Innerlich hyperaktiv

2016-05-09 08.21.04

Aha! Es hat vier Anläufe benötigt, diesen Beitrag zu beginnen, weil der Textkörper (so nennt es Microsoft Word) nicht bereit war, Text aufzunehmen. Die gedrückten Tasten wollten keine Veränderung auf dem Bildschirm zeitigen, was ich zunächst auf ein erneut fehlerhaftes Update der Software schob. Aber nun klappt es ja. Dass es zuvor drei Male nicht klappte, ist natürlich trotzdem ein Hinweis auf einen Fehler in der Software, aber ich will nicht kleinlich sein. Der Vollständigkeit halber sei noch ergänzt, dass ich nicht nur vier Anläufe benötigte, diesen Beitrag zu beginnen, sondern weitere drei, um das Wort „benötigt“ richtig zu schreiben. Mal fehlte das „ö“, mal das „t“ und am Ende schrieb ich es einmal groß. Weil ich gereizt und unaufmerksam war. Das reizte mich freilich noch mehr, was sich durch lautes Rumhacken auf der Backshift-Taste äußert, die man bestimmt ebenfalls klein schreibt. backshift-Taste. Kurz: Ich habe das Dreckswort aggressiv gelöscht.

Verben werden klein geschrieben. Ebenso wie Adjektive und Adverbien, die für mich lange Zeit ein und dieselbe Kategorie waren, bis ich mir in einer ruhigen Minuten, ohne dass ich darüber nachdenken wollte, die wörtliche Bedeutung begriff: zum Verb gehörig. Linguistik ist einfach, wenn man sie einmal verstanden hat. Vergesst diese Aussage. Denn Linguistik ist ein wirres Konglomerat aus Sprache und Mathe minus eine konkrete Sprache. Wobei das auch nicht stimmt. Ich beherrsch(t)e die Grundlagen der Grammatik der Sprache Tagalog. Das ist im Prinzip die Übersprache der südostasiatischen Sprachen, zu denen auch Filipino gehört. Lustigerweise existierte ursprünglich im Tagalog der Laut [f] nicht. Um sich vom gemeinen Pöbel abzugrenzen, erfand man ihn einfach. Man musste ihn erfinden, denn es gab ihn noch nicht. Das mutet kurios an, aber unsereins könnte aus Gründen der Abhebung afrikanische Knacklaute ins Deutsche integrieren. Die gibt es nämlich noch nicht. Im Deutschen.

Noch immer werden Verben klein geschrieben. Worauf ich schon im ersten Abschnitt hinaus wollte, war die Unfähigkeit unserer Zeitgenossen, zwischen Substantiven, Verben und Adjektiven zu unterscheiden. Zumindest nicht hinsichtlich ihrer Groß- bzw. Kleinschreibung. Daran dürften wohl die Handys mit ihrer automatischen Worterkennung schuld sein. Den Einfluss dieser Technik auf den Alltag erfährt man insbesondere dann, wenn man Texte liest, die hand- oder zumindest maschinengeschrieben sind. Wo Komposita – beispielsweise „Dampfschifffahrt“ – aufgetrennt werden – nämlich zu „Dampf Schiff Fahrt“ – hat die Technologie eindeutig Scheiße gebaut. Am Handy kann ich das noch ein stückweit nachvollziehen, wenn es schnell gehen muss. Der Einfachheit halber wird einfach jeder Wortbestandteil einzeln ausgeschrieben bzw. automatisch vervollständigt. Bei handgeschriebenen Texten fehlt mir das Verständnis.

Worum es hier aber eigentlich gehen sollte, ist meine Angewohnheit, gedanklich abzutreiben. Die katholische Kirche wird das nicht gern hören. Ebenso wenig die AfD. Schwieriges Thema. Darum sollte es nun wirklich nicht gehen. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, muss manchmal sehr geduldig mit mir sein. Ich bin ein Träumer, was ich prinzipiell für keine schlechte Eigenschaft halte. Wer nachdenkt, kann so übel nicht sein. Dafür rede ich wenig. Ich lasse reden. Wenn es drauf ankommt, rede ich gern und viel, was mitunter auf Themen zutrifft, in denen ich nicht hundertprozentig heimisch bin. Aber nur, wenn es sein muss. Wann immer ich etwas nicht weiß, schweige ich gern. Manchmal muss das Reden aber sein und es funktioniert erstaunlich gut. Das hat mir an der Uni durch Referate geholfen, die ich aber auch nur deshalb souverän vortragen konnte, weil ich das freie Sprechen jobbedingt gewöhnt bin. Die Kunst der Souveränität liegt darin verborgen, das wenige, was man weiß, derart überzeugend vorzutragen, dass ein Zuhörer das Gefühl hat, man wisse, wovon man rede. Die Fähigkeiten mögen limitiert sein, aber bis zum Limit können sie vollkommen professionell wirken.

Dass ich auch im Dampfbloque gelegentlich abschweife (was man mir gelegentlich ankreidet), ist kaum verwunderlich. Denn das passiert mir auch im echten Leben. Nicht unbedingt beim Sprechen, auch wenn ich gerne mal etwas aushole, wenn ich einen kausalen Zusammenhang erklären möchte. Generell findet das Reden bei mir recht gradlinig statt. Das Denken ungradlinig. Ich denke zuviel und ich denke in Momenten, in denen ich lieber nicht denken sollte, weil mir dann Dinge entgehen, die mir gesagt werden. Die Frau, die in unserer Wohnung lebt, musste ein ums andere Mal feststellen, dass ich in einem Gespräch plötzlich ganz woanders war. Nicht körperlich. Das wäre einem Wunder gleichzusetzen und würde mir Sorgen bereiten. Geistiges Abdriften hat keinen boshaften Hintergrund. Möglicherweise bin ich in einem gewissen Maße hyperaktiv und nehme zuviele Informationen auf, die in einer bestimmten Situation nicht relevant sind. Das äußert sich dann beispielsweise dadurch, dass die Frau, die in unserer Wohnung lebt, von ihrer Arbeit erzählt (soweit es ihr erlaubt ist) und ich ihr wirklich zuhöre, aber aus irgendeinem Grund das Honigglas auf dem Tisch erblicke. Ohne es zu wollen, denke ich darüber nach, wie die ersten Menschen auf den Trichter gekommen sind, dass man diese undefinierbare Masse vielleicht essen könnte. Das führt selbstverständlich irgendwann zu der Frage danach, wie die ersten Menschen darauf gekommen sind, Pflanzen zu rauchen. Schließlich höre ich die Frau, die in unserer Wohnung lebt, sagen:

„…oder denke ich da vielleicht zu kompliziert?“ 

Ich kann ihr nun schlecht sagen, dass der Gedanke, wie viele Menschen beim Versuch die falschen Pflanzen zu rauchen das Zeitliche gesegnet haben, eine gewisse Komik birgt. Nicht für diejenigen, die es erwischte. Es ginge mir auch eher um die Vorstellung, dass da jemand mit einer Pfeife durch den Dschungel rennt und Pflanze um Pflanze ankokelt, um ihren Qualm zu inhalieren. So wird es nicht gewesen sein, aber die Vorstellung…egal. Jedenfalls müsste ich mich aus einer unangenehmen Situation befreien, aus der es keinen Ausweg gibt. Das menschliche Gehirn hat die hervorragende Fähigkeit, sich zu fokussieren. Das hilft mir beispielsweise gerade dabei, bei laufendem Fernseher über meine abdriftenden Gedanken zu schreiben. Im laufenden Film geht es um einen Buchautoren, der irgendwelche Pillen einschmeißt, um leistungsfähiger zu sein. Es folgt das klassische Schema: Exposition, steigende Handlung, Höhepunkt, retardierendes Moment (Aussicht auf Lösung), Katastrophe. Gerade sind wir bei der Katastrophe.

Und ebenso, wie ich es irgendwie geschafft habe, diesen Film zu verfolgen, muss ich versuchen, den Wortbeitrag der Frau, die in unserer Wohnung lebt, zu rekonstruieren. Folgerichtig setzt sich das Gespräch so fort:

„Hm…schwierig…“

„Hast du mir eigentlich…“

„Moment. Ich überlege noch…ähm…nein?“ 

Ich hoffe, dass sie mir zumindest zugute hält, es versucht zu haben. Außerdem habe ich den Sinn des Wortes „Adverb“ ebenfalls während einer gemeinsamen Unterhaltung verstanden. Angesichts dieser kolossalen Errungenschaften kann man mir nicht böse sein. Es ging in der Unterhaltung übrigens um einen Einkaufszettel.


Facebook … verrückt!

8 Kommentare

  1. Sehr schön. Allerdings passiert derlei auch dem Einen oder der Anderen – war das korrekt gegendert? – von uns, wenn wir uns auf die Erstellung eines Textes unzureichend Gurkensalat, naja, ist sowieso Montag… ich denke, mein Punkt ist klar… oder?

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  2. Immer wenn ich einen tollen Satz auf den Lippen habe, der zum Ausdruck brinden würde, wie sehr mich das Geschriebene beflügelt, habe ich keine Zeit zu antworten.

    Das nächste Mal…

    Gefällt 1 Person

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