Der Titel stammt aus dem Kopf der Frau, die in unserer Wohnung lebt. In einer mündlichen Prüfung, die von einem Seminar mit verwandtem Thema handeln sollte, war ihre Antwort auf die Frage des Dozenten, was wir mit dem Seminar erreichen wollten:
„Wir wollten alle Klarheiten beseitigen.“
Kann man mal machen. Hat funktioniert. Aber das nur zur Vorbeugung eventueller Plagiatsvorwürfe. Die Quelle ist nun bekannt und hoffentlich damit einverstanden, dass ich die Formulierung entfremdet und verwendet habe.
Kommen wir nun zum Eingemachten. Das dürfte in der Regel Marmelade sein. Über Marmelade kann ich leider wenig schreiben. Dann ist der Artikel hier wohl schon zuende. Tut mir leid. Konnte ja keiner ahnen, dass das hier so einen Verlauf nehmen würde. Tschüss!
Ok, ausnahmsweise.
Aus irgendeinem Grund scheine ich im Schreiben dieses Sammelsuriums an Gedanken und Nichtigkeiten einem gewissen Rhythmus zu folgen. Auf ernsthafte Artikel folgen urplötzlich etwas unterhaltsamere. Das finde ich zumindest. Wer das anders sieht, der kann die Kommentarfunktion gerne strapazieren und mich wüst beschimpfen, warum ich denn nur ernste Artikel verfasse. Weil es neuesten Umfragen zufolge (Stand: 07.11.2015, 12:34) allerdings deutlich zu werden scheint, dass ich das anders sehe, kommen wir da wohl auf keinen grünen Zweig. Verwirrend. Vielleicht starte ich eine Umfrage…morgen vielleicht.
Wie dem auch sei. Ich sitze hier und denke darüber nach, was ich mit diesem Blog eigentlich machen möchte, wohin die Reise geht und ob es nicht ratsam wäre, sich auf eine Kategorie (unterhaltsam oder ernst) festzulegen. Denn irgendwie pendelt das alles hier zwischen diesen beiden Polen hin und her. Andererseits bin ich immer versucht, dem Ernsten eine Nuance Leichtigkeit und dem Unterhaltsamen die Idee Ernsthaftigkeit zu verleihen. Klappt nicht immer. Das hier ist das beste Beispiel, denn dieser Artikel ist einfach nur traurig und befasst sich mit den Abgründen eines Tieres, dem man nur mit großer Anstrengung positive Eigenschaften nachsagen kann.
Und wie ich hier gerade Buchstaben sortiere und nach gängigen Konventionen in den Bildschirm meißele, lande ich wie so oft bei der Frage danach, ob man zwei vermeintlich entgegengesetzte Begriffe tatsächlich so streng voneinander trennen kann. Das Paradebeispiel ist das Gegensatzpaar „Natur/Kultur“. Und jetzt geht’s los!
Jeder wird wahrscheinlich zustimmen, dass die Natur das Ursprüngliche ist, dem wir Menschen uns mehr oder weniger entzogen haben, um eine kulturell geprägte Gesellschaft zu bilden. Soweit ist das wenig innovativ. Allerdings ist das eine sehr schwammige Aussage, weil es Beispiele gibt, die man nicht eindeutig zuordnen kann.
Da wäre zum einen das Gedankenspiel von sex und gender. Es soll hier nicht um die doch oftmals nervtötende Genderdiskussion gehen. Die habe ich woanders schon angerissen. An diesem Beispiel kann die Konstruiertheit von vermeintlichen Tatsachen gut veranschaulicht werden. Sex ist das anatomische Geschlecht, also was man am lebenden Objekt zwischen den Beinen bewundern kann. Gender ist die scheinbar logische Ableitung von dem, was wir eben unterm Rock tragen; die von uns als Kultur getätigte Interpretation. Allerdings stellt sich hier schon die Frage, ob wir nicht dadurch, dass wir ein optisches Phänomen als das Eine oder das Andere deuten, schon massiv in das Verständnis von dem reinfunken, was wir überhaupt sehen. Was wäre, wenn es eigentlich noch Kategorien dazwischen gäbe, die wir aber durch den Drang, dass wir alles strukturieren müssen, unter den Tisch fallen lassen? Dadurch wird die Feststellung des Geschlechts nach der Geburt – sex – eher zu einer Ernennung. In Linguistenkreisen nennt sich das performativer Sprachakt. Es wirkt zwar so, als würde ich etwas beschreiben, aber tatsächlich schaffe ich durch die sprachliche Äußerung erst Realität. (Ähnlich übrigens beim Ritterschlag oder Hochzeiten. Man wird zu etwas erklärt und erst von da an ist man es tatsächlich. Man muss auch erstmal einen offiziellen Wisch in den Händen halten, dass man einen bestimmten Abschluss hat, um Absolvent zu sein.) Unterm Strich bleibt die Erkenntnis, dass wir wegen der zwei Kategorien, die wir uns zur Ernennung des Geschlechts ausgesucht haben, gar nicht mehr unvorbelastet beurteilen können, welches anatomische Geschlecht jemand hat.
Das ist alles nicht neu und wird seit Jahrzehnten schon diskutiert, aber ich finde diese Differenz zwischen dem, was Tatsache und was Interpretation ist, ziemlich interessant.
Und dass unsere Beschreibungen bei aller Genauigkeit noch fehlerhaft sind, zeigt ein erneuter Ausflug in die Linguistik:
Die Merkmalsemantik gibt sich große Mühe, Dinge anhand von Merkmalen zu beschreiben. Demnach ist eine große vierbeinige Katze mit schwarz-orangen Streifen, die Fleisch frisst und in Asien lebt, wohl eindeutig ein Tiger. Die Merkmalsemantik würde also einen dreibeinigen (weil amputiert), albinoiden und vegetarisch lebenden Tiger, der sich nach Europa verirrt hat, nicht als solchen definieren können. Deshalb gibt es die Prototypensemantik, die nicht alle Merkmale berücksichtigt, sondern nur anhand von kategorischer Zugehörigkeit definiert.
Dadurch werden extem pauschalisierende Aussagen getroffen, weshalb wir das Eigentliche gar nicht mehr genau beschreiben können. Sprache funktioniert nunmal in Kategorien. Zum Glück, denn sonst gäbe es keine Bedeutung. Allerdings ist diese Bedeutung keine genuin natürliche, sondern eine gesellschaftliche Interpetation.
Anderes Beispiel: Jeder würde zustimmen, wenn ihm gesagt würde, dass der Instinkt etwas Urnatürliches ist. Wenn man nun aber anmerkt, dass der Begriff Instinkt nur all das zusammenfasst, was wir aus unserem menschlichen Wissensstand heraus nicht erklären können, bleibt auch hier nur die Erkenntnis, dass uns Menschen die wahre Bedeutung von Instinkten nicht zugänglich ist.
Und wenn man diesen Gedanken weiterführt, landet man irgendwann an einem Punkt, an dem man diese beiden Pole in Frage stellen muss. Wir Menschen verfügen über verschiedene Kulturtechniken, können Häuser bauen und mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln unsere Umwelt verändern. Das scheint Kultur zu sein. Die Natur scheint das nicht zu können. Tiere unterliegen ihren natürlichen Grenzen und sind von natürlichen Zuständen abhängig. Wir Menschen sehen uns nicht mehr als Tiere, weil wir einfach weiter entwickelt sind. Zumindest denken wir das. Dass sich ein männlicher Löwe, der in seinem Revier an jeden Baum puschert, damit es fein nach seinem Urin riecht, ebenfalls einer Kulturtechnik bedient, nehmen wir nicht wahr. Denn wo ist der Unterschied zwischen dem Errichten einer Wand, die jemandem sagt, dass hier schon jemand wohnt, und einem Geruch, der dasselbe signalisiert?
Oder andersherum: Dass wir Menschen Werkzeuge herstellen, mit diesen Werkzeugen Häuser bauen, Rohstoffe abbauen, jagen gehen, dass wir strategisch denken…ist das Kultur? Oder ist das vielleicht exakt dasselbe, was Elstern machen, wenn sie einen Stock als Werkzeug benutzen? Auch wir Menschen handeln nur in dem uns gesetzten Rahmen. Den können wir zwar erweitern, aber nur soweit, wie es die nächste Grenze zulässt. Wir haben vielleicht die Möglichkeit, um einige Ecken mehr zu denken, als es andere Lebewesen tun, aber das kann nicht als Abhebung von der Natur verstanden werden.
Vielleicht kommt man mit diesen Gedanken an keinen Punkt, der Aufklärung verspricht und vielleicht wird mit solchen Überlegungen kein Preis gewonnen. Ich finde es allerdings wichtig, mir über solche Zusammenhänge Gedanken zu machen. Denn natürlich (Ha! Da ist es schon wieder!) gibt es Unterschiede auf der Welt. Ob die nun anatomische Geschlechter betreffen, unser Verhältnis zur Natur – übrigens zeigt unser modernes und romantisch verklärtes Bild von Natur ziemlich deutlich, dass auch unser Naturverständnis in hohem Maße konstruiert ist – oder unterschiedliche Hautfarben. Nur was diese Unterschiede bedeuten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wenn wir also noch nicht mal klar definieren können, was Natur und Kultur eigentlich sind, wie können wir uns dann ernsthaft hinstellen und daraus Schlüsse ziehen?
Ein ganz aktuelles Beispiel:
Da stellen sich Menschen hin und protestieren dagegen, dass andere Menschen kommen. Ok. Revierverhalten. Aber wenn man mal darüber nachdenkt, was zum Anlass für diese Proteste genommen wird (und hier muss es nicht nur um Flüchtlinge gehen; vor 70 Jahren waren es benachbarte Nationalitäten), wird es beinahe kurios:
Es wurden auf einer Landkarte Grenzen gezogen, die man in der Realität oftmals nicht einmal sehen kann. Und nur, weil wir hier stehen und andere ein paar Meter weiter, geht man davon aus, dass die da drüben anders sind als wir? Ist das deren Grundlage der Argumentation? Eine menschengemachte, nicht natürliche Grenze, hinter der Menschen genauso aussehen wie diesseits davon? Dasselbe lässt sich übrigens auf einen männlichen Löwen übertragen, der einen anderen Löwen innerhalb seines Reviers attackiert. Außerhalb der Grenzen ist der uninteressant, aber wehe er kommt rein. Verhalten wir Menschen uns nun natürlich oder unterliegt der Löwe kulturellen „Zwängen“?
Es gibt keine Antwort darauf, was Natur und Kultur ist, weil beide Punkte in den jeweils anderen wirken und je nach Kulturkreis auch das Verständnis von Natur variiert. Und wenn es irgendwann wie in den Terminatorfilmen soweit gekommen sein sollte, dass Maschinen diese Welt beherrschen: Wer sagt denn, dass das nicht ein denkbarer Auswuchs von Natur sein kann?
Ein Küken kämpft sich mit Hilfe seines Schnabels aus dem Ei. Ist das schon Kultur?
Ein Affe klettert auf einem Baum, um dort zu schlafen. Ist das schon Kultur?
Ein anderer Affe bricht einen Stock ab, um sich zu kratzen. Ist das schon Kultur?
Ein Fisch bewohnt eine Seeanemone. Ist das schon Kultur?
Haie halten sich in der Nähe eines Riffs auf, weil dort auch viele Fische sind. Ist das schon Kultur?
Ein Mensch schafft es, zufällig Feuer zu machen. Ist das schon Kultur oder noch Natur?
Ein anderer Mensch benutzt das Feuer, um einen rötlichen Stein zu schmelzen? Ist das noch Natur?
Dieser Mensch merkt, dass er aus diesem harten Zeug Werkzeug bauen kann. Ist das noch Natur?
Andere Menschen bauen aus diesem harten Zeug große Gebäude, in denen Autos hergestellt werden. Ist das noch Natur?
Wir setzen uns in Autos und überbrücken große Distanzen an Land. Ist das noch Natur?
Andere Tiere nutzen Treibholz und überbrücken große Distanzen zu Wasser. Ist das schon Kultur?
Wo ist der Unterschied?
Gerade letzte Woche ging es in einer Vorlesung um das Zwei- Welten- Modell von Simmel (Kultur und Sein) und Michail Bachtin, der das ganze kritisiert hat. Kultur ist laut Bachtin etwas, was dem Menschen Sicherheit gibt. Aber auch etwas, was man als Rechtfertigung für etwas missbrauchen kann, was nicht in Ordnung ist. Was, wie ich finde, auch stimmt, den oft werden Dinge wie Beschneidungen, Kleidung, Zwangsheirat, etc… mit der Kultur der Beteiligten begründet.
Tatsache ist aber auch, dass Kultur viel mit Identität zu tun hat. Zu meiner Identität gehört es, dass ich Deutschschweizerin und mit den entsprechenden Werten und Vorstellungen aufgewachsen bin. Auch wenn ich nicht patriotisch bin, so bin ich doch ein Teil dieser Gruppe, genauso wie ich zur Gruppe der Blogger und zur Gruppe der Studenten gehöre. Diese Gruppen sind sozusagen meine „Rudel“, auch wenn ich im Gegensatz zu Wölfen oder Vögeln zu mehreren Gruppen gehöre. Vielleicht pochen Menschen so sehr auf den Unterschied zwischen „Kultur“ und „Natur“, um sich von Flora und Fauna abzugrenzen? Denn grundsätzlich wird Tieren ja abgesprochen, etwas wie Kultur zu haben. Wenn Wellensittiche gepflegt miteinander plaudern, ist das per Definition ein Bedürfnis nach Gesellschaft, das sie befriedigen. Wenn zwei Menschen gepflegt miteinander plaudern, ist das unter anderem ein Zeichen von Kultur. Da interessiert es niemanden, dass Wellensittiche in freier Wildbahn riesige Schwärme bilden und sehr soziale Tiere sind. Das interessiert dann höchsten den Tierschutz, der (glücklicherweise) sein Bestes dafür gibt, dass die Vögel nicht alleine in einem winzigen Käfig gehalten werden.
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