folgendermaßen aus: „Eine Idee ist erst dann gut, wenn sich ihr Konzept auf mehrere Motive übertragen lässt. Ansonsten ist es keine Kampagne.“ Und so unbequem diese Wahrheit für jemanden, der gern einfach mal nur irgendwelchen Blödsinn in den Raum wirft und darin einen genialen Einfall sieht, auch ist – ein Stephen King wäre kein Stephen King, wenn er nur einen einzigen Horrorroman geschrieben hätte.

Und dann sitzt man in diesem Konferenzraum, in dessen Mitte ein riesiger Tisch mit glänzender Granitplatte steht, verflucht die nicht funktionierende Klimaanlage und beobachtet den Uhrzeiger, wie er das erste mal seit Vertragsunterzeichnung die Schwelle zur Überstunden-Phase überschreitet. Tausend Ideen, die passen könnten, gäbe es nicht so etwas wie Briefings, die gelegentlich so überhaupt nicht mit dem zusammenpassen wollen, was einem im Kopf rumschwirrt. Tausend geniale Ideen – aber nicht für diesen Kunden, nicht für diese Kampagne, nicht für dieses Produkt.

Um viertel vor sieben kommt Chef von einem Termin in die Agentur. Ich habe den Eindruck, dass er erst Feierabend macht, wenn er in Rente geht. Bis dahin scheint er immer auf Sendung zu sein. Dementsprechend großen Respekt habe ich – wir erinnern uns: gerade erst zum postakademischen Junioren degradiert – vor ihm. Zu diesem Zeitpunkt bin ich seit etwa einem Monat dabei. Mit Chef unterhalten habe ich mich bis hierhin noch nicht.

„Und? Wie sieht’s aus?“, ruft er in den Konferenzraum.

Er wartet die Antwort nicht ab und verschwindet wieder. Kurz darauf kehrt er zurück, stellt drei Flaschen Bier auf den glänzenden, diesen edlen Tisch und lässt sich auf einen Stuhl fallen. Dann legt er seine Füße auf den Tisch und hört sich an, was wir bisher gemacht haben. Nach nur wenigen Minuten geht es schon längst nicht mehr um die Kampagnen-Idee. Chef erzählt viel, was unter anderem daran liegt, dass er viel erzählen kann. Mein direkter Vorgesetzter, den ich vielmehr als Sparrings-Partner für kreative Einfälle betrachte, wird mir am Ende dieser Sitzung sagen, dass man von Chefs Monologen nur profitieren kann.

Und so sitze ich im Konferenzraum, trinke mit Menschen, die ich bis vor kurzem noch nicht kannte und bis Januar 2017 auch nur in Teilzeit zu Gesicht bekommen werde, ein Feierabendbier und fühle mich wohl. Der positive erste Eindruck von dem Moment, als ich die Agentur das erste Mal betrat, bestätigt sich in den ersten Wochen. Das empfand ich vor einigen Monaten schon und das empfinde ich nach wie vor. Noch bin ich ein kleiner Fisch unter vielen, die viel größer sind als ich. Die Lebenserfahrung beweist allerdings, dass dies kein Dauerzustand sein muss.

Die zwei Überstunden, die ich an diesem Abend machen werde, machen mir nicht so viel aus. Was ich aus meinem Bekanntenkreis so höre, sind viele froh, wenn sie nicht arbeiten müssen und beklagen sich möglicherweise zurecht über ihren Job. Und bei mir ist es mit Sicherheit nicht so, dass ich nicht gerne zuhause bin.

Aber ich bin auch gerne in der Agentur.


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21 Kommentare

    • An eine solche bin ich dann wohl geraten. 🙂 Die Horrorgeschichten aus den großen Netzwerkagenturen, in denen die Mitarbeiter auf den Fluren schlafen, weil sich die Heimfahrt kaim noch lohnt, haben sich nicht bestätigt.

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      • Gut so! Über sowas wird dann eben auch kaum berichtet, weil viel zu „normal“. Hab aber auch Sachen gehört von Feldbetten in Agenturen … na bitte, wer mag.

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      • Wird teilweise ja sogar glorifiziert. Ist immer die Sache, ob und vor allem wie lange man das mitmachen möchte oder kann. Jeder muss wissen, ab welchem Punkt für ihn das Verheizen anfängt.

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  1. Ich freue mich für Dich! Es ist schön, dass Du den Weg gehen kannst, der Dir am Herzen liegt! Und Überstunden… in welchem Job macht man keine Überstunden? Hauptsache, man kann sie bei passender Gelegenheit irgendwie wieder ausgleichen. Also dann sei dann mal Werbung! Alles Gute.

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