Content Marketing – Zauber des Heiratsantrags

„Ok, jetzt reicht’s! Da lässt der jahrelang nichts von sich hören und kommt dann mit so Marketing-Quatsch um die Ecke! Pfui!“

Tut mir leid. Mein Blog, meine Regeln. Müsst ihr durch.

„Hi, wir kennen uns nicht, aber wollen wir heiraten? Nein? Ok. Ich frag morgen wieder. Und übermorgen. Ach, weißt du was? Ich frag einfach so lange, bis du ‚Ja‘ sagst.“

Protagonisten ab, Vorhang runter … aber niemand im Publikum lacht.

Was der Höttges hier beschreibt, ist keine Szene aus einer schnulzigen Liebeskomödie, wo Penetranz belohnt wird und sich das Paar am Ende findet, weil sie ja eigentlich schon immer wussten, dass sie füreinander bestimmt sind. Vielmehr ist es die absurde Realität, die uns täglich vor Augen führt, dass Content Marketing oftmals fehlinterpretiert wird: Man nehme ein generisches Motiv, einen marktschreierischen Text und ein Mediabudget, das es einem erlaubt, die Anzeige möglichst lange arglosen Usern unter die Nase zu reiben. Nämlich so lange, bis sie selbige voll haben und dich blockieren. „Schatz, heute habe ich wieder Content Marketing gemacht.“

Nein, hast du nicht.

In diesem Gleichnis ist der User die Braut in spe, die Marke der nervöse Gegenpart und der Ring das feilgebotene Produkt. Das Ganze ist dann unterm Strich die Verkaufssituation und der Ausgang dieses Moments hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab:

  1. dem Produkt bzw. dem Ring
  2. dem Bedürfnis des User bzw. der Braut

Klar, wenn man den Ring eigentlich gar nicht braucht, er aber todschick und darüber hinaus sündhaft teuer ist, dann nimmt man ihn. Ist ja geschenkt. Und wenn die Braut gerade ohnehin zufällig dachte „Mensch, jetzt heiraten wäre ja nicht verkehrt.“, dann schlägt man bei der nächstbesten Gelegenheit zu. Ring ist Ring – ob aus dem Kaugummiautomat oder in den Tiefen des Schicksalsberges geschmiedet.

Machen wir uns nichts vor: Die Wahrscheinlichkeit, in ein und derselben Situation zunächst die Aufmerksamkeit zu erlangen, dann das Vertrauen zu gewinnen und schließlich auch noch das Bedürfnis nach dem Produkt zu schaffen, ist eher gering. Deshalb sind Geschichten wie „Sie begegneten sich zufällig, er ging vor ihr auf die Knie und noch am selben Tag haben sie geheiratet und blieben für immer zusammen.“ eher selten. Kaltakquise kann funktionieren, wenn man seine Zielgruppe kennt. Aber wir müssen davon ausgehen, dass es nicht allzu viele Menschen da draußen gibt, die bei spontanen Anträgen durch wildfremde Personen ad hoc „Ja“ sagen würden. Auch nicht beim zweiten und dritten mal. Selbst wenn man mal einen Treffer landet, bleibt die Frage, wie nachhaltig das ganze war.

Und das führt zu einer ganz verrückten These und einem bisher noch verschwiegenen (wie frech!) dritten Aspekt, der den Ausgang der Verkaufssituation maßgeblich beeinflusst:

Weder beim Heiratsantrag noch bei der Ad beeinflussen rationale Argumente einen positiven Ausgang.

Es geht um Emotionen.

Ernüchterung. Ist es so trivial? Ja, leider. Denn „trivial“ bedeutet nicht, dass es einfach wäre, sondern führt zu einer Reihe von Fragen:

  • Wer bin ich?
  • Wofür stehe ich?
  • Wer soll mich mögen?
  • Wer ist meine Konkurrenz?
  • Was haben die, was ich nicht habe?
  • Was habe ich, was die nicht haben?

Mit der letzten Frage schließt sich der Kreis. Wir befinden uns im Wettbewerb, den kaum ein Unternehmen allein durch sein Produkt für sich entscheiden kann. Volvo, Dacia und Mercedes vertreiben motorisierte Vehikel mit vier Rädern – so weit, so beliebig. Aber Volvo steht für Sicherheit und Zuverlässigkeit, Dacia kokettiert mit seinem Status als Underdog und Mercedes steht aus irgendeinem Grund nicht mehr für Rentner mit Hut, sondern für jugendliche Agilität.

Das erreicht man nicht, indem man jeder Person über 18 Jahre „Kauf mich du Sau“-Anzeigen um die Ohren haut, sondern ist das Ergebnis von erfolgreichem Storytelling und einem Markenerlebnis, das über die Grenzen einer Großfläche, einer Ad oder eines Radiospots hinausgeht. Deshalb darf „360 Grad“ auch niemals nur bedeuten, dass ich ein und dieselbe Botschaft in einem anderen Format auf einer anderen Plattform kommuniziere. Es geht darum, die Idee von mir als Marke gekonnt im Rahmen der mir gebotenen Möglichkeiten der jeweiligen Plattform zu adaptieren.

Das bedeutet unter anderem, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, denn was im big picture gilt, sollte auch im Mikrokosmos einzelner Netzwerke gelten. Als User benötigt man Zeit, eine Marke kennenzulernen, um schließlich Vertrauen aufzubauen. Stellen Marken diese Möglichkeiten nicht bereit, dürften sie zahlreiche Abfuhren erhalten. Daran ändert auch die Frequenz der Ausspielung nichts.

Der User muss Spaß an der Marke haben, so wie man am Anfang einer Beziehung merken sollte, dass man gemeinsam irgendwie schöne Zeiten verbringen kann. Der Abend im Kino hat so wenig mit einem Heiratsantrag zu tun wie die #THE1CHALLENGE von BMW auf TikTok mit einem Verkaufsabschluss. Aber beide Situationen legen den Grundstein eines Bildes von Mensch oder Marke, an das sich der Partner oder User irgendwann mal erinnern kann – dann nämlich, wenn es ernst wird. Ist dieses Bild schlüssig und authentisch, dann zieht es den User wegen eines diffusen Gefühls zu der einen, nicht aber zu der anderen Marke.

Es ist der logische nächste Schritt im Context einer Bindung, die viel früher beginnt.

Und irgendwie macht es das Leben doch deutlich entspannter, wenn man denjenigen kennt, den man geheiratet hat.

Dieser Artikel erschien erstmals auf LinkedIn, was die etwas seriösere Version von Facebook ist. Und viel englischer. Da hat man sich noch lieb. Wer wissen will, wir dieser Artikel dort aussieht, der klicke einfach mal hier: 
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