Wie ich Heidi Klum wurde – Die Boyfriends und das Halbfinale

Topmodel_IV_Beitragsbild

Nachdem wir am Flughafen in Dortmund gelandet sind, posiert Tommy fünf Minuten lang mit Sonnenbrille und mit nach rechts gewandtem Siegerblick stolz auf der Stairway und blockiert den Weg für alle anderen Fluggäste. Trotz der Hinweise, dass sich am unteren Ende der Treppe weder Fotografen noch Fans befinden, harrt Tommy im strömenden Regen aus. Die Frisur hält nicht. Per Anhalter müssen wir nach Recklinghausen fahren, was sich als komplizierter herausstellt, als zunächst angenommen. Taxis gibt es am Flughafen in Dortmund nicht, weshalb wir uns an die nahegelegene B1 stellen und den Daumen raushalten. Die Flughafenmitarbeiter schließen hinter uns die Tür und legen sich wieder schlafen.

Der Dortmunder Flughafen wurde aus Kostengründen zu einem sogenannten „airport on demand“ umfunktioniert. Niemand fliegt nach Dortmund. Ich habe unseren Bestimmungsort auch vor den ehrenamtlich tätigen Verantwortlichen am Flughafen in Dortmund lange verteidigen müssen, bevor ihm zugestimmt wurde. Dem Sender war der Ort zunächst zu billig. Außerdem sind wir der einzige Flug heute, weshalb die Flughafenmitarbeiter nur für uns auf ihrer Arbeit erscheinen mussten. Mir war es dennoch wichtig, hierher zu fliegen. Herr Scheuren, der heute in Recklingshausen Süd unser Fotograf sein wird, ist mein Nachbar in Düsseldorf und ich befürchte, dass ich den Herd angelassen hatte, als ich vor einigen Wochen nach Amerika zitiert wurde. Für den Fall, dass sich diese Befürchtung bewahrheitet, soll Herr Scheuren ihn wieder ausschalten. Darum Recklinghausen, darum Herr Scheuren. Etwas Sorge bereitet mir, dass wir kein Taxi nehmen können. Herr Scheuren wird schnell unruhig, wenn man sich verspätet. Er ist hauptberuflich Versicherungsangestellter und die mögen es nunmal nicht, wenn ein Zeitplan durcheinander gerät und sie selbst nicht der Grund dafür sind. Auf seinem Instagram-Account hat er ein paar verwackelnte Fotos von Stillleben, die er mit seinem iPhone 4s aufgenommen hat. Das qualifizierte ihn als Fotografen für dieses Format.

Endlich schickt sich ein Autofahrer an, für uns anzuhalten. Ein Mann mit Hut. Auf dem Beifahrersitz seine korpulente Frau. Als Tommy das anhaltende Auto registriert, stellt er sich breitbeinig an den Straßenrand und steckt die Hände in die Hosentaschen. Das hätte er nicht machen sollen.

„Fahr, Jochen! FAHR! DA SIND STRICHER DABEI!“

Und Jochen fährt. Wir werden wohl mit der Bahn fahren müssen.

Als wir in Recklinghausen Süd ankommen, ist Herr Scheuren sturzbetrunken. Er wurde panisch, als wir zwölf Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt noch immer nicht eingetroffen waren. Um sich zu beruhigen, stiefelte er in den rund 400 Meter entfernten Saloniki-Grill, harrte dort für drei Stunden aus und ließ sich volllaufen.

Gelohnt hat sich die Reise dennoch, was wir den Kandidatinnen bei unserer Rückkehr nach Amerika offenbaren. Heimlich habe ich in Deutschland Kontakt zu dem einen oder anderen Freund der Mädchen aufgenommen. Mit einigen konnte ich mich sogar verständigen, andere musste ich mit Brotkrumen in den Frachtraum unserers Fliegers locken. Es dürfte für niemanden eine allzu große Überraschung sein, dass wir die Freunde und Teile der Familie einfliegen lassen, denn bisher war es in jeder Staffel so. Trotzdem sind die Kandidatinnen jedes Mal aufs Neue völlig überrascht. Mir ist der Spannungsaufbau zu öde, also improvisiere ich.

„So, Kinners. Also erst einmal soll ich euch ausrichten, dass Herr Scheuren wieder ansprechbar ist und sich im Krankenhaus langsam erholen wird.“

„Show must go on! Hahaha!“

„Richtig, Tommy. Das hast du fein gesagt. Weil es Bestandteil des Skripts ist, haben wir eure Freunde nach Amerika geschafft.“

„Wow! Die Boyfriends!“

„Ihr könnt sie euch nachher anschauen. Viel wichtiger ist Folgendes: Mary Sky-blue Joyce, deine Familie haben wir in Deutschland lassen müssen. Tja, machste nix. Dafür haben wir dir eine Probe Niveacreme mitgebracht. Die war kostenlos. Das ist doch auch etwas. Noch viel wichtiger ist aber dieses: Liebe Kandidatinnen! Wir präsentieren: DEN UNSYMPATHEN!“

Unter lautem eingespieltem Jubel öffnet sich ein Vorhang und Peggy-Joelinas Modelfreund betritt schleimig lächelnd die Szene.

„Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?!“, brüllt Peggy-Joelina und stürmt schnaubend vom Set.

Sie wird sich später freuen. Während sich einige Kandidatinnen ob des Anblicks von Honey oder Bunny noch übergeben, fahre ich fort:

„Wir werden Honey-Bunny eine zentrale Rolle verleihen. Das haben wir ihm versehentlich vorher gesagt, weshalb er nun vollkommen abgehoben ist…“

„Ich bin sehr hübsch!“, bestätigt Honey-Bunny.

„…was allerdings nichts daran ändert, dass er den übrigen Normalos ein wenig Modelunterricht geben wird. Aus einem nicht zuende gedachten Grund sollt ihr mit euren Partnern ein Fotoshooting machen. Mary Sky-blue Joyce, du darfst mit deiner Niveacreme shooten. Toll, nicht?“

Sie findet es super. Zumindest lacht sie. Oder sie weint. Das kann man nur sehr schwer mit Sicherheit sagen.

Während Honey-Bunny in seiner Rolle als Anführer der „Boyfriends“ regelrecht aufblüht, setzen sich Micky und Tommy mit ihren Kandidatinnen zusammen und proben den kommenden Walk. Die Ansätze sind grundverschieden, wobei sich in einem kleinen Disput einmal mehr herausstellt, dass Micky eindeutig die hellere Kerze von den beiden ist.

„Micky! Die gööörls müssen als Models, Micky, mit power, personality und passion überzeugen. Die müssen real bleiben. Darum müssen sie sich wohlfühlen. Im I right, girls?“

„Whooooooo!!!“, antworten die girls so, wie es das Drehbuch verlangt.

„Tommy, weißt du, guter Look entsteht nicht durch Demokratie.“, antwortet Micky wie es einem Modedesigner üblich ist.

Mutet streng an, ist aber in manchen Kontexten ein gar nicht so dummer Gedanke. So auch hier, wo sich verwöhnte Teenager aus rein materiellen Motiven bewarben und nun eben lernen müssen, dass nicht alles nach ihrer Nase tanzt. Es ist andersherum.

„Wow, Micky! Y’know what? Talk to the hand! Come on, göööörls! Kissenschlacht!“


Zeitsprung

Es steht das nächste Fotoshooting an. Unter Wasser an einer poledance-Stange. Einer Stangentanzstange. Honey-Bunny haben wir gefeuert, nachdem er mit einem unserer Kameramänner geschlafen hatte. Peggy-Joelina hat es hervorragend verpackt und kam anschließend das erste mal wieder aus ihrem Zimmer. Gerade in diesem Moment steigt Yannice-Shannon aus dem Becken. Weil Tommy sich heute bei der Kissenschlacht dermaßen verausgabt hat, schläft er tief und fest in seinem Jurystuhl. Deshalb übernimmt Micky die Bewertung.

„Das hatte power, personality und passion. Und power! Du sahst an der Stange recht professionell aus.“

Tommy zuckt bei dem Wort „Stange“ kurz im Schlaf, aber sackt wieder schnarchend in sich zusammen.

„Danke, Micky. Ja weißt du, ich hab ’ne Poledancestange zuhause.“

Tommy ist sofort hellwach.

„Wie, du hast ’ne Poledancestange zuhause?!“, wirft er schnaufend in die Runde, findet aber unter großer Mühe seine Beherrschung wieder. „Ich muss real bleiben. Yannice-Shannon…ich muss dir das jetzt ganz ehrlich sagen, weil wir ja sonst Anderes von dir gewohnt sind: Das war all over the place.“

Weil wir alle nicht wissen, was Tommy damit genau ausdrücken wollte, schicken wir Yannice-Shannon ins Finale. Überhaupt schicken wir fast alle ins Finale, weil die Marketingabteilung dieses Finale als das größte Finale aller Zeiten bewerben will. Außerdem soll überall geschrieben werden „Das gab’s noch nie!“. Also schicken wir um der Titelblätter der Zeitungen Willen fast alle nach Mallorca, was wir den Kandidatinnen auch umgehend mitteilen.

„Liebes Laufmaterial! Wir haben lange überlegt und sind zu folgendem Ergebnis gekommen: Du bist dabei, du bist dabei, du bist dabei. IHR ALLE SEID DABEI!!!“

Allgemeiner Jubel, alle fangen an zu flennen.

„Ja. Yay. Alle sind dabei. Außer Mareen. Du bist raus. Fiel uns nicht leicht, aber deine attitude…“

Sie versteht sofort. Jede würde die Begründung „deine attitude“ anstandslos akzeptieren, auch wenn niemand weiß, was das bedeutet.

Und damit sind fünf Kandidatinnen dabei. Das gab es noch nie! Das größte Finale aller Zeiten. Aber es wird ein kurzes Finale werden. Es wird keine Siegerin geben.


Was, was, was?! Das Finale fällt aus? Das ausgefallene Finale könnt ihr bald hier im Wortlaut nachlesen. Zwischenzeitlich empfiehlt sich ein Blick auf den sozialen Außenposten dieser empfehlenswerten Seiten. Nutzt einmal aus Spaß die „teilen“-Schaltfläche. Da gibt es nämlich ein verstecktes Feature bei Facebook: Wer Beiträge innerhalb kürzester Zeit teilt, erhält eine Überraschung. Welche mag es sein?


Lest auch den vorherigen Beitrag der Reihe. Das war keine Bitte!

9 Kommentare

  1. Ich verfolge sehr aufmerksam und äußert gewissenhaft die hintergründigen Huntergrundberichte über deine anspruchsvolle Tätigkeit.

    Schließlich spiele ich auch mit dem Gedanken einmal Model zu werden. Potential dazu habe ich sicher. Sehr oft höre ich Sätze wie „Oh mein Gott! Schau mal wie der aussieht.“ oder „Sowas habe ich ja noch nie gesehen“. Die Leute können ihre Emotion dabei kaum verbergen.

    Jedenfalls hätte ich an Pfingsten vielleicht noch etwas Zeit und…. lädst du mich ins große Finale ein? Bitte? Du musst einfach JA sagen…!

    Gefällt 2 Personen

  2. Oh, gleich zwei Beiträge zur Sendung in nur einem WordPress-Reader. Ist ja wieder typisch, die ganze Republik spricht und bloggt darüber, nur ich war wieder dummerweise bei einer Gartenfeier, wo ich Grillspieße, Salate, Kuchen und Bier vernichten helfen musste, statt zuhause vor der Glotze rumzuhängen. So ein Ärger auch.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar