Der neongelbe Ninja – Langeweile, Ablenkung und körpereigene Psychedelika

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Folgender Beitrag liegt nun seit mehreren Monaten in meiner virtuellen Schublade und wurde dennoch nicht veröffentlicht. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, weil ich manchmal äußert vergesslich bin. Vielleicht waren andere Beiträge dringlicher oder ich habe ihn einfach vergessen, was wahrscheinlicher ist. Weil ich voller Vorfreude den heutigen Tag herbeigesehnt habe –  ich werde heute nach viel zu langer Zeit wieder laufen gehen – wird der Beitrag heute veröffentlicht. Das Band im Knie ist verheilt, neue Schuhe zieren die Füße und alles in allem kann mein Orthopäde durch mich wohl seinen Urlaub buchen. Ich helfe gern.
Weil es die Statik des Textes empfindlich stören würde, verzichte ich darauf, solche Stellen abzuändern, die vom „letzten Lauf vor xy Tagen“ berichten. Mein letzter Lauf ist tatsächlich mittlerweile fast anderthalb Monate her, was mich zeitweise wirklich deprimiert hat. Das kann wohl kaum jemand nachvollziehen, der nicht regelmäßig läuft. Mich hingegen hat diese viel zu lange Durststrecke stimmungsmäßig manchmal enorm runtergezogen, zumal mein vorerst letzter Lauf vor der Pause der erste war, den ich aufgrund meiner Beschwerden abbrechen musste. Nichts ist unbefriedigender als das Wissen, dass man trotz guter Kondition und prinzipiell guter Form wochenlang pausieren muss. Das hat heute ein Ende. Endlich wieder Langeweile!


Manchmal noch schlimmer als der innere Hybrid aus Hund und Schwein ist in meinen Augen die Langeweile, die sich manchmal während des Laufens einstellt. Der Nachteil einer Wohnung in der Stadt ist die Tatsache, dass man irgendwann ziemlich genau weiß, dass auf diesen Pflasterstein mit dem pinken Kaugummi jener mit dem Taubenschiss von gestern folgt. Das kann relativ schnell zu einer zähen Angelegenheit werden, wenn man sich nicht zufällig schon auf der Zielgeraden befindet. Dann ist man froh um jede bekannte Stelle, die einem versichert:

„Deine Zeit ist heute wieder völlig für die Tonne, aber immerhin hast du es gleich geschafft, du faules Stück!“ 

Und manchmal verkünden diese Stellen das genaue Gegenteil. Nämlich, dass man es noch nicht weit geschafft hat. Wenn man nicht zufällig das Glück hat, direkt zu Beginn des Laufs vom mysteriösen Runners-High heimgesucht zu werden, das einen wie auf Sänften durch die folgenden Kilometer trägt, muss man sich eben irgendwie beschäftigen. Eine zeitlang habe ich es damit versucht, Matheaufgaben im Kopf zu lösen, was bei meiner Vorgeschichte in diesem Fach eine selten dämliche Strategie ist. Denn seit es um Ableitungen und Integrale ging, war Mathe für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Mittlerweile habe ich erkannt, dass es nicht die allgemein beklagte fehlende Alltagstauglichkeit von Mathematik war, die mich ins Abseits gestellt hat. Ganz im Gegenteil. Es war und ist vielmehr das Tatsache, dass Mathe so konkret ist (nichts beschreibt die Welt treffender als irgendwelche Formeln), dass ich sie mit meinem auf Schwurbel und Interpretation ausgerichteten Hirn nicht verstanden habe.

Ebenfalls nervig und auf Dauer ziemlich zermürbend ist ein Ohrwurm, der sich wie ein Virus auf den Atemrhythmus legt, weshalb man ihn lange nicht loswerden kann. Über ein ähnliches Phänomen hatte ich in „Die Mauer muss weg“ schonmal geschrieben, was bei einer relativ kurzen Strecke von (es waren glaube ich) fünf Kilometern nach einer halben Stunde wieder erledigt ist.

Da ich seit neuestem aber der Selbstgeißelung verfallen bin, weil ich gewillt bin, in diesem Jahr eventuell erstmals einen offiziellen Halbmarathon heimzusuchen, sind meine Läufe ein wenig umfangreicher geworden.

An dieser Stelle muss ich übrigens mal ganz dezent Dank loswerden. Ich weiß nicht, ob es ein Wink mit dem Zaunpfahl sein sollte, mich endlich mehr zu bewegen, oder als passendes Geschenk gedacht war, weil ich „immer mal wieder“ laufen gegangen bin. Aber mit den neongelben Laufsachen zu meinem Geburtstag hat mir meine Mutter den nötigen Anschub gegeben, das Laufen überhaupt erst wieder anzufangen. Desweiteren hat mich ein gewisser Moderator mit seiner Definition dessen, was ein Läufer und was ein Jogger ist, bei den Eiern gepackt. Und weil ich ohnehin mehr tun wollte und die Waage schon wieder die unangenehme 8 am Anfang einer zweistelligen Zahl anzeigte, konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen. Seitdem sind 3,5 kg runter und aus der 8 ist eine 7 geworden. Jetzt brauche ich neue Hosen und neue Laufschuhe, aber das war ein anderes Thema

Aktuell laufe ich 16 km-Strecken, was zwangsläufig das Risiko der Monotonie erhöht. Und das führte unter anderem gestern dazu, dass ich über anderthalb Stunden Tarkans „Kiss Kiss“ im Ohr hatte. Nicht, dass ich das Lied sonderlich gut fände. Es passt dummerweise hervorragend zum Atemrhythmus.

Die eigene Phantasie schafft Abhilfe!

Anstatt sich beim Laufen nur auf den Boden zu konzentrieren, kann es hilfreich sein, sich einfach mal umzuschauen oder umzuhören. Das geht bei schlechtem Wetter beinahe zwangsläufig mit nassen Füßen einher, weil man selbstbewusst jede Pfütze trifft, aber die werden auch wieder warm. Die Füße. Dafür kommt man in den Genuss von Gesprächen seiner Mitmenschen.
So wie vorige Woche, als ich an einer Stelle im Volksgarten des hiesigen Düsseldorfes vorbeikam, an der sich so mancher Freund des Alkohols zur frühen Stunde bereits mit Gleichgesinnten trifft, um in Joggingbuchse über sein Leben zu reflektieren. Das ist willkommener Stoff, um vielleicht für ein paar hundert Meter der Langeweile zu entfliehen. An diesem Abschnitt meiner Laufstrecke bin ich längst im Rhythmus und wenn es wie geschmiert läuft (haha!), gibt es keine Anstrengung, die ablenken könnte. Da gibt einem der dahergelallte Dialog

„Mir egal, wat der Plan ist! Wenn Gott meint, dat er mich heute, in drei Monaten oder in ’n paar Jahren holt…ja, wat meinste, wat ich sach?!“

„Jaja. Is‘ latte, ne.“

„Voll, Alter!“

neues Futter zum Nachdenken. Keine Ahnung, ob das nun eine außerordentlich nüchterne Sicht auf das eigene Leben ist oder ob mir da vielleicht auch einfach Informationen fehlen, um diese denkwürdigen Worte vollständig zu verstehen. Vielleicht ist der Typ ja krank. Aber unabhängig davon ist es tatsächlich „latte“. Zumindest für denjenigen, der stirbt, weil er ja nichts mehr von dem danach mitbekommt. Und während ich über den Wortwitz des Zusammenspiels von Alkoholikern und dem nüchternen Blick aufs Lebens sinniere, kommen mir zwei Läufer entgegen, die nicht zurückgrüßen. Ich werde ihnen, sollten sie mir noch einmal entgegenkommen, einen herzlichen Gruß ins Ohr kreischen. Aber jetzt gerade ist keine Zeit, mich darüber zu ärgern, denn ich muss am Finanzamt vorbeilaufen und dabei verächtliche Blicke in dessen Richtung werfen. Es funktioniert. Ich überlege mir noch, was genau funktioniert, aber das tut es auf jeden Fall. Auch darüber kann man lange nachdenken.

Irgendwann rutschen die Gedanken ins Phantastische ab, was sich vor allem dann äußert, wenn man keiner Menschenseele begegnet und man mit sich und der Laufstrecke allein ist. Wenn ich mal den Rheindeich entlanglaufe, habe ich mir angewöhnt, jeden Pöller abzuklatschen, an dem ich vorbeilaufe. Das ist im Grunde eine Art, den Fortschritt des Laufs zu protokollieren. In regelmäßigen Abständen tauchen die rot-weißen Dinger auf und wenn ich einen passiere, dann ist ein weiterer Abschnitt geschafft. Außerdem feuern die mich an, was nett ist und weshalb ich mich bei ihnen bedanke. In Gedanken. Denn auf den Bänken entlang des Rheinufers lungern häufiger Renter mit aufgemotzten Rollatoren herum, die mich eventuell auslachen könnten; wenn nicht sogar verprügeln. Mit ihren Rollatoren oder mit aus dem Rhein geangelten Robben. Man kennt das.

Was stark motiviert, sind die Klärwerke, an denen ich bei der Gelegenheit vorbeilaufe. Zunächst einmal tragen die umliegenden Kohlfelder nicht unbedingt zum allgemeinen Wohlgefühl bei und wenn der Wind gut steht, hat auch das Klärwerk einen erheblichen Anteil daran, dass man diese Passage schnell hinter sich bringen möchte. Wenn man nicht zu würgen anfängt. Eigentlich roch es nur nach Hühnerkacke. Aber weil ich ja weiß, dass der Geruch nicht von Hühnern stammt sondern von vielen, vielen Hinterlassenschaften von Zweibeinern ohne Federn, wurde mir langsam übel. Nur wenig länger und ich hätte den Deich mit dem verziert, was vom Abendessen noch zur Verfügung stand. Das abschließende Reihern scheint bei Teilnehmern von Lauf-Wettbewerben ja nicht ungewöhnlich zu sein. Ich konnte bisher darauf verzichten und hoffe, dass es auch so bleiben wird.

Meine bevorzugte Laufroute wird bekanntermaßen von allerlei Getier bevölkert, das sich gelegentlich von seiner ignoranten und sehr unhöflichen Seite zeigt. Wildgänse sind beispielsweise die Ausgeburt der Hölle. Das hat zwei Gründe, die allerdings einen langweiligen Lauf in eine abwechslungsreiche Reise verwandeln können. Zunächst ist höchste Aufmerksamkeit gefordert, weil die Viecher den kompletten Südpark zuscheißen. Und das Zeug ist extrem rutschig, was beim nahe gelegenen Sportplatz der Uni im Zusammenhang mit der einen oder anderen Grätsche schon diverse Male unter Beweis gestellt wurde. Also gilt es, den Tretminen bestmöglich auszuweichen, allein schon weil mir sonst die Katze zuhause gepflegt in die Latschen schiffen würde, weil sie durch den fremden Geruch ihr Revier in Gefahr sieht. Würde ich aber auch so machen. Ach, was soll der Konjunktiv?! Dass wir so häufig das Katzenklo säubern müssen, liegt nicht allein an der Katze.

Der zweite Grund ist das enorme Aggressionspotenzial, das in Wildgänsen schlummert. Im Oktober nötigte mich eine Gruppe Zugvögel, den Weg zu verlassen, um offroad von einem im Gras verborgenen Ast beinahe zu Fall gebracht zu werden. Unangenehme Situation. Darauf kann man nichts antworten, was nicht als Provokation gedeutet werden kann.

„Tut mir leid. Ich bin ja schon ausgewichen, aber der Ast hier…kommt nicht wieder…“

„Ja was denn ‚tut mir leid‘?! Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren?!“

Nein, sieht sie nicht. Gänse sehen generell sehr desinteressiert aus, was mich zu dem Gedanken veranlasst, dass auch die Wildgänse gerne einmal die eine oder andere Droge konsumieren. Deswegen lungern die – ebenso wie der alkoholisierte Mensch von vorhin – im Südpark rum.

Und so laufe ich in tranceähnlichen Zuständen durch Parks und am Rhein entlang und lasse mein Hirn die Zeit für mich totschlagen. Zuhause angekommen ärgere ich mich vielleicht noch über die Botanik im Südpark, die mir grundsätzlich zu schweigsam ist. Die einzigen, die mich unterstützen, sind die rot-weißen Pöller, von denen es traurigerweise auf den letzten Kilometern meiner Laufstrecke nur noch wenige gibt. Die Blumen stehen stumm in der Gegend herum und verweigern sämtliche Interaktion mit mir. Das werfe ich ihnen vor. Das prangere ich an! Aber morgen schon werden sie ihre nächste Chance erhalten.

Die Kategorie: Die Rückkehr des neongelben Ninja


Garantiert ohne Pflanzen und ohne Alkohol aber trotzdem blau: Facebook.

11 Kommentare

  1. Jaaaa, es(er!) läuft wieder! Freut mich für dich, als ehemalige Laufsüchtige kann ich die Frustration sehr gut verstehen!
    Wenn es dir mal arg zu langweilig wird, tut auch einem Halbmarathin-Antwärter mal Intervall- oder Sprinttraining am Berg gut, nur so eine Idee 🙂

    Viel Spaß!!

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  2. Oh ja: Laufen die Wurzel des Seelenheils und guter Blog-Beitrage 🙂
    Nimm das nächste mal die Katze mit, dann ist es weniger „Langweilig“ 🙂 Mit zwei Hunden ist es jedenfalls so, aber wir laufen ja auch mehr auf Feld mit Feldgetier … Was bedeutet wir bremsen hier und da für passierende Rehe und Hasen 😀 und die Laufleinen bieten übrigens ein gutes Armtraining nebenbei …

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    • Außerhalb ihres gewohnten Reviers bewegt sich die Katze nur sehr zaghaft. Ich müsste sie in einem Rucksack mitnehmen, was deb Sinn ihrer Mitnahme wieder in Frage stellen würde. Aber lustig wäre es. Für mich.

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  3. ich weine mit dir. ich glaube sogar, ein leichtes suchtverhalten festzustellen, wenn man gerade mal nicht laufen kann. selbst an mir eigens auferlegten ruhetagen plagt mich ein schlechtes gewissen.

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    • Danke für die Tränen. Das schlechte Gewissen ist natürlich rational nicht zu erklären. Vor wem sollte man eines haben? Aber ich kann das vollkommen nachvollziehen. Bin die letzten Wochen – eigentlich untypisch für mich – gelegentlich leicht reizbar gewesen. Hat bestimmt auch mit fehlendem Auslauf zu tun.

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  4. Ich bin nie ohne mindestens 3 Bongköpfe losgelaufen. Hilft gegen Langeweile und die ganzen Schmerzen aufm ersten Kilometer. Und man braucht nicht aufs Runners High zu warten. Zum Glück mach ich so Unsinn nicht mehr, seit die laufmotivierende Beziehung endete…

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