Zuhause ist Schokolade auf den Zähnen

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Ich erinnere mich noch ziemlich gut an eine Zeit – ich war 16 oder 17 Jahre alt – da hatte ich relativ häufig in und um Düsseldorf zu tun. „Zu tun“ ist ein wenig übertrieben, denn das klingt schon arg geschäftsmäßig. Ich lungerte in Kaiserswerth (einem eher gehobenen Stadtteil) und Umgebung herum. „Herumlungern“ ist übrigens a) ein wundervoll klingendes Wort und b) ebenfalls der falsche Ausdruck, weil ich damals (dieses Wort darf man nach rund 14 Jahren verwenden) als Schlagzeuger einer Band rein körperlich eine nicht zu unterschätzende Aufgabe zu bewältigen hatte. Es ist nämlich eine Sache, Schlagzeug zu spielen, was zwangsläufig dazu führt, dass man mindestens vier Körperteile unabhängig voneinander bewegen muss. Eine ganz andere ist es, das Ganze unter dem Einfluss von Alkohol zu tun. Natürlich nicht während der Proben, aber Konzerte waren ob meiner mangelnden Disziplin stets eIch_RnH_100x100ine Herausforderung für Schlagzeuger und Bandmitglieder. Wir waren zwar gut, aber ich war zu schnell. Links ein Bild von mir im zarten Alter von 19 Jahren. Weiter unten folgt ein relativ aktuelles.
Auf jeden Fall hatte ich, geboren und aufgewachsen in Duisburg, erstmals etwas näheren Kontakt zu diesem Dorf, das alle nur „Landeshauptstadt“ nennen. Der Grund, weshalb ich nicht schon früher dorthin gegurkt war, hieß „DVG und Rheinbahn“. Aus irgendeinem Grund fuhr und fährt die einzige U-Bahn-Verbindung bis heute ab 0 Uhr weder von Duisburg nach Düsseldorf oder umgekehrt. Ich wohnte damals im Duisburger Süden. Die überübernächste Haltestelle vom Elternhaus aus wäre die gewesen, die mir eine Weiterfahrt in die glitzernde Stadt ermöglicht hätte. Und so stand ich dort mit stummen Tränen in den Wimpern und blickte gen Süden, wo das Leben tobte.

Als ich dann endlich mit Düsseldorf zu tun hatte, war mir eines klar: Ich werde niemals nach Düsseldorf ziehen. Ich mochte weder die Menschen dort, noch die Stadt selbst. Es war mir alles zu groß und zu arrogant. Das sind mir einige Teile Düsseldorfs übrigens immer noch, aber zum Glück gibt es andere Teile, die mir sehr sympathisch sind: Kneipen- und Künstlerviertel, in denen immer was los ist. Bilk und Flingern wären da zu nennen.
Es begab sich jedoch zu einer Zeit, da ein gewisser Sohn sich aufmachte, um flügge zu werden. Mit 23 Jahren ging es also darum, ein neues, ein eigenes Zuhause zu finden. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, weil es auch einfach viele Städte gibt, in die man ziehen könnte. Nun hat jede Stadt ihre Vor- und Nachteile und letztlich reduziert sich die Wohnungssuche auf die ultimative Frage: Mietnomade oder Miete zahlen?

Die Entscheidung kann einem nicht abgenommen werden, aber es gibt zahlreiche Hilfestellungen. Oftmals kann ein Blick in einen verstaubten Gedichtband die Sicht klären. Ein altes Sprichwort sagt es bereits:

Wenn die Mutter winkt und weint,
wenn die Welt so groß erscheint,
wenn ein Heim du finden willst,
dann zieh‘ bloß nicht nach Düsseldorf. Ist scheiße teuer dort.
(unbekannter Autor, der 2009 von Duisburg nach Düsseldorf zog)

Mit dem Haus- und Hoffotografen unserer Band, der über die Jahre ein guter Kumpel geworden war, fiel die Wahl auf Düsseldorf. Ich war schon immer sehr konsequent.

Viel geschwafelt, wenig zum eigentlichen Titel des Ganzen hier geschrieben. Zentrales Anliegen dieses Artikels sollte nämlich eigentlich die Suche nach Heimat sein. Es gibt eine Werbeagentur namens Heimat. Allerdings haben die obigen Ergüsse wenig damit zu tun. Ich vermute also, dass ich auf etwas anderes hinaus möchte. Dazu muss ich kurz in mein Handy spinxen. Da ich gelegentlich in den Genuss überfüllter Bahnen im Feierabendverkehr komme und dort viel Zeit habe, schreibe ich mir Wortfetzen in die dafür vorgesehene Notiz-App. Vermutlich ist die eher für andere Dinge wie Einkaufszettel vorgesehen, aber ich bin alt und habe erst im Alter von 15 Jahren ein Handy bekommen. Woher soll ich also wissen, wie man diese oder jene App benutzt? Die unkonventionellen Wege sind oftmals die gewinnbringenden. Ein Beispiel:

„Oh, schau an! Ein Schimmelpilz. Mich dünkt, er wäre dem Menschen wohl bekömmlich.“

Zack! Penicillin.

Auf jeden Fall kritzel ich manchmal mit der unfassbar ungenauen Tastatur meiner mobilen Sträflingskugel Gedanken auf das virtuelle Papier hinter dem Display.
Ein Problem gut gefüllter Bahnen ist die Neugierde anderer Fahrgäste. Wenn ich bemerke, dass mir jemand interessiert über die Schulter schaut, wechsele ich zu einem weit verbreiteten Nachrichtendienst und beginne beispielsweise, eine Nachricht an die Frau, die in unserer Wohnung lebt, zu schreiben:

„Also mein Arzt meinte gerade, dass der Ausschlag wohl ansteckend ist. Aber eigentlich nur bei hoher Luftfeuchtigkeit und engem Körperkontakt.“

Das Ergebnis ist weniger abschreckend als angenommen:

„Also nein Arzt meibte gerade, dass der Ausscjlag wohl absteclebd ist  aber eifentluch nur vei hoher Luftfeucjtigkeit und engem Körperkontskt.“

Ich hoffe, dass irgendjemand von Samsung mitliest und sich schämt, weil sein Unternehmen Millionen Handynutzer ihrer Wortgewalt beraubt.

Wie dem auch sei. Es gibt einige Orte, die an denen ich mich wohlfühle. Und obwohl ich Duisburg für eine in vielerlei Hinsicht unattraktive Stadt halte, gehe ich jedes Jahr gerne auf den Weihnachtsmarkt der dortigen Königsstraße, wo – soweit die Legende – das Innenstadtsterben erfunden wurde. Kaum ein Laden ist mehr dort, wo er vor einem Jahr noch war. Aber trotzdem: Das ist eine Umgebung, in der ich mich auskenne und wo ich in zur Schulzeit viele Freistunden verbracht habe.
Nicht ganz so verhält es sich mit meiner ersten Studienstadt, in der ich nie gewohnt habe. Wirklich schätzen gelernt habe ich Bochum deshalb vermutlich auch nur, wenn es im Rückspiegel immer kleiner wurde. Mehr fällt mir dazu nicht ein?! Das sagt mehr über meinen Studieneifer vergangener Tage aus als über einen Ort, den man „Zuhause“ nennen könnte. Was aber hängenbleibt und mich auf ewig in meinen Träumen verfolgen wird, ist das unheilvolle Geklappere der Bodenplatten auf dem Campus.

Schweden: Auch dort habe ich nie gelebt, aber war dort einige Male im Urlaub. War immer schön dort, was wohl unter anderem daran liegt, dass es da anders als zuhause ist. Das ist eine häufige Charaktereigenschaft von Orten, die nicht dort sind, wo man normalerweise sein Unwesen treibt. Allerdings, was Schweden angeht, bin ich eigentlich ein gebranntes Kind. Das ist eine lange Geschichte. Nee, doch nicht. Ich, auf dem Fahrrad sitzend, habe versucht ein mir entgegenkommendes Motorrad mit dem Gesicht zu stoppen. Sowas ist selten gut, führte zu diversen Verletzungen, die hier nicht weiter ausgeführt werden sollen, und stellte die Ärzte im Krankenhaus vor ein medizinisches Rätsel: Ich war fortan halb Mensch, halb Motorrad! Oder funktioniert so etwas nur bei Spinnen? Verdammt!
Heute steht Schweden bei mir noch immer hoch im Kurs. Staatsbesuch trotz Kieferbruch, wenn man so will. (Ich entschuldige mich in aller Form beim geschätzten Seppolog für die dreiste Entlehnung seines Artikels „Leistenbruch im Güterzuch„.)

Bleibt noch Düsseldorf. Ja, ich wohne hier und bestimmte Ecken der Stadt sind schön. Die Möglichkeiten, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln irgendwohin zu gelangen, sind beinahe unerschöpflich. Ebenso wie die Gelegenheiten, dieses dunkle Bier aufgezwungen zu bekommen. Ich mag es nicht. Das geht wahrscheinlich auch Düsseldorfern so, die es aber nicht zugeben würden, weil man ja ein Alleinstellungsmerkmal braucht. So wird es wohl sein.

Gerade eben hatte ich ein Schlüsselerlebnis, das den kompletten Text oberhalb dieses Abschnitts überflüssig macht. Wir haben gebacken. Also ich habe gebacken. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, hat mir dabei zugesehen und die für den Kuchen vorgesehene Schokoladenglasur professionell in der Mikrowelle verflüssigt. Dann hielt sie es für eine gute Idee, diese auf ihren Zähnen zu verteilen, um mich anschließend grinsend, mit einem leicht geisteskranken Blick anzustarren.

Vermutlich bin ich genau hier zuhause.

PS: Achja, ein aktuelles Foto…
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Das Beitragsbild kütt von Atelier Hofer (http://www.atelierhofer.de), das feine Bildchen zaubert.

4 Kommentare

  1. […] Vielleicht hängen die Bedenken damit zusammen, dass ich mich selbst vor einigen Jahren mit 30 am liebsten schon woanders gesehen hätte. Mit 30 wäre ich voll im Beruf gewesen, hätte vielleicht schon Kinder gehabt, wäre sportlich, hätte was zu sagen…wobei man diesen Punkt mit einem stolzen Haken versehen kann. Zwei Meerschweinchen, die ich mein Eigen nenne, gehorchen aufs Wort und verfallen in ängstliche Schockstarre, sobald ich mich ihnen nähere. Nicht dass ich denen das beigebracht hätte, aber in deren Augen muss ich eine beachtenswerte Authorität sein. Warum sonst Angst haben? Dämliche Viecher. Von diesem beeindruckenden Umstand abgesehen scheint alles andere so nicht eintreten zu werden. Aber eigentlich ist das auch nicht schlimm. Dass ich da stehe, wo ich bin, ist nunmal die Konsequenz aus dem, was ich gemacht habe. Selbst die unangenehmen Dinge haben eine Auswirkung. Die Frau, die in meiner Wohnung lebt, ist eine Auswirkung. Hätte ich meinen ersten Studiengang durchgezogen, wäre ich vermutlich nie in Düsseldorf gelandet. Da wollte ich eigentlich auch nie hin. Mein bester Kumpel – ich nenne ihn Flo…weil er einfach so heißt – wird nicht müde, mir das immer wieder unter die Nase zu reiben, wenn wir uns sehen. Aber Düsseldorf ist ein anderes Thema. […]

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