Darüber reden, wie man miteinander redet

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Vor einigen Wochen oder Monaten – aktuell ziehen die Jahreszeiten mit enormer Geschwindigkeit an mir vorbei – schrieb ein Onlinemedium, das ich an und für sich recht gern lese, über die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren. Im Fokus stand dabei die Onlinekommunikation. Ich würde lügen, wenn ich schrüb, dass ich diesen Artikel gelesen hätte. Denn ich tat es nicht. Und das hat Gründe.

Zunächst wird dem einen oder anderen nicht entgangen sein, dass ich besagtes Onlinemedium „an und für sich recht gern lese“, was nicht gerade Ausdruck grenzenloser Euphorie ist. Beizeiten ist mir das Lesen darin ein Graus, weil sich ein Trend abzeichnet, der vor einigen Monaten – es dürften wohl mittlerweile Jahre sein – noch nicht zu erkennen war: Das Clickbaiting hat nun auch DIE ZEIT erreicht. Oder die ZEIT CAMPUS. Oder die ze.tt. Oder möglicherweise auch die ZEIT MAGAZIN. Man verliert leicht den Überblick, was unter anderem daran liegt, dass die digitalen Blätter beliebig geworden sind und offenbar bewusst kontroverse Themen recht voreingenommen behandeln. Wenn ich vor einiger Zeit eben dieses Medium deshalb gerne las, weil dessen Artikel angenehm ausgewogen Sachverhalte und Zusammenhänge zu erläutern versuchten, geben sich heute oftmals polemische Meinungskommentare etwa beider Lager der Veganismus-Diskussion die Klinke in die Hand. Der Effekt: Mord und Totschlag in den Kommentarspalten.

Und das wäre der zweite Grund, weshalb ich den Artikel nicht las. Nicht, weil mich die Kommentare abschreckten. Ganz im Gegenteil. Ich lese oftmals zuerst die Kommentare, weil sie eine Menge darüber aussagen, wie heutzutage miteinander umgegangen wird, wenn man sich unter dem Deckmantel des Internets in vermeintlicher Anonymität wähnt. Und sie sagen eine Menge darüber aus, wie Menschen im Internet mit Informationen umgehen. Sie empfinden sie als empörend wegen der darin geäußerten Meinung zum Thema, sie sehen sich in ihrer Meinung gestärkt und verleihen ihrem Triumph auf infantile Weise Ausdruck oder sie empfinden den Artikel als empörend, weil der Autor das generische Maskulinum verwendete. Letzteres ist für einige übrigens ein k.o.-Kriterium, das dem Artikel jede Ernsthaftigkeit abspricht. Denn wenn noch nicht einmal vernünftig gegendert wird, könne der Rest ja auch nur das Produkt eines oberflächlich denkenden Idioten sein.

Die Internetgemeinschaft entpuppt sich in meinen Augen immer deutlicher als ihr genaues Gegenteil – keine Gemeinschaft, ein Konglomerat diverser Gruppierungen, die sich gegenseitig bekriegen. Unterschiedliche Meinungen soll es ruhig geben. Die fördern den Dialog. Nur existiert kein Dialog. Es existiert nur Gebrüll. Diskussionen, wie sie in Foren noch geführt werden, gibt es auf Facebook beispielsweise nicht. Die Kommentatoren bleiben absolut undurchlässig für von der eigenen Meinung abweichende Haltungen. Das Individuum pocht auf sein Recht, immer Recht haben zu dürfen. Nun ist jedes Individuum ein Individuum. Dementsprechend chaotisch sehen die Kommentarspalten aus.

Irgendwann äußert ein Teilnehmer dieses Tanzes die erste persönliche Kritik. Der persönlich Kritisierte will sich wehren und bekämpft Gleiches mit Gleichem. Funktioniert ja immer, wie wir alle wissen. Er weiß es womöglich sogar besser, aber auf Facebook gilt die Regel „Der andere hat (immer) angefangen und dann muss er eine adäquate Replik eben auch vertragen können“. Fertig ist der Kindergarten.

Wenn wir als Kinder früher draußen spielen waren und es gab Stress, dann hieß es irgendwann: „Dann spiel ich nicht mehr mit!“. Schüppe ziehen und ab nach Hause. Am nächsten Tag sah die Welt wieder anders aus. Online funktioniert das etwas anders. Hier heißt es irgendwann: „Dann spielst Du nicht mehr mit!“. Die Person wird einfach von der weiteren Diskussion ausgeschlossen, indem sie blockiert wird.

Man sucht sich den angenehmsten Weg, indem man das Unangenehme einfach tilgt. Das scheint ein generelles Verhalten zu sein, das sich an vielen Stellen in der Gesellschaft zeigt. Unangenehme Hürden werden beseitigt – sei es auf technischem oder juristischem Wege. Das sei schließlich das Recht eines jeden zarten Pflänzchens.

Und dann gibt es noch das Zivilcourage-Paradoxon. Alle Welt jubiliert und ist total stolz, wenn mal jemand öffentlich die Klappe zu einem Thema aufreißt und Stellung bezieht. Aus allen Ecken der sozialen Netzwerke tönt Applaus, was suggeriert, dass die Community wohl aus lauter herzensguten Menschen besteht. Die virtuelle Anteilnahme an Ereignissen entwirft eine Identität, die aber – und das ist das Paradoxe – an anderer Stelle nicht aufrecht erhalten werden kann – nämlich dann, wenn kritische Kommentare mit den Worten „Dann scroll doch einfach weiter!“ quittiert werden. Auf der einen Seite also feiert die Community Menschen, die sich zu einem Thema äußern, auf der anderen Seite sollen diese Leute doch bitte ihre Klappe halten und weiterscrollen.

Dieses Verhalten zeigt sich besonders häufig in monothematischen Facebook-Gruppen, in denen es um den Austausch zu einer bestimmten Sache geht. Die Gruppenmitglieder sind sich eigentlich einig: Jeder Beitrag, der nichts mit dem Gruppenthema zu tun hat, ist nicht erwünscht. Klare Kante und auch in Ordnung. Denn alles andere würde die Gruppe ins Chaos stürzen. Diese Regel gilt allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Denn irgendwann posten die ersten Damen oder Herren Selfies mit Duckface oder irgendwelchen Snapchat-Filtern und wünschen einen guten Morgen oder Abend oder ein schönes Wochenende. So geschehen gestern Abend in einer Gruppe, in der es nicht darum geht, Selfies zu posten und einen guten Morgen, Abend oder ein schönes Wochenende zu wünschen.

Insbesondere Damen mit tiefem Ausschnitt genießen diesbezüglich große Akzeptanz. Und wer hinterfragt, inwiefern ein solches Posting zum Gruppenthema beiträgt, der könne doch einfach weiterscrollen. Das ist lediglich eine Lappalie, aber wo zieht man dann die Grenze?

DIE ZEIT glänzt seit einiger Zeit mit einer unangenehmen Häufung an Rechtschreib- und Grammatikfehlern. „Nicht so wichtig“, meinen einige. „Schon irgendwie wichtig“, meinen andere. „Also erstens“, sagen erstere, „kann man ja wohl den Text auch trotz der Fehler verstehen und zweitens, wenn Dich die Fehler so sehr stören, dann scroll doch einfach weiter!“

Und so muss man ernüchtert feststellen, dass das Miteinander im Internet auf folgendem Fundament steht:

Wir vertragen uns, wenn Du eine ähnliche Meinung hast wie ich. Wir können bei abweichenden Meinungen gerne diskutieren, aber wenn mir die Argumente ausgehen, werde nicht ich derjenige sein, der sich zurückzieht. Auch Du wirst nicht derjenigen sein, der sich zurückzieht. Ich werde derjenige sein, der Dich zurückzieht – entweder durch Blockieren oder durch die Aufforderung, weiterzuscrollen.


Soziale Außenposten zum Klicken und Liebhaben:
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6 Kommentare

  1. Das Problem ist, das es Menschen gibt (ich nenne sie mal Fanatiker), die nicht einmal ansatzweise bereit sind, in einer Diskussion sich aufeinander zuzubewegen.
    Es gibt in vielen Blogs, Foren usw. nur noch gut oder böse, hell oder dunkel, schwarz oder weiß.
    Wenn ich z.B. an „Tierrechtler“ denke, ist es mit vielen unmöglich überhaupt über die Existenz von Zoos zu diskutieren. Dementsprechend wird jeder, relativ schnell, der moderne Zoos bzw. Gehege einbringt, als Tierquäler eingestuft. Eine echte Diskussion ist mit solchen Leuten unmöglich.

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  2. Vielleicht hängt das mit der engen Perspektive eines Bildschirms zusammen, dass die Menschen immer seltener bereit sind über den Tellerrand (besser Bildschirmrand) zu schauen, ob es da vielleicht noch etwas gibt was der Beachtung wert sein könnte- gerade was ihre eigene Agenda angeht…

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    • Das spielt sicher eine Rolle…
      Ich denke, in der Geschichte der Menschheit hat es schon immer Unzufriedene, Querulanten oder Trolle gegeben, nur bisher waren ihre Proteste, die oft im eigenen Versagen in ihrem Leben resultieren, ungehört. Durch die Erfindung des Internets, besonders Facebook, Twitter usw. haben diese Leute nun seit 2 Millionen Jahren endlich die Möglichkeit bekommen, ihren Frust in die Welt herauszuposaunen. Je mehr Likes sie bekommen, desto mehr glauben sie an ihre eigenen Thesen und umso mehr gehen sie ihren Mitmenschen mit noch mehr Kommentaren auf die Nerven. Die Welt wird dadurch nicht besser, da man nur mit konstruktiven Dialogen und nicht mit einseitigen Frustballaden etwas erreichen kann.

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  3. Ich stimme Dir zu. Das Internet suggeriert, dass selbst die banalste Meinung wichtig für die Weltöffentlichkeit ist. Ein bisschen mehr Realismus, ja vielleicht sogar Demut, kann das Wunder wirken.

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