Wie ich Heidi Klum wurde – Endlich vorbei

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Ich sitze am Frühstückstisch und nage an etwas, was man in deutschen Baumärken ebenso gut als Pappe verkaufen könnte. Das amerikanische Toastbrot schmeckt nach Umzugskarton und dürfte dem Original in puncto Nährwerte kaum nachstehen. Ich würge es dennoch herunter, weil ich ein Gewissen habe. Es wäre unverantwortlich, dieses Brot zu verschmähen, während die armen Kandidatinnen in ihrer Villa…VERDAMMT!

Ich rufe schnell beim Drehbuchautoren an. Mittlerweile dürfte er wieder ansprechbar sein, nachdem er die vergangenen Wochen auf Mallorca sein Honorar, das er für das Schreiben des Skripts dieses Formats erhielt, versoff.

„Frank! FRANK!“

„Ja, was denn? Hat das Semester schon wieder begonnen?“

„Ja, seit einem Monat.“

„Scheiße! Warum sagt mir denn keiner Bescheid?!“

„Irrelevant, Frank! Pass auf. Ich habe das Skript nicht gänzlich gelesen. War vorgesehen, dass die Kandidatinnen irgendwann mal etwas essen und dabei gefilmt werden?“

„Ja, kurz vorm Finale. Fotoshooting auf Malle, in der „Burgerei“, einem durchschnittlichen Burger-Laden…“

„VERDAMMT!“

Ich lege auf und wähle die Nummer der Modelvilla. Micky geht dran.

„Hier ist Micky, wer ist daaa?“

„Micky! Leben die Kandidatinnen noch?“

„Ich schau nach. Tommy lackiert mir gerade die Fußnägel, deshalb muss ich vorsichtig aufstehen.“

Micky geht offensichtlich auf den Fersen laufend von Zimmer zu Zimmer. Hoffentlich hat er gute Nachrichten.

„Hörst du?“

„Ja, Micky.“

„Alle leben noch.“

„Gott sei Dank! Pass auf: Wir müssen denen langsam mal was zu essen geben. Mir ist gerade aufgefallen, dass die armen Kinder nichts anderes als diese Tee-Plörre von Freßmer trinken durften. Heute dürfen sie mal was essen. Das steht auch erst für heute im Skript. Das hätte ins Auge gehen können.“

Weil sich der der Tonmann weigert, mich auf meiner Sänfte Richtung Flughafen zu tragen, feuere ich ihn und stelle Kandidatin Mareen, die ich gestern noch rausgeschmissen habe, als Trägerin ein. Sie macht ihre Sache gut. Am Flughafen angekommen, feuere ich auch sie. Dass der Tonmann nun nicht mehr dabei ist, wird sich beim Finale noch rächen.

Auf Mallorca angekommen schaffen wir die halb verhungerten Kandidatinnen zur „Burgerei“ und halten mit den Kameras voll drauf. Die Zuschauer sollen sehen, dass sogar Models Nahrung zu sich nehmen und sich manchmal auch „etwas gönnen“. Beispielsweise den Tripple-Mega-Giant-Burger XXXXXL mit Käse, Bacon und Diätmayonnaise.

Ich gebe das Zeichen.

„Los! Esst! Freut euch! Wir müssen den Leuten zeigen, dass ihr essen könnt.“ 

„Essen? Ach, das mit dem Runterschlucken, nä?“, schnoddert mir Zoe entgegen.

„Genau, ihr müsst jetzt essen“, befehle ich, „denn ihr wisst: Nur Eine kann…“

Die Mädchen verdrehen die Augen und wenig später wird mir wieder klar, warum es ein Albtraum ist, in der heutigen Zeit mit jemandem dieses Alters essen zu gehen.

„Ich mag keine Weizenprodukte!“

„Iiiih! Der Salat lebt noch!“

„Ist die Mayo laktosefrei?“

„Ist das veganer Bacon von freilaufenden Bio-Bacon-Tieren?“ 

„Mir tut das Brötchen so leid!“

Nach zehn Minuten verlassen wir die Burgerei wieder und fahren zum Fotoshooting. Es werden furchtbare Fotos und weil die Kandidatinnen durch den Verzehr einiger Happen ihres Burgers nun etwa doppelt so viel wiegen wie zuvor, ächzen die Füße unter dem ungewohnten Gewicht. Bei Yannice-Shannon endet das blutig, weil ihre Füße nicht mehr in die Schuhe passen. Die übrigen Kandidatinnen fangen sofort an zu weinen.

„Ey, das blutet HARDCORE!“, brüllt Zoe panisch, während sie mit weit aufgerissenen Augen und ausgestrecktem Arm auf die Schuhe deutet.

„Die schönen 1.500 Euro-Schuhe!“, heult Tommy.

Das scheint für einige das Wichtigste zu sein. Irgendjemand fragt, ob Yannice-Shannon nun sterben muss. Sie überlebt knapp.

Dannach fahren wir zum Finale in die Stierkampfarena von Mallorca. Es soll das größte Finale aller Zeiten werden, weshalb wir nicht drei, nicht vier, nein, FÜNF Kandidatinnen in die letzte Runde mitgenommen haben. Weil das den Verantwortlichen noch nicht bombastisch genug war und man in dieser Sendung nicht unbedingt mit Inhalten überzeugen kann, wird der Eröffnunglauf nicht von den Top20-Kandidatinnen bestritten – wie es in den vergangenen Jahren immer war – sondern von den Top21. Die Kommentatoren überschlagen sich vor Begeisterung und nennen das Treiben das „optimalste bestgesehenste Finale ever ever, ich schwör“.

Peggy-Joelinas Ex-Freund Honey-Bunny darf aus irgendeinem Grund unter lauten Pfiffen seine Visage für ein kurzes Gespräch in die Kamera halten. Micky stiefelt mit der Spontaneität eines dressierten Hundes zu Honey-Bunny und stellt wichtige Fragen.

„Honey-Bunny, wie findest du es denn, dass die Peggy-Joelina in diesem optimalsten bestgesehensten Finale ever, ever steht? Bist du proud?“

„Ich bin vor allem sehr hübsch!“

„Und hast du von deiner Präsenz in dieser Sendung profitiert? Werden wir noch mehr Honey-Bunny zu sehen bekommen?“

„Ich – bin – sehr – hübsch!“

„Findest du es nicht auch offensichtlich gestellt, dass wir betonen, wie nervig du bist, dich aber bei jeder Gelegenheit ins Gespräch bringen?“

„ICH BIN SEHR HÜBSCH!!!“

„Ja, hahaha…“

„Haha! ICH BIN…“

„..hahahaha…“

„…SEHR HÜBSCH!!!“

Während Honey-Bunny hysterisch den einzigen Satz kreischt, den er noch beherrscht, wird er von der Security hinter die Kulissen gezerrt. Und hier rächt sich die Entscheidung, den Tonmann zu feuern. Nun gibt es niemanden, der den Ton regelt. Sämtliche Mikros sind offen, weshalb man hört, wie die Security Honey-Bunny hinter der Bühne überwältigt, wie Tommy leise in seine Faust kichert, die fünf Kandidatinnen sich gegenseitig hinter vorgehaltener Hand beleidigen, während gleichzeitig der Ton sämtlicher Einspieler im Hintergrund läuft.

Das Finale ist für die Tonne. Ich wüsste eh nicht, wer gewinnen soll. Micky wurde nicht müde, zu betonen, dass Peggy-Joelinas Wandelbarkeit total verblüffend sei. Das begründete er damit, dass man ihr sowohl eine blonde als auch eine brünette als auch eine schwarze Perücke aufsetzen könne und sogar eine rote. Mir aber ist es zur Last geworden, nach Argumenten für oder gegen eine Kandidatin zu suchen. Mit der eigentlichen Idee dieses Formats hat das Finale aber nichts mehr zu tun, was sich schon in der Planung andeutete:

„EYEYEY! Wir machen das so: Wir machen da eine Musik-Show draus!“

„Ja! Super Idee! Ganz viele „music acts“ und am Ende gewinnt Heidi!“

„Heidi ist nicht mehr dabei.“, gab jemand in das betretene Schweige zu verstehen. „Ihre eigene Haarpflegekollektion ist leider hochgiftig und durch die Haut ins Gehirn gezogen. Deshalb auch der Vorfall mit den Haaren von Peggy-Joelina.“

„Achja…egal! Haben wir die clickbait-Kampagne schon fertig?“

„Ja! Titel: Eine Irre schnitt ihr die wunderschönen Haare ab! Doch nachdem sie sich im Spiegel sah, passierte etwas Wunderbares!

„Gut, machen wir. Und fürs Finale habe ich eine Idee: Sean Paul nimmt sich irgendso einen billo-Spacken zur Seite und dann covern die ein Lied von 1990!“

„Grandios!!!“

Mir ist das zu langweilig. Also habe ich vorgesorgt. Die zu Beginn der Staffel eingestellten Delfine, die uns helfen sollten, das Gequietsche von Heidi zu übersetzen, und die durch die Entlassung Heidis arbeitslos geworden waren, habe ich ebenfalls nach Mallorca einfliegen lassen. Sie sinnen auf Rache. In den Kellergewölben der Stierkampfarena befindet sich außerdem ein Dutzend Stiere und ich finde es nur fair, wenn diese ebenfalls ihre Rache für die jahrhundertelange Unterdrückung bekämen. Also erhebe ich mich aus meinem Jurystuhl, hebe beide Hände und warte, bis ich mir der Aufmerksamkeit der spärlich gefüllten Arena gewiss sein kann.

„Liebe Anwesende und Anwesendinnen! Dieses…“ 

Jemand hustet.

„SCHWEIG! Dieses Finale ist höchst ermüdend. Weil niemand heute mehr Entscheidungen treffen kann, ist dieses Finale hiermit abgesagt. Damit niemand umsonst gekommen sein wird, gibt es aber noch einen letzten Programmpunkt:
Wir werfen die übrigen fünf Kandidatinnen den Stieren zum Fraß vor!“ 

Schweigen im großen Rund. Micky lehnt sich zu mir rüber und gibt zu Bedenken:

„Aber…Stiere fressen doch gar kein…“

WIR WERFEN DIE ÜBRIGEN FÜNF KANDIDATINNEN DEN STIEREN ZUM FRAß VOR!!!

Auf mein Handzeichen lasse ich die Gittertore der Katakomben öffnen und die Stiere traben in die Arena. Auf ihnen reiten die Delfine, die hämisch lachen und die Stiere in die Richtung der verzückt glucksenden Kandidatinnen lotsen.

„Wie süß! Delfine!“, quietscht Yannice-Shannon.

Die Menge jubelt und ich wende mich ab. Von unten höre ich Zoe noch „Endlisch vorbei, Alter!“ brüllen und verlasse dann diese Ebene des Schreibens, um die Metaebene zu betreten.

Denn in Wirklichkeit sitze ich gerade in meinem Büro von Pro7 und schreibe am Drehbuch für die kommende Staffel von GNTM im Jahr 2017. Und das Drehbuch beginnt so:

„Ich sitze auf einem sehr unbequemen Stuhl…“ 


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9 Kommentare

  1. „Ich mag keine Weizenprodukte!“

    „Iiiih! Der Salat lebt noch!“

    „Ist die Mayo laktosefrei?“

    „Ist das veganer Bacon von freilaufenden Bio-Bacon-Tieren?“

    „Mir tut das Brötchen so leid!“

    3 Minuten gegrinst wie Bob Marley nach der Frühstückstüte 😀

    Und um es mal sexistisch zu sagen: Es ist soooooo schade, daß Du Heidi Klum geworden bist und nicht Heiko Klum. Denn der hätte jetzt vor laufender Kamera brüllen können: „Ihr sollt schlucken, verdammt!“

    Ich freue mich auf die Staffel 2017.

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  2. Gut gebrüllt: „WIR WERFEN…“. Wenn die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gegen einen sprechen, dann muss man nur die Stimme erheben, schon werden aus Pflanzenfressern Karnivore und Models brauchen Nahrung usw.
    Sobald die „Bio-Bacon-Tiere“ auf die Weide gebracht wurden, müssen sich die Veganer versammeln, um einstimmig den Brötchen- und Salatschutz gleichberechtigt mit dem Tierschutz in ihr Glaubensbekenntnis oder ihre sonstigen tofunen Statuten aufzunehmen.
    Konnte das Brötchen gerettet werden?! Wie lange musste der Salat noch leiden? Und warum lachten die Delfine so hämisch? Wird Dampfbloque dem ewigen Kreislauf entkommen? Vielleicht erfahren wir es 2017?
    Aaah! Immer diese Serienfinale, die einen so nachdenklich zurücklassen

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