Montagsfragen, oder: Kugeln haben keine Grenzen

2016-07-11 13.49.41

Ich möchte nun wirklich kein Spaßverderber sein, aber in fünf Monaten befinden wir uns schon wieder mitten in der Vorweihnachtszeit, sofern es eine solche überhaupt gibt. Denn was wäre dann die Weihnachtszeit? Ist die Weihnachtszeit nur die Zeit zwischen 24. und 26.12.? Schwierige Fragen, zumal ich bei solchen „von…bis…“– oder „zwischen x und y“-Angaben beinahe zwanghaft darüber grüble, ob damit dann lediglich der Bereich dazwischen gemeint ist, nicht aber die angegebenen Daten. Somit wäre die Zeit zwischen dem 24. und 26.12 der 25.12., was hieße, dass wir, wenn wir über die Weihnachtszeit nach obiger Definition sprechen, uns nur am 25.12. in der Weihnachtszeit befänden. Die Vorweihnachtszeit ist da etwas unpräziser gewählt und wirft ihre Schatten gefühlt immer früher voraus. Sie beginnt meist im August.

Die vergangenen Tage und Wochen waren von wenig Schlaf geprägt, was mit Sicherheit mit der vor Kurzem beendeten Fußball-Europameisterschaft zusammenhängt, die man seit einigen Jahren auch in Deutschland nur noch „Euro“ nennt. Vielleicht auch schon immer. Da bin ich überfraquet. Mein Bewusstsein für Fußball setzt erst vor ca. 10 Jahren ein. Zuvor habe ich zwar im Verein Fußball gespielt, aber ein wirkliches Interesse daran keimte erst auf, als man 2006 die Fähnchen überall sah. „Den Rechten die Fahne weggenommen“, hatte Michael Mittermeier damals gesagt, als eine Diskussion darüber stattfand, ob man in Deutschland überhaupt derart plakativ mit seinem Patriotismus umgehen solle. Mittermeiers Zitat wurde ich nicht mehr los, weshalb ich es im Viertelfinalspiel von Deutschland gegen Italien verkündete. Weil wir dieses Spiel in kleinem Kreise schauten, stimmte mir lediglich eine Person zu. Die andere Person war schon informiert. Die andere Person war und ist die Frau, die in unserer Wohnung lebt. Die eine Person ist und war eine andere Person.

Ich halte Fahnen für unbedenklich, sofern sie nicht auf etwas referieren, das bedenklich ist. Alkoholkonsum beispielsweise ist in rauen Mengen bedenklich und führt zu einer Fahne. Ganz abgesehen davon ist eine Alkoholfahne nicht ungefährlich, weil leicht entflammbar. Viele Menschen, die sich nach einer wilden Partynacht auf dem Heimweg befanden, gingen in Flammen auf, wenn sich einige Meter hinter ihnen jemand eine Zigarette ansteckte. Die Glut setzte zunächst die Fahne in Brand und hüllte den Fahnenträger anschließend in einen gleißenden Feuerball.

Vor Kurzem erst entbrannte – wie passend – erneut die Diskussion darüber, ob man Nationalfahnen nicht lieber nicht zeigen sollte, weil solche andere Nationalitäten ausgrenzten. Ich bin mir nie sicher, ob solche Gedanken nicht einfach dem Umstand entspringen, dass wir hierzulande viel zu viel Zeit und Muße haben, Dinge bis ins letzte Detail zu zerdenken und auf vermeintlich zusammenfassende Aussagen zu reduzieren. Ich wage die steile These, dass sich komplexe Sachverhalte nicht auf eine Aussage eindampfen lassen. Wegen des einfachen Umstands, dass sie komplex sind. Ein Dozent, ein Professor, ein Mann, der uns das Denken lehrte, stieß uns eines Tages mit der Nase darauf, dass die Verknappung von Gedanken mit der wissenschaftlichen Praxis kollidiert. Es mache durchaus Sinn, über Dinge nachzudenken. Nur einen Schluss daraus zu ziehen, ist oft genug ein fataler Fehler.

Denn so führt beispielsweise der Gedanke, dass Männer und Frauen unterschiedliche Behandlung erfahren, dazu, dass man in Berlin (meine ich) geschlechterneutrale Endungen erfand, um nicht „Professor“ oder „Professorin“ zu schreiben sondern „Professx“. Die Argumentation dahinter ist durchaus plausibel, geht aber von falschen Annahmen aus. Nämlich, dass die Verwendung einer Kategorie eine andere Kategorie automatisch in ihren Gefühlen verletzt. Die Verwendung einer Kategorie bedeutet nicht einmal, dass eine andere nicht gemeint ist. Das ist beispielsweise der Fall bei der als frauenverachtend angesehenen Praxis des generischen Maskulinums. Es ist Grammatik, nicht Anatomie oder Biologie.

Es wird oft zu weit gedacht, was dann darin ausufert, dass alles, was irgendeine Zugehörigkeit ausdrückt, als Feind der Individualität und des Zusammenlebens betrachtet wird. So nun auch mal wieder die Fahnen. Und das passiert kurioserweise gerade dann, während ein anderer Menschenschlag sich darüber empört, dass Mesut Özil die Nationalhymne nicht mitsingt. Auch dort: zu weit gedacht. Oder um den oben erwähnten Professor zu zitieren: „Es gibt Unterschiede. Nur was die bedeuten, steht auf einem ganz anderen Blatt.“

Das sollte wohl auch heißen, dass jemand, der eine Fahne schwenkt und sich einer Nation bzw. deren Nationalmannschaft vorübergehend zugehörig fühlt, keinesfalls zwangsläufig andere Menschen ausgrenzt. Zumal jeder Staat seine eigene Fahne hat. Ist jeder Staat eine diskriminierende Organisation? Ist jeder, der vor Kurzem ein Trikot der isländischen Nationalmannschaft gekauft hat und es nun trägt, ein egozentrischer Arsch? Hätten wir das vorher gewusst! Doch nun ist das Kind in den Brunnen gefallen und Europa sympathisiert mit einem kleinen Staat, der die Ausgrenzung einmal mehr salonfähig gemacht hat. Das wäre nämlich die Kernaussage des Ganzen. Island ist also der Inbegriff der Ausgrenzung. Mutig für ein Land, dessen größtes Tier ein halbwüchsiges Pony ist!

Während also die Einen ausgelassen feiern und sich über das zweijährliche wir-Gefühl freuen, überlegen ganz andere – die paradoxerweise exakt dieses wir-Gefühl auf ihre Fahnen (haha!) schreiben – was daran verwerflich sein könnte. Und das wird als Fakt ausgegeben. In…

Es ist traurig. An dieser Stelle brach ich vor einigen Tagen diesen Beitrag ab, weil wohl etwas Wichtiges anstand. Unvorhergesehener Besuch vielleicht oder eine Hochzeit. Man kann es schwer rekonstruieren und ich sehe mich mit der unmöglichen Aufgabe konfrontiert, einen Satz fortzusetzen, den ich vor einigen Tagen – nämlich nach dem Viertelfinalspiel von Deutschland gegen Italien – begann und nicht beendete. Dass ich von diesem Satz nur „in…“ niederschrieb macht es nicht leichter. Der Satzanfang muss euch somit als Anregung dienen, einen Satz zu formulieren. Das nimmt mir den Druck und macht euch Freude. Ihr dürft diesen Beitrag mitgestalten. Vorschläge in die Kommentare.

Das nimmt der ganzen Sache ein wenig die positive Stimmung. Mir persönlich ist es relativ wumpe, wer die Nationalhymne mitsingt, wer eine Fahne schwenkt (sofern eine unbedenkliche) oder wer welches Trikot trägt. Und natürlich lässt sich schwer festlegen, was bedenklich und was unbedenklich ist, aber aus einem ersten Impuls heraus empfinde ich die deutsche Flagge als unbedenkliches Symbol. Darüber ließe sich hervorragend nachdenken und man käme möglicherweise irgendwann zu dem Schluss, dass eine Fahne ein ausgrenzender Faktor sei, weil sie Menschen mit denselben Interessen eint. Das ist mal ein hervorragendes Paradoxon! Oder der simple Umstand, dass eine Medaille zwei Seiten besitzt.

Das führt mich allerdings zu der Frage danach, wo die eine Seite der Medaille endet und die andere beginnt. Fühlen sich alle, die der deutschen Nationalmannschaft zujubelten, im gleichen Maße dem wir-Gefühl zugehörig? Schwierig. Eine Medaille sollte eine Kugel sein, wobei es dann noch schwieriger wäre, Grenzen zu setzen. Endet Weihnachten eigentlich um 23.59 Uhr des 26. oder um 0 Uhr des 27.12.? Und wann beginnt die Vorweihnachtszeit bzw. wann endet sie? Um 23.59 Uhr des 23.12.? In fünf Monaten sind wir mitten drin. Soviel steht fest.


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5 Kommentare

  1. Ich hab jetzt nur kurz den ersten Teil mit der Weihnachtszeit gelesen, die beginnt wenns im Aldi Stollen gibt und das wird in diesem Jahr vermutlich schon im August sein. Nächstes Jahr sicher schon im Juli. Jedes Jahr einen Monat früher bis Ostern und Weihnachten auf einen Tag fällt.

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  2. Schön wieder auf die deutsche Weihnacht zurückgefunden. Und dabei die kompliziertheit der deutschen Seele umschlungen. Im Vergleich zu unseren Nachbarn hinken wir halt beim Nation Building nur wenige Jahrhinderte hinterher. Und finden uns auf Augenhöhe mit Österreich wieder, die grad mitten im Nation Deconstructing sind. Vielleicht neigen wir deshalb dazu, gern alten Schrott aus Habsburg aufzupolieren…

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  3. „In…“ zwei Jahren ist wieder Weltmeisterschaft. Bis dahin kann sich jeder überlegen, ob und falls ja, welche Fahne er zu Felde tragen möchte. Ich habe überlegt, hier auf meiner Terrasse in Italien eine Brandenburgfahne zu hissen, habe aber Bedenken dahingehend, dass die Italiener denken könnten, ich wäre Polin und würde mich nur als Deutsche ausgeben. Fahnen sind mitunter nicht nur als Alkoholfahne problematisch.

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