Ein Sonntag in Düsseldorf: Umtopfen!

2016-06-19 19.38.33

Es ist ein Wochenendtag und ich wache auf. Während ich noch überlege, um welchen Tag es sich wohl handeln mag, vernehme ich Klänge in der Wohnung. Satte Bässe dröhnen aus dem Wohnzimmer und locken mich aus dem Bett. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, liegt nicht neben mir, was nur eines bedeuten kann: Sie ist schon wach. Das ist ein Novum, denn normalerweise bin ich es, der früher aufwacht. Neuerdings wache ich aber auf und finde die rechte Bettseite entweder verlassen vor oder schaue in weit aufgerissene Augen, weil sie schon längst wach ist und nur darauf wartet, dass ich es ihr gleichtue.

Ich vertreibe die Katze von meinen Beinen und stehe auf. Die Beine tragen mich so gerade eben. Ich schaue an mir herunter. Dieser Körper ist in seiner aktuellen Verfassung mit einem morschen Baum zu vergleichen. Stocksteif und mit leicht hochgezogenen Schultern, die ein wenig schmerzen, stakse ich in den Flur. Es wehen mir Klänge entgegen, die wir beide in der Regel als „derbsten HipHop-Shit“ bezeichnen. Hören wir beide nicht, aber wie ich im Wohnzimmer sehe, hat die Frau, die in unserer Wohnung lebt, ihr Handy an die Wohnzimmeranlage angeschlossen und lässt irgendeine Playlist von Amazon prime laufen.

Beide Balkonflügeltüren stehen weit offen und geben den Blick auf ein Schlachtfeld frei.

Einmal im Jahr kommt die Zeit, in der es darum geht, den heimischen Acker zu bestellen. Das ist keine poetische Umschreibung für zwischenmenschliche Aktivitäten, sondern eine konkrete Beschreibung für das Bestellen des heimischen Ackers. Unser heimischer Acker befindet sich auf unserem Balkon, der mit seiner perfekten Südausrichtung ein Traum eines jedes Wohnungssuchenden ist. Fledermäuse und Vampire dürften das anders sehen. Vampire wissen einen Nordbalkon zu schätzen, während es Fledermäusen gleich ist, ob Nord oder Süd. Sie sind nachtaktiv. Davon mal ganz abgesehen handelt es sich bei Fledermäusen um Fledermäuse. Da kann der Schufaeintrag noch so positiv sein, sie bekämen die Wohnung nicht. Es sind schließlich Fledermäuse.

Fledermäuse kann man des Abends von unserem Balkon beobachten. In der Dämmerungszeit schwirren sie durch die Straßenschluchten der durchgehend zweieinhalbgeschossigen Wohnhäuser. Tendenziell spießige Gegend. Junge Familien, alte Paare und eben wir. Mit Südbalkon. Das war uns wichtig.

„Öhm, welche Ausrichtung hat denn der Balkon?“

war unsere häufigste Frage bei Wohnungsbesichtigungen. Oft war es auch die einzige, denn alles andere als „Süd“ oder „Süd-West“ nahmen wir zum Anlass, die zu besichtigende Wohnung unverzüglich zu verlassen.

Seit drei Jahren haben wir einen Südbalkon, der seit zweieinhalb Jahren Zufluchtsort diverser im Erdreich wurzelnder Lebewesen ist, die nach der Meinung der Frau, die in unserer Wohnung lebt, im nahegelegenen Bilker Gartencenter nicht recht zur Geltung kämen. Dort kauften wir vor einigen Tagen Blumenerde. Nein! Pflanzenerde. Humus. Es scheint ein Stoff zu sein, der alles, was gern Wurzeln schlägt, frohlocken lässt. Dass es ganz offensichtlich einen großen Unterschied zwischen verschiedenen Erden zu geben scheint, ist mir unbegreiflich. Habe erst kürzlich mitten in der Stadt am Rand eines gepflasterten Gehweges Walderdbeeren gesehen. Weit und breit weder Wald noch Blumen-, Pflanzenerde oder gar Humus zu sehen.

Bäume wachsen hunderte von Jahren an der selben Stelle und fordern weder Dünger noch eine bestimmte Erde. Hier aber – und das erklärt das Bild, das sich mir bietet – muss jede Pflanze in regelmäßigen Abständen eine neue Bleibe erhalten. Alles muss umgetopft werden. Das Ganze folgt keinem erkennbaren System. Gerade in dem Moment, als ich in Boxershorts an den Balkon trete, ringt die Frau, die in unserer Wohnung lebt, mit einer Zucchini-Pflanze. Ein gewaltiges Gewächs, das sich mit Vehemenz gegen das Umtopfen wehrt.

„Morgn…“, wünsche ich der Frau, die in unserer Wohnung lebt, voller Lebensfreude.

„Guten Morgen! Guck mal! Ich habe schon die Erdbeeren umgepflanzt und ein paar Sachen geerntet!“

Ich frage erst gar nicht, bin mir aber sehr sicher, dass die Erdbeeren erst vor Kurzem von A nach B verpflanzt wurden. Aber was weiß ich schon? Ich bin ein schlechter Gärtner. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, spielt online gern ihr Hühnchenspiel. Man muss Dinge einpflanzen, gießen und natürlich ernten. Vor zwei Wochen setzte ich mich neben sie aufs Sofa und beobachtete ihr Treiben auf dem Tablet. Das Spiel schien ich schnell begriffen zu haben, was ich zum Anlass nahm, auf diverse Dinge zu tippen, aus denen daraufhin wichtige Güter sprangen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, war hocherfreut.

„Nein! Was machst du denn da?!“

„Ich habe dir Äpfel geerntet. Und eine Butter. Aus der Kuh kam eine Butter. Das ist doch ne Kuh…?“ 

In diesem Moment habe ich mein Recht verwirkt, jemals nochmal ihr Hühnchenspiel zu spielen. Äpfel und Butter wären erst später wichtig gewesen. Auf dem Balkon allerdings vertraut die Frau, die in unserer Wohnung lebt, nach wie vor meiner fachlichen Kompetenz. Auch jetzt, da sie sich mit einer aufmüpfigen Zucchini-Pflanze konfrontiert sieht.

„Kannst du mir mal kurz helfen? Irgendwie bekomme ich die da nicht raus. Die muss ich umtopfen. Die ist…die hat da…ja, hier! Das ist nix!“

„Vielleicht will sie das einfach nicht. Wie würdest du das denn finden?“

Sie hält inne und schaut mich mit einem Blick an, der mich gleich ins Bett schicken will. Das Erdreich in ihrem Gesicht, tut das Seinige dazu, weshalb ich ihr unverzüglich zur Hand gehe. Gemeinsam schenken wir der Zuccini-Pflanze für kurze Zeit die Freiheit, um sie anschließend in einen größeren Topf zu setzen. Ich flüchte wieder ins Wohnzimmer, setze mich auf den Boden vor den Balkontüren und beobachte das Treiben weiter.

„Vorhin wollte mich übrigens eine Spinne attackieren. Die hat schon ganz zornig geschaut.“

Normalerweise werde ich immer voraus geschickt, um eventuelle Spinnennetze mit meinem Kopf zu entfernen, damit die Frau, die in unserer Wohnung lebt, nicht in ebendiese läuft. Ich höre mir die Geschichten von auflauernden Spinnen gern an, weil sie manchmal recht unterhaltsam sind.

„Ja wirklich! Die hat da oben in der Ecke ihr Netz. Da hängen schon einige Tiere drin. Eines hat die Spinne vorhin ausgeschlüft. Die beißt die, wickelt die ein und dann schlürft die die nachher aus. Ein Spinnensmoothie! Ich möchte kein Spinnensmoothie werden!“ 

Ich finde diese Frau manchmal unfassbar niedlich. Auch wenn sie voller Euphorie eine gereifte Frucht an der Stachelbeere oder irgendeiner anderen -beere erblickt. Im Grunde sind wir auf dem besten Wege Selbstversorger zu werden. Allein dieses Jahr fanden zwei Zuccinis, diverse Erdbeeren, etwas Petersilie und eine viertelhandvoll Stachelbeeren den Weg in unsere Mägen. Auf den Blattsalat warten wir noch. Er wird uns vermutlich den Sommer über ernähren. Ebenso wie fünf runde Mören.

„Kannst du mir gleich Wasser zum Gießen holen? Ich versaue nur die ganze Wohnung. Der Schlitzahorn muss auf jeden Fall gegossen werden.“

„Und die Platane.“

„Wovon redest du?“

„Ist das da keine Platane?“

„Das da? Das ist Lorbeer!“

„Du meinst die Taglilien?“, antworte ich und bin stolz, dass ich mir diese eine Pflanze gemerkt habe, als sie neulich davon erzählte.

„DAS da hinten sind die Taglilien!“

„Der Rasen? Puh. Da einigen wir uns kaum.“

Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, drückt mir die Gießkanne in die Hand und ich hole Wasser. Als ich zurückkomme, ist die wohnungseigene Gärtnerin dabei, die jämmerlichen Reste der Petersilienpflanzen aus ihren nassen Gräbern zu fischen. Es hat in letzter Zeit viel geregnet und die Petersilie ist ersoffen. Nun muss Ersatz her, damit die Kästen nicht unbesetzt bleiben.

„Vielleicht eine neue Pflanze?“, schlage ich ihr vor.

Ich komme mir in Gartencentern etwas fehl am Platze vor. Aber ich weiß auch, dass ich mich manchmal über Pflanzen lustig mache und die Frau, die in unserer Wohnung lebt, große Freude am Gärtnern hat. Also fahre ich gerne mit ihr ins Bilker Gartencenter und sie darf sich etwas aussuchen. Welche Pflanze die Auserwählte sein wird, muss im Vorfeld zuhause überlegt werden.

„Welche denn? Da steht ja sofort wieder das Wasser drin.“

Ich überlege kurz. Ich komme zu keinem ernsthaften Ergebnis, was oft dazu führt, dass ich etwas Albernes antworte. Ich muss diesem Drang widerstehen. Nach einer Weile antworte ich:

„Wie wäre es denn mit Algen oder einer Seerose?“

Kurz darauf werde ich in Küche geschickt, um mir erstmal einen Kaffee zu machen.

14 Kommentare

  1. Hä? Im Gartencenter gibt es eine Küche in der man Kaffee machen kann?
    Entweder lese und höre ich komisch oder da ist ein Anschlussfehler…..
    Wie auch immer: wie wäre es mit einer Biertulpe? 🙂

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  2. Es gibt wirklich einen Menschen, der gerne Pflanzen umtopft?
    Pflanzen umtopfen auf dem Balkon, wo man viel zu wenig Platz hat und danach die Sauerei in der Wohnung, und …. brrrrr. Man sollte doch einen Garten haben.
    Mein Clivie schaut SEHR vorwurfsvoll rüber, sie will schon seit ein paar Jahren umgetopft werden.

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  3. Ein wirklich lustiger Artikel über das Leben auf einem Balkon. Ich stelle ja immer wieder gerne Zimmerpflanzen auf den Balkon wenn es regnet. Die Blätter werden vom Staub befreit und ich fühle mich gut, weil ich etwas tue, das sich nachhaltig anfühlt, so mit Regenwasser und ohne Swifer staubmagnet.

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