Es ist schon ein wenig frustrierend, fernzusehen. Das hat ausnahmsweise mal nichts damit zu tun, dass man von den Sendern mit zig scripted-reality-Formaten zugekleistert wird. Also ja, das ist auch ein Grund. Hier geht es aber um etwas anderes.
Allein in den vergangenen vier Wochen wurden Beiträge ausgestrahlt bzw. gedruckt, die mir persönlich ein wenig die Laune verhagelt haben. Generell muss man feststellen, dass die Berichterstattung über Zoos (und auch allgemein) stark tendenziös ist. Das betrifft mit Sicherheit nicht alles, was produziert wird; die Serie „Ruhrpottschnauzen“ des ZDF und vergleichbare Formate, die auch heute noch laufen, sind gute Gegenbeispiele. Allerdings werden kritische Stimmen oft zur besten Sendezeit über den Äther geschickt und enthalten wenige Informationen aus erster Hand. Bezogen auf Zoos wird immer öfter über sie gesprochen als mit ihnen. Wenn ich tatsächlich den Willen habe, die Zuschauer mit einer Sendung zu informieren, dann stecke ich entsprechendes Engagement auch in die Recherche über ein Thema. Dass dies zuletzt relativ selten geschehen ist, zeigen folgende Beispiele:

n-tv berichtete am 14.10.2015 über einen Vorfall in Calais, als Flüchtlinge in einen LKW kletterten, um unbemerkt nach Großbritannien zu gelangen. Im entsprechenden Artikel zu dieser Meldung heißt es außerdem:
„Auch der Eisbär namens Nissan war auf der Reise in ein besseres Leben: Ein Zoo in Südengland hatte das verwahrloste Tier in einem Zoo in Moskau gekauft […].“
Allein diese zwei Sätze machten mich persönlich stutzig. Zunächst ist es so, dass der Zoo in Moskau Mitglied der WAZA (World Association of Zoos and Aquariums) ist und damit eigentlich den Richtlinien des Weltverbands folgt. Dass diese Vorgaben zwingend sind, um Mitglied im Verband zu bleiben, zeigt die jüngste Vergangenheit:
Aufgrund anhaltender Treibjagden auf Delfine in Japan drohte die WAZA dem japanischen Nationalverband JAZA mit dem Ausschluss aus dem Weltverband, sofern man an den Jagden bzw. den beteiligten Mitglied-Zoos festhalten würde. Im Rahmen dieser Jagden werden auch immer wieder Tiere gefangen und in das Taiji Whale Museum verbracht, das bis vor Kurzem noch Mitglied-Zoo der JAZA war. Mittlerweile wurde dieses aufgrund der Verstöße gegen die Mitgliedsbestimmungen ausgeschlossen.
Das bedeutet, dass jeder Zoo, der Mitglied der WAZA und entsprechenden Kontinental- bzw. Nationalverbänden ist, die Bestimmungen zu akzeptieren und umzusetzen hat. Die Haltungsbedingungen in Mitglied-Zoos sind im Idealfall identisch und der Transport von Nissan dem Eisbären somit ein vollkommen üblicher Schritt. Es ist also zu bezweifeln, dass Eisbär Nissan tatsächlich in einem verwahrlosten Zustand war.
Darüber hinaus – und das ist nach wie vor ein weit verbreiteter Mythos, der aus vergangenen Zeiten übriggeblieben ist – werden Tiere nicht gekauft, wie es im Artikel konstatiert wird. Würden Zoo so verfahren, wären das sehr eigenartige Zoos. Zoos handeln nicht mit ihren Tieren. Sie pflegen sie. Es gibt für viele Arten einen Zuchtkoordinator, der vereinfacht formuliert die Singlebörse einer Tierart verwaltet. Das bedeutet im Klartext, dass jedes neugeborene Tier dieser Art in eine Liste eingetragen wird, um später von zentraler Stelle aus weitervermittelt zu werden. Zoos können allein schon wegen der Inzuchtgefahr nicht alle ihre Tiere behalten und glücklicherweise gibt es seit einigen Jahrzehnten diese Institution. Somit wird auch vermieden, dass jeder Zoo sein eigenes Ding durchzieht.
Da Zoos heute oftmals öffentliche Einrichtungen sind und nicht über große Geldreserven verfügen, ist der Kauf eines Tieres allein deshalb schon nicht möglich. Außerdem ist schon der allgemeine Handel mit Tieren durch das Washingtoner Artenschutzabkommen stark reglementiert. Das sah früher etwas anders aus. Duisburg koordiniert übrigens europaweit die Zucht der Koalas. Weltweit ist der San Diego Zoo für die Haltung verantwortlich, der deshalb wöchentlich das Gewicht aller Duisburger Koalas übermittelt bekommen möchte. Es sind also nicht nur die Verbände, die als Kontrollorgan agieren, auch einzelne Zoos handeln als eine solche Instanz. Und das ist auch gut so. Durch die anhaltenden Zuchterfolge ist Duisburg der weltweite Zuchtkoordinator für die Fossas und Bärenstummelaffen und kümmert sich in Europa neben den Koalas um die Pinselohrschweine.
Mit dem Hintergrundwissen stellt sich die Frage, auf welche Quellen sich n-tv in dem Artikel stützt. Denn was dort geschrieben steht, entspricht faktisch nicht der Wahrheit. Woher kommen also derartige Aussagen?
Das lässt sich garantiert nicht allgemein beantworten, aber in bestimmten Zusammenhängen fällt auf, dass die immergleichen Formulierungen verwendet werden.
Ein solcher Zusammenhang ist die Haltung von Delfinen, auf die ich eigentlich gar nicht so genau eingehen möchte. Besonders in den vergangenen knapp drei Jahren wurden der Öffentlichkeit dermaßen viele Informationen zur Verfügung gestellt, dass es kaum möglich ist, falsche Meldungen zu verbreiten. Trotzdem wird es gemacht, wie man zuletzt bei RTL beobachten konnte, wo die Haltung in Nürnberg im Rahmen der Show „Mario Barth deckt auf“ thematisiert wurde. Die Sendung befasst sich eigentlich mit Steuerverschwendungen, denen auf den Grund gegangen wird. Die 2011 eröffnete Delfinlagune wurde schon zur Bauzeit von Protesten begleitet, was meiner Meinung nach auch jedem freisteht. Wer berechtigte Zweifel hegt, dass eine Tierhaltung nicht in Ordnung wäre, der soll diese Zweifel auch zum Ausdruck bringen dürfen und begründen. Jeder Zoo ist froh über Kritik, denn nur dadurch können Gehege verbessert werden. Doch die Kritik muss konstruktiv bleiben und auf Fakten basieren, was nur noch selten geschieht. Hier einige typische Aussagen, die auch im RTL-Bericht getroffen wurden, mit relevanten Hintergrundinformationen:
„Delfine schwimmen täglich bis zu 100 km weit und können über 300 m tief tauchen.“
Das ist eine sehr allgemeine Aussage, weil Delfin nicht gleich Delfin ist. Die in Duisburg und Nürnberg gehaltene Form der Großen Tümmler bevorzugt Küstenregionen und kann derartige Tiefen allein dadurch, dass es nunmal flache Gewässer sind, auch in der freien Wildbahn gar nicht erreichen.
Dass Tümmler (um bei dieser Art zu bleiben) 100 km am Tag zurücklegen, ist nicht falsch, aber auch nicht bedingungslos zutreffend. Warum sollte ein Delfin bei ausreichendem Nahrungsangebot mehr Aufwand betreiben als notwendig? Das macht eigentlich kein Tier, weil das ausschlaggebend wäre für eine negative oder positive Energiebilanz. Davon abgesehen wurde gerade erst eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, in der einige Tage Videoaufnahmen von Delfin Daisy und ihrem Jungtier Darwin aus Duisburg ausgewertet wurden. Dabei stellte sich heraus, dass Daisy an manchen Tagen ebenfalls über 100 km zurücklegte. Und das, obwohl ihr nicht beide Delfinarienkomplexe zur Verfügung standen (hinter den Kulissen befinden sich, wie im für Besucher sichtbaren Teil, ebenfalls drei Beckenbereiche).
„Das Ortungssystem der Delfine verkümmert in Delfinarien, weil das Echo der eigenen Töne durch die Betonwände reflektiert wird und die Tiere deshalb verstummen.“
Das ist nachweislich falsch, was jeder Besucher täglich beobachten kann. Delfinbulle Ivo bekommt beispielsweise Augenklappen aufgesetzt, um blind einen im Becken versenkten Gummifisch zurückzubringen. Da er es schafft, kann die Aussage oben nicht richtig sein.
„Delfine werden dauerhaft mit Psychopharmaka behandelt.“
Dieser Vorwurf hält sich hartnäckig und wurde auch in der von RTL ausgestrahlten Sendung bemüht. Es klingt auch zunächst mal etwas befremdlich, wenn man hört, dass Tiere mit Diazepam „behandelt“ werden. Der für viele naheliegende und auch durch die Presse oft kommunizierte Trugschluss lautet: „So werden die Tiere also gefügig gemacht.“ Und das ist nicht richtig. Die bspw. im RTL-Beitrag ca. drei Sekunden lang eingeblendete Liste über Medikamentengaben ist a) keine offizielle und sagt b) nichts über die verschiedenen Wirkweisen des Mittels aus. Wenn Tiere nicht fressen, weil sie zum Beispiel gesundheitlich angeschlagen sind, wird es zum Beispiel als Appetitanreger verwendet. Dabei spielt die Dosierung auch eine wichtige Rolle. Die meisten Medikamente, die wir Menschen zu uns nehmen, wären in bei übermäßiger Dosierung mindestens giftig bis tödlich. Je nach Dosierung löst Morphium nicht bloß schmerzhemmend, sondern kann Euphoriezustände auslösen. Dass auch Diazepam dosierungsabhängige Wirkungweisen hat, wird im Beitrag aber nicht erklärt.
Diese Punkte wurden in einer Sendung thematisiert, in der es, wie schon gesagt, eigentlich um Steuerverschwendungen gehen sollte. Dieser Aspekt wurde relativ kurz abgehandelt, indem zu Beginn des Beitrags davon berichtet wurde, dass der Ausbau des Delfinariums 30.000.000 € an Steuergeldern verschlungen hat. Da in den vergangenen Jahren Salzwasser ausgetreten ist, muss nun nachgebessert werden, was mit weiteren Kosten verbunden ist.
Tatsächlich wurden bloß ca. 11% der Kosten mit öffentlichen Mitteln abgedeckt. Das wurde im Beitrag nicht erwähnt, obwohl das öffentlich zugängliche Informationen sind. Ebenso wie der Umstand, dass die Folgekosten durch den Baufehler nicht durch öffentliche Mittel übernommen werden müssen. Ein Gespräch mit Nürnbergs Bürgermeister Christian Vogel hätte für Aufklärung gesorgt, wenn sich RTL nach Vogels Bitte, sachliche Fragen zu stellen, nicht zurückgezogen hätte.
Grundsätzlich scheint es vielen Medien lästig, Fachleute zu konsultieren und mit Fakten zu arbeiten. Ganz aktuell wartet der Stern mit einem Artikel über Medikamentenmissbrauch ins Zoos auf, auf dessen Grundlage die Rheinische Post einen ebenso wenig differenzierten Text veröffentlichte. Die darauf folgende Stellungnahme von Kerstin Ternes, der Tierärztin im Zoo Duisburg, verdeutlicht (wieder einmal), dass derjenige, der tatsächlich etwas Substanzielles hätte beitragen können, nicht zu Rate gezogen wurde (bei Facebook nachlesbar). Tierärztin Dr. Katrin Baumgartner vom Tiergarten Nürnberg kam bei RTL übrigens ebenfalls nicht zu Wort; stattdessen ein Arzt mit keinerlei Erfahrung in Bezug auf Meeressäuger.
Es fällt auf, dass sich die Medien oftmals auf ein bestimmtes Ereignis stürzen, während sie zuvor über Jahre und Jahrzehnte keinerlei Interesse an vermeintlich nicht nennenswerten Ereignissen gezeigt haben. Der Tod eines Tieres hat meistens einen medialen Aufschrei zur Folge. Wenn es denn eine relevante Tierart ist. Niemand interessiert sich dafür, dass in der Woche, als in Duisburg das eine Woche alte Delfinkalb gestorben ist, im selben Zoo ein Tapir eingeschläfert werden musste. Niemand interessierte sich mehr für die drei Delfinjungtiere Darwin, Diego und Dörte von 2011, die zum Teil in zweiter Generation in Duisburg geboren wurden. Niemand interessierte sich mehr für Dolly und Donna, die 2007 in Duisburg zur Welt kamen und mittlerweile in Nürnberg leben. Niemand interessierte sich dafür, dass über 50 Orang Utans in Duisburg geboren wurden. Niemand interessierte sich für eine Spendenübergabe des Zoos an eine Artenschutzorganisation, die im Freiland tätig ist.
Dem gegenüber stehen irgendwelche Onlinepetitionen der üblichen Tierrechtsorganisationen, die eine Woche lang gehypt werden, um anschließend – wie so viele virtuelle Aktionen – im Nirgendwo zu verschwinden. Und während die Anhänger ebendieser Organisationen vor dem Zoo Duisburg aufgrund von falschen Tatsachenbehauptungen für die Freilassung aller Tiere plädieren, werden im Zoo Spenden gesammelt, um die Bedingungen für eine erfolgversprechende Wiederansiedlung von Tierarten in ihrem ursprünglichen Lebensraum überhaupt erst wieder möglich zu machen.
Für alles, was der Zoo macht und vorhat, wird eine Pressemitteilung herausgegeben. Die Resonanz hält sich Grenzen, wenn es nicht um den Tod eines Tieres geht. Und oft gehen solche Meldungen mit der immerselben Kritik an Zoos einher, die den Vorfall als Zeichen mangelhafter Haltungsbedingungen deuten. Dass es der Lauf der Dinge ist, dass Tiere sterben, ist für uns Menschen mit unserer relativ hohen Lebenserwartung nicht mehr nachzuvollziehen. Dass menschliche „Jungtiere“ meistens durchkommen, setzen wir als Standard für andere Arten fest. Das wird der Realität allerdings nicht gerecht; übrigens nicht einmal bei unseren Haustieren, bei denen wir paradoxerweise keinerlei Probleme haben, sie zum Tierarzt zu bringen, wenn sie krank sind, um sie dort auch medikamentös behandeln zu lassen.
Und um mal kurz den Bezug zu meinem Studienfach herzustellen: Johann Wolfgang von Goethe hatte fünf Kinder. Alle starben noch vor ihrem Vater.
Und dass wir Menschen heute überhaupt ein relativ hohes Durchschnittsalter aufweisen können, ist eine Entwicklung der vergangenen 60 Jahre.
Natürlich sterben Tiere in Zoos. Es sterben aber auch Menschen; beispielsweise in Krankenhäusern und Altenheimen. Das sagt allerdings mehr über den Lauf des Lebens aus, als über die Qualität eines Krankenhauses oder Altenheims.
Es ist leicht, Fehlinformationen zu verbreiten, wenn das, was in derartigen Berichten und Artikeln zu sehen und lesen ist, plausibel klingt. Die Diskussion wird leider auf eine sehr emotionale Ebene gezogen, auf der Fakten irgendwann kein Gewicht mehr haben. Und wenn alles gesagt ist, kommt das endgültige Argument:
„Am besten sollte man alle Zoomitarbeiter zur Belustigung der Tiere mal in Käfige sperren. Dann sehen die mal, wie das ist.“
Dagegen kommt man mit Tatsachen nicht an. Und zum Ärger aller Tierpfleger und Zoologen, die sich tagtäglich den Allerwertesten aufreißen, damit es ihren Schützlingen gut geht, springen die Medien auf solche emotionalen Themen wie „Tod“ stark an. Das, was jeden Tag und auch nach Feierabend – den viele Tierpfleger nicht kennen – mit viel Aufwand geleistet wird, ziehen andere durch die schnelle Recherche in parteiischen Quellen mit wenig Tiefgang und Fachkenntnis in den Dreck. Das scheint ein generelles Problem der Presselandschaft zu sein. Skandale lauern überall. Man muss nur fest genug daran glauben und entsprechende Parolen wiederholen.

Ich hatte es im ersten Teil schon geschrieben: Unser Verhältnis zur Natur allgemein und zu verschiedenen Tierarten ist ein paradoxes. Das eine Tier scheint mehr wert zu sein als ein anderes. Wer grundsätzlich gegen Tiere in Menschenobhut ist, dessen Haltung respektiere ich und würde nicht dagegen argumentieren, auch wenn es gewisse Maßnahmen erfordert, um bestimmte Tierarten zu bewahren. Nur: wer es für nötig hält, auf Lügen zurückzugreifen, um die eigene Meinung zu legitimieren, den kann ich nicht ernstnehmen. Es könnte mir egal sein, wenn manche Medien nicht diese große Reichweite hätten und damit die ohnehin schon polemische Stimmung gegen Zoos befeuern würden.
Und ich frage mich noch immer, auf welcher Grundlage n-tv wie selbstverständlich von „kaufen“ schreiben kann. Vielleicht hat es schon gereicht, dass es ein russischer Zoo war, der den Eisbären Nissan abgegeben hat. Vielleicht gehen viele davon aus, dass russische Zoos generell verarmt und heruntergekommen sind. Vielleicht wäre es aber auch grundsätzlich von Massenmedien zu erwarten, dass sie mehr als nur Vermutungen in ihre Berichte einfließen lassen. Denn die Möglichkeiten, sich umfassend und in beide Richtungen des Spektrums „pro/contra“ zu informieren, sind durchaus vorhanden. Man muss sie nur nutzen wollen.
Beitragsbild: http://www.rp-online.de