Die Egal-Phasen

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Irgendwann – es war ein sonniger, milder Freitag – hörte ich auf, mich über Dinge aufzuregen. Kurze Zeit später – es war der darauffolgende Samstag, an dem es regnete – begann ich wieder mit dem Aufregen, um es nur einen Tag später wieder zu lassen. Immer mal wieder gibt es Phasen, in denen ich mit großer Gelassenheit das zur Kenntnis nehme, was täglich so kommentiert, „geliket/geliked“ und geteilt/geteiled wird. Mögen es wirre Texte, schöne Sprüche oder Sätze zur Politik dieses Landes sein. Es interessiert mich in manchen Phasen nicht wirklich, weil ich das Internet in solchen Momenten als das wahrnehme, was es ist: die Spielwiese der Hysterie. Hysterie in vielerlei Hinsicht. Das schließt natürlich die panische Hysterie ein, beschränkt sich aber nicht bloß auf diese Facette.

Hier teilt jemand ein Bild mit „schönem“ Spruch, der schon allein aufgrund der Absicht, schön und weise zu sein, zum Lebensmotto schlechthin erhoben wird, dort wird jemand sentimental. Und fast reflexhaft wird geteilt und gegluckst, weil der Spruch so totaaal schön sei und „so true“. Darüber könnte ich mich lange auslassen, was ich niemandem antun möchte. Das taten andere bereits deutlich unterhaltsamer, als es mein derzeitiger Geisteszustand zuließe. Nicht, weil es mir schlecht ginge, sondern weil man als Mensch gewissenen Schwankungen unterworfen ist. Das schließt mich, der ich nach neuesten Erkenntnissen der Forschung ein Mensch bin (was nie zur Debatte stand, aber so viel Offenheit muss sein: Ich bin tatsächlich ein Mensch) nicht aus. Und so bin ich gerade nicht in der Laune, einen witzigen Beitrag zu schreiben. Zu diesem Thema – Facebookbildchen mit Sprüchen – verweise ich auf „Poesie, die keine ist“ auf http://www.auxkvisit.de.

Vielleicht wird sich das mit der Laune innerhalb der folgenden 750 Wörter noch ändern. Denn ähnlich, wie mich meine Facebooktimeline mal mehr, mal weniger interessiert, ändern sich auch Gemütszustände. Dem ist man ausgesetzt, kann dies bestensfalls mit Drogen beeinflussen, was ich niemandem empfehle und auch für mich nicht in Betracht ziehe. Wenn ich also aufhöre, mich über Dinge, die tagtäglich so geschrieben werden, aufzuregen, dann ist dieser Zustand als Momentaufnahme ein labiler. Anders als ein gewisser Oskar Matzerath, der sich im Alter von drei Jahren dazu entschließt, nicht mehr zu wachsen, habe ich auf die Dynamik der Rezeption von Dingen keinerlei Einfluss. Und somit ist der Entschluss, mich fortan nicht mehr über bestimmte Dinge aufzuregen, kein solcher. Kein Entschluss. Vielleicht ein krampfhafter Versuch, die eigene Gefühlswelt zu steuern. Versuche sind zum Scheitern verurteilt, sonst wären es Taten. Mit dem Suchen verhält es sich ähnlich, weshalb ich nicht suche. Ich finde.

In den vergangenen Wochen stellte ich fest, dass mir gewisse Aussagen zunehmend auf den Senkel gingen. Es tauchen in bestimmten Zusammenhängen immer wieder Kommentare und sogenannte Topoi auf, die bis zum Erbrechen wiederholt werden.

(Topoi sind Argumentationsmuster, die sich am einfachsten so formulieren lassen: „Weil eine Sache stattfindet/existiert bzw. nicht stattfindet/nicht existiert, sind die Zustände so, wie sie sind.“)

Nicht von einer Person, sondern gleich von mehreren und vor allem unabhängig voneinander. Wäre es stets dieselbe Person gewesen, die Antwort „Halt doch endlich mal deine oberflächliche Klappe!“ hätte vielleicht Wirkung gezeigt. Weil es aber viele Menschen sind, die sich zu undurchdachten Äußerungen hinreißen lassen, ist es ein Kampf gegen oberflächliche Windmühlen. Und wie es sich gegen Windmühlen kämpft, hat Miguel de Cervantes ausführlich geklärt: Es kämpft sich eher unbefriedigend. Ihre Sturheit macht sie zu unbesiegbaren Riesen.

Aktuell tauchen im Zusammenhang mit der Angst vor Terror viele Meldungen auf. Vor kurzem las ich in einer Diskussionsgruppe auf Facebook, in der über aktuelle Themen gelegentlich sogar sinnstiftend diskutiert wird, die Frage, ob die Welt gerade am Rad drehe. Man höre ja beinahe täglich von neuen Gewalttaten. Ich denke, dass die Welt stets am Rad drehte, nie ruhig war. Sowohl im Großen als auch im Kleinen. 2015 gab es in Deutschland knapp 300 Morde. Das sind gut 200 weniger als im Jahre 2000. Das heißt allerdings nicht, dass Deutschland friedlicher geworden ist.

Umgekehrt bedeutet ein verstärktes Aufkommen von Berichten über Gewalttaten keinesfalls einen Anstieg der Gewalt. Heute erfahren wir deutlich mehr in Echtzeit, was so wirkt, als würde andauernd etwas geschehen. Es lässt sich nunmal schlecht über etwas berichten, was nicht geschehen ist. Darin liegt der große Irrtum derer begründet, die in solchen Diskussionen die Frage stellen, warum man denn andauernd nur negative Berichte hört, nicht aber positive. Ja, wie sollte denn eine solche Meldung aussehen? Etwa:

Wieder einmal blieb es ruhig in Kufstein

Der deutsch-österreichische Grenzübergang hat erneut einen ereignislosen Tag hinter sich. Damit wurden die Erwartungen der Behörden bestätigt, die dem 27.09. im Vorfeld sehr gelassen entgegensahen. Rainer Urban von der deutschen Grenzkontrolle: „Es muss an der alltäglichen Austauschbarkeit liegen. Der Verkehr floss. Ein Turnschuh soll wohl aus einem fahrenden Auto gestürzt sein, was uns kurz in Aufruhr versetzte. Ansonsten blieb es sehr ruhig. Der Vorfall mit dem Turnschuh konnte nicht bestätigt werden. Wohl ein Telefonstreich ortsansässiger Flegel.“ In einem exklusiven Interview berichtete uns der Bürgermeister der Stadt von einem außerordentlich durchschnittlichen Dienstag. Man sei auf nichts vorbereitet gewesen, was sich am Ende als die richtige Strategie herausstellte. Es sei rein gar nichts passiert in Kufstein.

Natürlich liest man überwiegend negative Meldungen, denn sie sind relevant. Das ist eine traurige Erkenntnis. Noch trauriger ist allerdings das, was daraus gemacht wird. Aus irgendeinem Grund scheinen nämlich Berichte schwerer zu wiegen als die eigene Wahrnehmung. So wurde auch der Ton in der oben erwähnten Diskussionsgruppe zunehmend rauer, um nicht rechter zu sagen. Im Grunde ging es zuletzt ausschließlich um Flüchtlinge und sämtliche damit verbundenen Diskurse. Um „die da oben“, die vom Staat gesteuerten Medien, die links-grün-versifften Gutmenschen und Bahnhofsklatscher, die „Muchels“ mit ihren „vollverschleierten Dienerinnen“ und nicht zuletzt um die glorreichen Ideenansätze der AfD. Mir schwoll immer häufiger der Kamm, was ich dort zum Ausdruck brachte, indem ich in den Diskussionen mitmischte und fragte, ob der Unmut gegenüber Zuwanderern denn in der Realität ebenfalls Gründe habe. Oft stellte sich heraus, dass kaum jemand überhaupt Kontakt mit anderen Nationalitäten hat. Man stellte mich allerdings als naiv dar. Ob ich denn allen Ernstes glaube, dass die „Moslems“ in friedlicher Absicht hierher kämen. Ich könne ja gern mit Blümchen verziert und tanzenderweise am Bahnhof warten und die „Zudringlinge“ empfangen. Das ließ ich eine Weile über mich ergehen, bis ich die Gruppe verließ.

Aktuell befinde ich mich wieder in einer Phase der Gleichgültigkeit. Mich interessieren zwar die Meldungen gewisser Medien, nicht aber was darunter in den Kommentaren geschieht. Ich diskutiere gern, aber die Motivation hält sich gelegentlich doch in Grenzen. Zumal ich vor einiger Zeit in eine hitzige Debatte über ein Thema, in dem ich mich auskenne, geriet, die vor allem durch Polemik, Halbwahrheiten und schlicht Falschaussagen geprägt war. Es hätte mir egal sein können, aber die markigen Sprüche und oftbemühten Mutmaßungen stießen auf positive Resonanz. Also mischte ich mich ein, schreib teils lange sachliche Kommentare, weil es mir ein Bedürfnis war, Dinge richtigzustellen, die dort falsch dargestellt wurden. Nach einiger Zeit antwortete mir derjenige, mit dem ich hauptsächlich diskutierte, dass ihm meine Kommentare egal seien. Er lese sie sich nicht durch. Daraufhin implodierte meine Diskutierlust und hinterließ ein schwarzes Loch der Fassungslosigkeit.

Es folgte eine weitere Phase, in der mich meine innere Stimme davon überzeugen konnte, einfach mal die Klappe zu halten, einfach gelassener zu sein. Das Internet, allem voran Facebook, diskutiert nicht um des Erkenntnisgewinns Willen. Facebook diskutiert, um zu konfrontieren. Es muss scheppern, es muss schäumen. Provokation ist alles. Es ist manchmal so unfassbar dumm, was dort passiert. Also ziehe ich den imaginären Stecker, lehne mich zurück und lasse mir alles, was mich aus der Ruhe bringen könnte, den Buckel runterrutschen. So wie jetzt gerade.

Es ist mir egal…ein bisschen.


Was steht dort im Staube vom Bücherregal?
Ach! Es ist Facebook. Ist mir egal.

Bitte nun hasskommentieren.

9 Kommentare

  1. Seit ich einen Blog habe und mir so manches durchlese und sehe, was so alles „Blogger“ ist (Rechtschreibfehler, Ideenlosigkeit, HobbypsychologInnen, Fashiongurus,….) muss ich wegen meiner regelmäßigen Kotzanfälle extra viel essen, um nicht irgendwann magersüchtig zu werden.
    Aber manchmal hilft auch einfach ignorieren!

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      • Will sagen: Man ist auch außerhalb von Facebook nicht sicher vor dem durch ätzende/dumme/unzufriedene Menschen entstehenden Frust. Da braucht man die Egal-Mentalität manchmal noch dringender.
        Denn den PC kann ich einfach ausmachen, den drängelnden und hupenden Spacken, der sich nicht mal bedankt, wenn ich ihn vor mir in die Spur lasse, leider nicht.

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  2. Dass gegen Dummheit kein Kraut gewachsen sei, sagte schon meine Oma. Offensichtlich gilt das auch im Facebook-Leben. Du machst das schon richtig. Einfach mal abschalten und fertig. Ich geh‘ gar nicht erst hin. Außerdem glaube ich, dass man mit einem Rechtsausgerichteten zwar in der Anonymität des Internets diskutieren kann, aber es nichts nützen wird. Denen muss man beim Sprechen schon in die Augen sehen können, denn in Echtzeit sind ihre Argumente noch wackliger.

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  3. Huch! Lieben Dank fürs Verlinken!
    Ich hab zu dem Thema mal ein sehr befreiendes Video auf YT gesehen, von irgendeinem Social-Media-Kongress: Die Kommentare dienen demnach – wie Du auch sagst – nicht zum diskutieren. Der Wille für Verständnis oder gar Einsicht fehlt da komplett, weil es eh jeder Einzelne als Einziger richtig weiß.

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